Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor V 0060
TitelDie Frage nach dem Sinn der Geschichte
Enthälta) hs; Doppelblatt + 21 Blatt 10,5 x 16,5 cm (S.37/38 verlängert auf 10,5x21,4cm) = Tittelblatt + S. 1-39 (36,36a) b) ms; 3 Blatt 10,5 x 16,5 cm = S. 1-6
Zeitvon1941
Zeitbis1941
Bemerkungenkein Kommentar, sondern Fortsetzung von Feld "Abschrift, Auszüge usw" 31 der anderen, sich als „richtig“ erweisen kann. Jede Art v. Parteiung, Zwiespalt, Kampf ist Konflikt verschiedener, konkurierender Sinnperspektiven. So auch und erst recht im Leben der grossen geschichtl. Gemeinschaften. Geschichte ist weithin Kampf kon- kurrierender Sinndeutungen. Frage: droht hier nicht wirklich die Einheit des Prozesses und des Sinnes in ein Vielerlei v. unvereinbaren Positionen zu zerfallen? Ist hier nicht nicht, wenn man diese Vielfältigkeit als den „eigentlichen“ Sinn anerkennt, die Einheit des Sinns endgültig aufgegeben? Antwort: die Sinnhorizonte der Individuen bil- den sich nicht in Abtrennung voneinander, sondern aneinander und miteinander, d.h. in ständiger Auseinandersetzung und Begegnung. Und selbst die schärfste Gegnerschaft, die wildeste Feindschaft ist in diesem Sinne Beziehung und Verbindung. So ist es im kleinen wie im Grossen. Lapidares Beispiel: der Weltkrieg im Sinnhorizont der an ihm betei- ligten Völker. Schärfster Gegensatz der Bewertung, und doch Gemeinsamkeit des Schicksals und so auch der Sinndeutung. Allseitige Verschrän- kung in der Verschiedenheit und Gegensätzlich- keit. Darum folgt: auch die Vielheit der auf verschiedene Subjekte verteilten Sinnhorizonte ist nicht Zerfall, Auseinanderfall, sondern Zu- sammenhang. Wir haben es nicht nötig, die Einheit des Sinns „hinter“ der Vielheit der Perspek- tiven zu suchen. Sie besteht „in“ dieser Vielheit als Verschränkung! Trotzdem ist nicht zu bestreiten, dass eine in dieser Form sich herstellende Sinneinheit der in mehrfacher Hinsicht etwas unbefriedigendes zu haben scheint. Sie ist zunächst für das Denken, d.h. in logischer 32 Hinsicht unbefriedigend. Man möchte doch so gerne die Einheit des Ganzen als solche gegen und vor Einheit = Einfachheit sich sehen und in einem Satze aussprechen kön- nen. Man möchte die Quintessenz des Sinns er- greifen können. Statt dessen sieht man sich der flimmernden Vielfältigkeit der individuellen Sinn- perspektiven gegenüber. Man möchte, den Sinn un- und überperspektivisch sehen. Aber man mache sich doch klar, dass die Erfüllung dieses Wunsches die Entwertung der individuellen Perspek- tiven und damit auch die Entwertung meiner per- sönlichen Lebenspespektive, derjenigen meiner Epoche, meines Volkes u.s.w. nach sich ziehen müsste. Mein logisches Ordnungsbedürfnis würde auf Kosten meines totalen Lebensgefühles befriedigt werden. Schwer wiegen die Bedenken, die mein religiös bzw. metaphysisches Lebensgefühl aufsteigen fühlt. Es kann sich schwer entschliessen, den Sinn nur in einer Vielheit von Perspektiven zu suchen, von denen jede einzelne für sich genommen den Charakter der Unvoll- kommenheit, der Beschränktheit, der Vorläufigkeit trägt, jede einzelne der Besichtigung bedürfen oder sogar der totalen Verneinnung würdig ist. der „endgültige“ „vollkommene“ Sinn ist innerhalb dieser Vielheit nicht zu finden. Und gerade er ist es doch, nach dem das Bedürfnis verlangt und den es, wenn es dem Menschen verschlossen ist, doch wenigstens der bei der Gottheit untergebracht wissen möchte. Wir machen uns zunächst das Gewicht dieser Beden- ken klar. Es ist in der Tat so: es gibt keine unter diesen Perspektiven, die über die nicht in gewissem Sinne ein Gericht erginge. Selbst diejenigen, die mit einem Maximum v. Einsicht u. Voraussicht entworfen sind, selbst diejenigen, denen d. Handlungserfolg in gewis- 33 sub specie d. Zukunft! sem Sinne die Bestätigung erteilt, entgehen nicht dem Schicksal, durch die fortschreitende Bewegung d. Geschichte verdrängt und damit desavouiert zu werden. +) Denn jede Deutung hat nur ihre Zeit und verbraucht sich zu gunsten ihrer Nachfolgerin, der das gleiche Schicksal bevorsteht. Geschichte ist eben stets sich erneuerndes Leben und damit Hinweg- jede schreiten auch über die gehaltvollste Sinndeutung. Das gilt selbst von den gehaltreichsten und wirkungs- vollsten Deutungen. Aber diese bilden doch nur eine kleine Auslese. Aber neben ihnen: wie viel schiefe, einseitge, , illusionäre Deu- tungen, denen das Siegel des Erfolgs niemals auf- gedrückt wird, die nur Kraftvergeudung, Ablen- kung, Hemmung bedeuten! Und unendlich diejenigen Deutungen, denen d. leidenschaftlichste Widerspruch gebührt. Dann Bed bedenken wir wohl: auch das „Negative“, das Böse, Abwegige, Zer- störerische gehört in das Universum dieser Sinn- deutungen hinein. Das Böse ist nicht, wie manche Deutu. gemeint haben, xx Fehlen von Sinn, Ab- wesenheit v. Sinn. Sein Bedeutung beruht gerade darauf, dass es durchaus sinnhaft, willenbestim- mend, Taten wirkend ist. So stehen im Gefüge der Sinnhorizonte die „bösen“ mit voller Wirkenskraft, manchmal den „guten“ weit überlegen, mitten inne. Eben deshalb nicht ein äusser Zusammen- prall dualistische geschichtlicher Mächte („mani- chäisch“), sondern echte „Dialektik“. Aber das meta- physisch-religiöse Bedürfnis verlangt nach einem Sinn, der nicht dem Bösen innerhalb seiner selber die Entwicklung verstaltet, sondern der ganeu und gar „positiv“ wäre. Und da das Gefüge der Sinnho- +) Es kommt immer „etwas anderes heraus“. Frage: wellches ist das Subjekt, das dieses ganz Andere gewollt hat? Ein „hinter“ den und Perspektiven waltende „durch“ sie waltendes Subjekt. „Gott“. Die „Natur“. Die „Idee“. 34 rizonte diese Forderung nicht erfüllt – um, so das Fragen nach einem „hinter“ die- sem Gefüge lebendigen „eigentlichen“ Sinn, in den das Negative ganz u. gar überwunden wäre – ei- im Horizont des nem Sinn der, weil dem Menschen nicht Menschen nicht auffindbar, nun eben dem Wissen des Un- endlichen vorbehalten sein muss. Bei aller Begreiflichkeit der in dieser Vorstellung enthaltenen Bedürfnisse und Sehnsüchte ist zu erwidern, dass sie das Leben des Menschen seines Gehalts und seines Gewichts beraubt. Nicht nur in- sofern, als sie, wie bemerkt, das dem Menschen selte beschiedene Sinnerleben und Sinnschaffen zur Scheinhaftigkeit und Vordergründigekeit herabwür- digt, sondern vor allem deshalb, weil sie gerade das zentrale Anliegen, um das es in diesem Sinn- erleben geht, seiner metaphysischen Schwere beraubt. Dieses Anliegen aber ist gerade der dialektische Kampf zwischen dem Negativen und dem Positiven. Das tiefere Wesen des Menschen, seine Überlegenheit über die Natur, liegt gerade darin, dass er, aus der Führung der Natur entlassen, in die Freiheit hinaus- gestellt ist. Diese Freiheit aber ist als solche Freiheit zum Bösen wie zum Guten. Das innerste Wesen des Menschen ist wirklich getroffen mit dem Satze, dass er „Hieroglyphe des Guten und Bösen ... Engel u. Teufelsgestalt“ ist. Beides gehört engstens, dialektisch zusammen. Wenn wir aber nun an einen „hinter“ der Realität des Meneschenlebens wirkenden, sich siegreich durchsetzenden Sinn glauben, der xxx ganz und gar positiv, d.h. über jene Dialektik erhaben wäre, dann wird ja der Kampf zwischen Gutem und Bösem, in dem der Mensch zu stehen meint, in dem er seine Horizonte bildet, zu einem Vordergrunds- und Scheingeflecht. Denn von vornherein hat ja 35 das Gute die Kraft des „eigentlichen“ und wirklichen Sinns auf seiner Seite, während das Böse dieses Rückhalts entbehrt und nur in d. Sphäre der Scheinhaftigkeit vertreten ist. Es ist also ein Kampf zwischen höchst ungleichen Gegnern, ja es ist überhaupt kein Kampf v. wirklichen Gegenern, denn d. eine von ihnen ist ja nur ein Luftgebilde, über dessen Nich- tigkeit der tiefer Blickende nicht im Zweifel ist. Natürlich hat diese Vorstellung für den nach Ruhe und Sicherheit verlangenden Menschen et- was sehr Verführerisches. Aber sie widerstreitet der selbsterfahrenen Realität des Menschendaseins und sie wird bezahlt mit der Vernichtung dessen, was wir als Kern unseres Lebenskampfes immer wieder erfahren. Der Gott, der Geist, der in sich die Garantie des Guten mitbringt, nimmt uns Menschen die eigentliche und letzte Verant- wortung und Würde unseres Daseins. Denn es nimmt um das Recht zu glauben, dass es in jenem Kampf auf uns, auf jeden von uns, auf jede Ent- schliessung von uns ankommt, dass das Schicksal der Welt einem jeden von uns auf die Seele ge- legt ist. Jene Sicherheit ist zu teuer bezahlt. Sie verletzt den Schwerpunkt des Weltschicksals aus unserer Seele heraus in ein uns Verschlossenes. Entschliessen wir uns aber umgekehrt, den Sinn d. Geschichte mit dem von uns erlebten, den in uns gewirkten Sinn gleichzusetzen, so sehen wir diesen Sinn ganz in die und Ungewissheiten der weltgeschichtl. Dialektik hinein geworfen, in alle Beschränktheiten, Gemeinheiten und Fehlsam- keiten des Menschen verwickelt, wir gehen aller Sicherungen und Rückhalte verlustig – aber wir sind dann doch auch gewiss, dass all dies wirklich Sinn ist und nicht bloss ein durch uns hin- 36 durch sich wirkender, uns als Werkzeug vernutzender Sinn. Wir sehen unsere Existenz dann in folgendem Lichte. Wir leben aus den Tiefen eines Alllebens heraus, das uns unendlich weit überragt. Wir haben uns nicht geschaffen, haben uns nicht zu dem gemacht was wir sind. Wir haben uns so, wie wir sind, empfangen. Unser Sein und Sosein ist ein geschenktes. Aber die Abhängigkeit von diesem Alleben dauerd nicht etwa in der Form fort, dass es sich unser als blinde Werk- zeuge, unselbständige Organe bediente. Vielmehr ist es die Art dieses Allebens, dass es sich uns, d.h. unseres bewussten Wollen und Handeln, ganz u. gar anheim- gibt und gleichsam anvertraut. Es geht in die Zentriertheit der ganz u. gar ein, legt alles auf unser persönliche Entscheidung und Verantwortung. Das bedeutet aber: das Alleben bringt nicht in sich einen „Sinn“, der sich unwiderstehlich durchsetzt und der den sog. „Sieg des Guten“ garantierte. Ich glaube nicht, dass irgendeine theol. oder philosp. Lehre eine sol- che Garantie aussprechen dürfte. Ob und wie weit das Gute siegt, das ist ganz und gar auf das Tun der Subjekte gestellt, denen das Alleben sich anheim- gibt. Jeder Einzelne muss sich sagen: da, wo du stehst, da, wo deine Gemeinschaft, dein Volk, deine Epoche steht, da fällt die jetzt gerade aktuelle Entscheidung über Gut und Böse, da entscheidet sich d. Sinn d. Welt. Er ist in dieser Weltminute ganz und gar in deine Hand gelegt. Man sieht: je entschlossener auf eine vorgegebene Garantie für den Sieg des Guten verzich- tet wird, um so gewichtiger und die Verantwortung, die dem jeweils Lebenden und Handelnden als dem gegenwärtigen Anwalt des Welt- sinns auf die Seele gelegt ist. Auf die kommt alles an! Von diser Verantwortung und Spannung kann nicht auf einen „eigentlichen“ Sinn abgebürtet werden. Wenn aber das Ganze des Alllebens sich den Individuen 36a anheim gibt und so in eine unendliche Vielheit auseinandergeht, so ist doch doch nicht eine Zersplit- terung, die das Ganze zerstört. Die Einheit stellt sich un- fehlbar deshalb wieder her, weil die zahllosen Sinn- perspektven in der geschilderten Weise verschränken und zum Gefüge durchwirken. Das Ganze „spielt sich“, ohne dass es eines Sinns bedürfe, „zusammen“. Und nicht nur dies: es kann auch an jedem Punkte dieses Zusammenspiels - so wie z.B. in dieser unserer Darlegung – gewusst, in sei- ner Notwendigkeit gewusst werden, zwar nicht in dem vollen Was seiner inhaltlichen Ausfüllung, wohl aber in dem Dass seiner strukturellen Notwendigkeit. Dieses Wissen ist d. höchste Punkt des Geschichtswissens über- haupt. Es ist ein naheliegendes Verlangen, das Wesen der ins Menschenherzen ringenden Mächte noch näher bestimmt zu sehen, als es mit d. Beziehungen negativ – positiv, gut – böse geschah. Im Sinne der augustinischen u. auch der herderischen Auffassung würde es nahe liegen, sie als „Liebe“ und „Macht“ zu bezeich- nen Gegensatz v. bedingunsloser Selbstvergessenheit und höchgesteigerter Selbstdurchsetzung. Wir sahen ja, dass die Macht vielfach als die widergöttliche Tendez und folglich d. Staat als die Inkarnation des Bösen galt. Aber die Antithese ist so nicht zu halten. Zwar ist es richtig, dass das Böse der menschl. Natur nirgens so völlig überwunden wird, wie da, wo die in d. Berg- predigt geforderte Liebe den Lebenskurs bestimmt. Sie ist die letzte Heilkraft für die Wunden, die die Geschichte, zumal als Macht, schlägt, und die tiefste Überwindung der im Menschen wühlenden Dämonien. Dass sie es ist, beweist sie dadurch, dass sie wirklich den Stachel Herrscherwillens des Machtbegehrens völlig beseitigt. Sie „sucht nicht das Ihre“. Aber umgekehrt wäre es falsch, die Macht als die Potenz des Bösen zu qualifizieren. Richtig ist nur, dass im geschichtl. Leben die Macht diejenige Stelle ist, an den die Möglichkeiten und Versuchungen des Abgleitens 37 sich konzentrieren und kumulieren. Macht in der politische geschichtlich wirkenden Form, also vor allem geschicht Macht, ist maximale Verführung und erschliesst maximale Möglichkeiten äusserer und innerer Verderb- nis. Es gibt keine Excesse, keine Dämonie der Liebe – aber es gibt die schlimmsten Excesse, die schlimme Dämo- nie der Macht. Denn während die Liebe „nicht das Ihre sucht“, sondern und Selbsthin- gabe bedeutet, ist Machtausübung immer zugleich Selbst- erhöhung und Selbstgenuss. Sie ist es deshalb, weil sie nicht nur über Untermenschliches, sondern auch über Nichtwesen verfügt. Der Mensch, der über Menschen gebietet, bis zur Gewalt über Leben und Tod, ist stän- dig versucht, sich Übermensch zu fühlen. Der Kitzel der Macht; die Verführungen der möglichen Gewalt- anwendung. Machtrausch . Aber dann ist die Macht absolut nicht böse; sie wird es nur durch die Art ihres Gebrauchs. Sie kann nicht böse sein, weil sie absolute Notwendigkeit des menschl. Daseins ist; und sie ist es erst recht deshalb nicht, weil sie Quelle grössten Segens sein kann. Ohne Macht was auch Augustin erkannte! keine Ordnung, Formung, Sicherung menschl. Daseins; ohne Staat keine Kultur. Und sittlich gezügelter gebrauch d. Macht weckt alle Kräfte und beseitigt alle Hemmungen. Gerade die Macht hat es also an sich, dass sie die Ambivalenz alles Menschlichen in grösstem Stile darstellt Sie tut es ganz besonders da, wo sie auch mit d. Liebe ver,ählt und so ihre Dämo- nien bändigt und ihre Segnungen voll entfaltet. Macht, die sich mit dem Geist der Liebe verbindet, gibt sich den höchsten und Raum, der ihr zukommt: sie wird Gerechtigkeit. Platon u. Augustin über die Gerechtigkeit als die spezifische Tugend des Staates. Macht, die sich vom Geist der Liebe trennt oder geradezu zu ihm in Gegensatz setzt, wird der Gerechtigkeit entleert und damit nackte Gewaltausübung. Audustin über die „magna latrocinia“. Kant: “Wenn die Gerechtig- keit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Men- schen auf Erden leben“. Dass der Idealfall der Ver- ,ählung v. Liebe und Macht selten ist, sei nicht verschwiegen. Gerade die Macht hat es also an sich, dass sie die Ambivalenz d. Menschen in grossem Stile sichtbar macht. Der Machthaber ist die gross- artigste „Hieroglyphe des Guten und Bösen“. Wenn wir nun die Geschichte als den Kampfplatz ansehen, auf dem die Liebe und die dämonisch entartete Macht widereinanderstehen, so ist es klar, dass in diesem Kampf mit ungleichen Waffen die 38 Liebe, äusserlich gesehen, stets der unterliegende Teil sein wird. Denn es liegt ja in ihrem Wesen, dass sie zwar wirkt, aber nicht eigentlich kämpft. Unter diesem Gesichtspunkt wirken dann die Kräfte, die diese Liebe vertreten, zunächst das Christentum, wie die stets unterliegenden, ja die letzlich zur Wir- kungslosigkeit Verdammten. Daher die höhnische Frage so mancher realistischer Anwälte der Macht, wer denn eigentlich diese ganze Liebesbotschaft in der Menschheit gewirkt habe, und die cynische Auffor- derung, sich vorbehaltlos auf die Seite der reinen und nackten Macht zu schlagen. Naturalismen der Macht-Ethik. Hier wird also jede Zähmung und Sitti- gung der Macht d. d. Geist der Liebe abgelehnt. Und Geschichte ist dann eben Geschichte der Macht, zu- höchst Geschichte des Staates, und die Taten der Liebe fallen dann als wirkungslos aus der Geschichte aus. Es gibt keine „Geschichte der Liebe“. in Wahrheit entsteht so ein völlig verzerrtes Geschichtsbild. Denn wie wäre in Wahrheit die Geschichte verlaufen, wenn nicht unausgesetzt der Geist der Liebe und aus ihm entfliessend, der Geist der Gerechtigkeit sich den dämonischen Leidenschaften des reinen, nackten Machttriebes in den Weg gestellt hätte! Das Men- schengeschlecht wäre längst in Jammer und Blut erstickt, wenn nicht immer wieder selbst die wil- deste Begehrlichkeit irgendwie auf diese mahnenden Stimmen hätte hören müssen. Gewiss: ein reiner und runder, ein nachweisbarer Erfolg ist dem Geist der Liebe nie beschieden gewesen, und er wird es nie sein. Aber ebensowenig hat sich dieser Grundtrieb niemals völlig ersticken lassen. So zeigt uns die Geschichte zwar die des Machttriebes und seiner gewaltigen Taten, aber sie zeigt uns auch die stille Einwirkung der Kräfte, die ihm immer wieder Grenzen setzen, sowohl durch äussere Mahnung dungen der deutschen Geschichte. Beharrende Daten bei wechselnder Deutung. Wesentlich ist f. die Deutung d. Vorgriff in die Zukunft. Grund: das den- kende Wesen ist zugleich das wollende und han- delnde Wesen: Sein Wollen hat Teil an der Gestal- tung der Zukunft, die es deutend ackzipiert. Deu- tung d. Zukunft und Deutung der Vergangenheit ste- hen im Wechselverhältnis 39 und Zügelung als auch durch die innere Gegen- wirkung im Herzen des Machthabers selbst (als „böses Gewissen“) So ist Weltgeschichte das stetige Sichdurch- wirken beider Gewalten. Geschichte ist auch Geschichte der Liebe, nicht bloss Geschichte der Macht. Beweis: das Christentum, hat die Bergpredigt hat in dieser Geschichte ihren wohlbestimmten Platz Wenn wir uns aber davon überzeugen wollen, dass der „eigentliche“ und „wirkliche“ Sinn der Geschichte „in“ den Sinnhorizonten der Geschichtsträger selbst, nicht „hinter“ ihnen zu suchen ist, dann dürfen wir den Beweis dafür wohl vor allem in den gelebten, getätigten, durchgekämpften Impulsen echten Lie- besgeistes finden. Denn in diesen Impulsen, in denen d. Mensch wahrhaft sich selber, seine Begehrlichkeit, sein selbstkritisches Wollen überwindet, in denen er recht eigent- lich „über sich selbst hinauswächst“, sind doch wohl recht <....> den Durchbruch des Göttlichen im trüben Wirrsal irdischen Vermögen, das Hineinstrahlen des Lichts in das Dunkel menschlichen Irrtums und menschlichen Leidens. Wer wollte diese Verklärung entwerten, in dem er sie zur illusionären Vorspiege- lung herabsetzte!; Dokumentenabschrift: Text zu lang - Fortsetzung in Feld "Kommentar" ! V 0060a (1941) Titelblatt Die Frage nach dem Sinn der Geschichte. (1941) 1 Aktualität des Themas.Keine „ewige“ Frage. der Antike fremd. Sie hatte Geschichtsschreibung, Ge- schichtsreflexion, aber keine Geschichtsphiloso- phie. Metaphysik der zeitlosen Urbilder. Geschichte unvollkommenes Vordergrundgeschehen. Wendung mit dem Christentum. Erst jetzt eine die menschheit umfassende Welt-geschichte, und zwar als ein einmaliges, zeitlich ablau- fendes Drama von metaphysischer Bedeutung. Sündenfall – Christus – jüngstes Gericht. Aus- bildung d. d. , erste Vollendung in Augustinus „Gottesstaat“. Ungeheure weltge- schichtl. Krisis (Roms Einnahme 410) als un- mittelbarer Anlass. Geschichte ist eingespannt zwischen jenen drei Grundereignissen, , dass d. Verlauf im Einzelnen von innen her verstanden wird. Ge- schichte ist die kämpfende Durchsetzung des Gottesreiches gegen die widerstrebenden Mächte dieser Welt. In diesen lebt und wirkt die Sünde, hervorgerufen durch die Ränke des Salanas. Schärf- ster Dualismus ( Manichäer!) Dort die Welt der Gottes- u. Menschenliebe, hier die Welt der Selbst- sucht. Im Kampf der Geschichte setzt sich das positi- ve Prinzip zunehmend durch. Inkarnation des bösen Prinzips der Staat dieser Welt, gipfelnd im Römerstaat. In ihm ist die Selbstsucht zu un- ersättlicher Machtgier gesteigert – dazu passt die Abgötterei, gipfelnd in der göttlichen Verehrung des Tyrannen als der Verkörperung des Macht- gedankens. Daneben im Nachklang des antiken Denkens eine partielle Anerkennung des Staates, so weit er das Recht wahrt, Ordnung stiftet, Frieden hält. Aber wo die Gerechtigkeit fehlt – magna latrocinia! Deshalb ist auf die Dauer dem irdisch 2 Staat der Untergang gewiss. Eine grandiose Geschichtsdeutung. An ihr treten gewisse Grundzüge hervor, die die christl. Auffassung überdauert haben, weil sie einen von ihr ablösbaren Rahmen bilden: - der Sinn der Geschichte ist ein einziges allum- fassendes Thema, an dem alle Menschen, Völ- ker, Zeiten arbeiten. er übergreift alle Differenzen. - Der Sinn setzt sich gegen alles Widerstreben sieg- haft durch. Nichts kann ihm auf die Dauer wi- derstehen. Grund: er ist ein v. Gott gewollter u. gestifteter Sinn – was vermag d. Mensch wider ihn! - Der Sinn ist vom Ziele her: der Durchsetzung „-logisch“! des Gottesreiches her bestimmt. „Tellogisch“. Er ist von dem her bestimmt, was noch nicht wirk- lich ist, von der Zukunft!. Keine „kausale“ Vorbe- rechnung der zu erwartenden Folgen“, sondern umgekehrt vom Telos her das Vorangegangene verstanden, ausgewählt, gedeutet. - das Wissen um den Sinn, und zwar auch um das noch nicht wirkliche, erst v. d. Zukunft zu erwar- tende Telos, ist v. unüberbietbarer Sicherheit. Nicht Vermutung, Hypothese, sondern absolute Gewiss- heit. Grund: der Sinn ist nicht v. Menschen von dem- selben Gott geoffenbart, der auch Garant seiner Verwirklichung ist. Nur Gott ist im Besitz der universalen Überschau, die auch die Zukunft umgreift, weil er zu gleich die schaffende, erhal- tende, lenkende Macht ist. Daher die Sicherheit dieser Sinndeutung und ihre Macht über die Gemüter. 3 Ich habe diese Grundzüge deshalb heraus- gehoben, weil sie, wie bemerkt, den Prozess der Säkularisierung überdauert haben, der seit dem Ausgang des Mittelalters die geistigen Gehalte des Abendlandes ergriff. Mit d. Emanzipa- tion des Menschen erwacht auch das Bedürfnis, die nicht nur die Geschichte, sondern auch den „Sinn“ diser Geschichte als etwas aus dem Menschen Hervorgegangenes und durch den Menschen sich Wirkendes zu begreifen. An die Stelle des geoffen- barten Sinn soll der selbstgewollte, selbstgewuss- te Sinn treten. Prinzip der autonomen Innerwelt- lichkeit setzt sich durch. Dies das Programm der „Aufklärung“. Zu ihm gehört auch die „Philosophie der Geschichte“, wie sie Voltair ver- tritt. Sie sucht hinter der Buntheit des geschichtl. De- tails den grossen Zug und das ist: den „Sinn“. Und nun ist es <....>, zu sehen, wie in dieser durchaus „innewetl.“ Geschichtsphilosophie die Grundzüge wiederkehren, die wir an der christl. Geschichtsphilosophie feststellten. - D. Sinn d. Geschichte ist ein einziges, die ganze Menschheit umgreifendes Thema: die siegrei- che Durchsetzung der einen, allgemeinen Mensch- heitsvernunft in Theorie und Praxis. - Der Sinn setzt sich gegen alle Widerstände durch. Grund: dem Licht der Vernunft können alle Irr- Vorurteile, Aberglaube licht, Wahnvorstellungen, Lügen auf die Dauer nicht widerstehen. +) Wahrheit und Tugend haben eine unwiderstehliche Kraft d. Selbstaussetzung - Der Sinn ist vom Ziel her: der totalen Durchset- zung Vernunft her bestimmt. Dies Ziel liegt erst in d. Zukunft, die Menschheit ist noch auf dem Wege. Aber das Ziel liegt sonnenklar vor Augen der Erleuchteten, das Wissen um dies Ziel ist der Motor der Bewegung, nicht der kausale Druck des weiten Zu- rückliegenden. / Der ganze Geschichtsprozess wird / „Vernunfts-Eschatologie“! +)Dualismus: Vernunft-Unvernunft! 4 von diesem Ziel her verstanden, ausgewisen, ge- deutet. Prinzip des „Fortschritts“. - Das Wissen um den Sinn, eingeschlossen um seine zukünftige Realisierung, ist von unüber- bietbarer Sicherheit. Nicht Vermutung, Hypothese, sondern absolute Gewissheit. Grund: der Sinn wird ja gedacht und gewusst von derselben Vernunft, die als wollende und Subjekt des Wollens und Handelns zugleich den Prozess lenkt und verwirklicht. Hier ist nicht ein Wissen um das, was ein anderes Subjekt tut, sondern um das, was der Wissende selbst exekutiert. Daher die Sicherheit dieser Sinndeutung und ihre Macht über die Gemü- ter. Man sieht: die Grundzüge sind geblieben, nur ist alles radikal geändert, weil die Diffe- renz v. Gott und Mensch, gottgewolltem Welt- geschehen und menschl. Handeln, göttl. Allwissen- heit und menschl. Beschränktheit geschwunden ist.+) Offenbarung wird nicht nur überflüssig, son- dern geradezu unmöglich, wenn das unendliche und das endl. Subjekt zur Deckung kommen. Die Offenbarung geht vom Menschen an sich selbst! Selbsterleuchtung: Ungeheure theoret. u. prakt. Optimismus. Ein in seiner Art ewiger Typus d. Geschichts- deutung. Sein Fortleben im 19. Jhdt. Seine un- zerstörbare Wurzel ist das Erlebnis der Selbstmächtig- keit im Menschen. Der Mensch erlebt sich als „in sich centriert“, als autonomes Subjekt des Denkens und Handelns, und versteht von diesem Erlebnis aus die ganze Geschichts. Trotzdem ist es uns heute fast unvortsellbar ge- worden, dass ein Jahrhundert in diesem Glauben hat leben können. Die Gegeninstanzen scheinen und erdrückend. In d. Tat hat denn auch der +) oder wenigstens im Sinn des Deismus zurückgeschoben! 5 Widerspruch schon im 18. Jhdt. kraftvoll eingesetzt. Wir verfolgen ihn nur an zwei Gestalten: Rousseau u. Herder. Man könnte zunächst meinen, dass Rousseau, wenn überhaupt, nur durch die anreizende Kraft der Verneinung auf unser die Entwicklung unseres Problems eingewirkt habe. Denn wenn er die Kultur als einen einzi- gen grossen Abfall von der „Natur“ verwirft, so ver- wirft er damit im Grunde auch die Geschichte als das Werden dieser Kultur und damit streitet er er doch d. Geschichte einen „Sinn“ ab. Er scheint sowohl zu der christl. als auch zu der aufgeklärten Ge- schichtsdeutung im Widerspruch zu stehen, weil er in d. Geschichte nicht den Aufstieg zu einem in Zukunft wirkenden Ziel, sondern im Abstieg und Verfall sieht. Das Wertvolle ist nur am Anfang da! Proto- typ aller Verfalls-Philosophie. „Der Geist als Widersa- cher der Seele“! (Auch Joh. Mücke u.a. Lebensphiloso- phen). Selbst wenn R. nicht mehr als dies gelehrt hätte, würde er der geschichtsphil. Reflexion einen Stachel eingesetzt haben. Er würde den problemlosen Optimismus d. Aufklärung erschüttert haben; er würde das Kulturgewissen aufgestachelt und die Reflexion aufgefordert haben, Wert und Verdienen der Kultur gründlichst unter die Lupe zu nehmen und die Gefahren des Geistes ins Auge zu fassen. Er würde die Aufmerksamkeit auf die innere Spannungen und Ge- „Geist“ und Herz gensätze im Leben d. Kultur („Geist“ und Sittlichkeit, „Geist“ und Religion u.s.w.) hingelenkt haben. Aber in Wahrheit beschränkt sich ja seine Theorie garnicht auf die genannten rein negativen Thesen. Es treten weitere Behauptungen hinzu, die auch ihn auf der suche nach dem „Sinn“ der Geschichte zeigen. Be- kanntlich hat er selbst sich kräftig gegen die Auslegung verwahrt, dass er die „Rückkehr zur Natur“, d.i. die 6 Flucht vor der Kultur predige. Er sah, dass der Ver- such einer solchen Rückkehr nicht zur ursprüng- lichen Reinheit zurück-, sondern in den Abgrund der Barbarei hinabführen würde – eine deutliche Warnung an alle praktische „Ursprungs“-Romantik. „Man lasse Künste und Wissenschaften die Wildheit der Menschen, die sie verdorben haben, einigermassen besänftigen .... Das Wissen des Lasterhaften ist nicht so schädlich als seine grobe Unwissenheit“. Damit ist zunächst die Unwiderruflichkeit der geschichtl. Entwicklung zugestanden. Das Rad ist nicht rück- wärts zu drehen. Zweitens: es ist dem, was diese Entwicklung hervorbringt, ein wenn auch bedingter Wert und damit diese Entwicklung selbst so et- was wie ein „Sinn“ zugestanden. Sie zähmt und die Menschen, die, wie sie nun einmal gewor- den sind, das so sehr nötig haben! Kultu Geschichte ist Geschichte der Verderbnis des Menschen, aber doch auch Geschichte des Kampfes gegen diese Verderbnis! Krankheitsgeschichte und Heilungsgeschichte in einem! Und von da ist nun ein Schritt bis zu dem Gedanken, der eine neue und hoffnungsvollere Per- spektive erschliesst – eine Perspektive in dieselbe Zu- kunft hinein, die sowohl d. christl. als auch d. aufklärer. Geschichtsphilosophie so wichtig ist. Da nun einmal der ursprüngl. Zustand der Reinheit verloren ist, da andererseits uns die Kultur mit nicht nur mit dem Wissen um das Verlorene, sondern auch mit den MItteln der Zähmung und Sittigung hat – sollte da nicht der Versuch möglich und geboten sein, auf der erreichten der Be- wusstheit und Geistigkeit, aus der Kraft dieser Be- wusstheit und Geistigkeit eine Zustand herzustel- len, der zwar nicht die ursprüngl. „Natur“ widerholt, wohl aber ihre Segnungen aufs neue hervorruft? Wa- in entsprechend abgewandelter Gestalt 7 rum soll d. Mensch die perfectibilité, die ihn vom Tier unterscheidet und d. Quell seines Unglücks ist (2. ), auch einmal in dieser Richtung mobil machen? Diese Erwartung und Forderung ist deshalb nicht grundlos, weil zwar d. „Naturmensch“ dahin ist, aber die Wurzel der natürlichen Sittlichkeit, weil jedem Menschen „eingeboren“, in jedem Menschen, der ins Le- ben eintritt, wieder präsens ist. Sie ist im Grunde ewig gegenwärtig „Die natürlichen Eigenschaften, die du, o Mensch von Gott erhalten hast, haben Erziehung und Gewöhnung wohl entstellen, aber nicht zerstören können.“ Was so präsent ist, kann auch wider erweckt werden, nicht um Geist u. Kultur zu verdrängen, sondern um sie unter seine Leitung und Obhut zu nehmen. Und dieses Neuerwachen ist ja nicht nur Vermutung od. Forderung, es ist ja in Gange in – Rousseau selber! In ihm wirkt der aus d. Natur in- spirierte Geist, in ihm findet die Umkehr statt. Wie hätte er, wenn er nicht diese Umkehr so wohl forderte als auch in sich verwirklichte, den „Gesell- schaftsvertrag“, und den „Emile“, diese Programme der Neugestaltung schreiben können! Zu diesen Erwägungen gestaltet sich ein Schema der Geschichte, das ihr einen neuen „Sinn“ zu- schreibt. Im Anfang die Vollkommenheit der „Natur“, dann d. Einbruch d. Kultur u. d. Verderb, bis zur Gegenwart, dann Einsicht u. Umkehr in Rousseau u. dann auf d. Zunkunft entfallend, Aufbau einer naturgemässen Kultur. Beachte die strukturelle Entsprechung zur christl. Ge- schichtsdeutung. Paradies, Sündenfall, bis z. jüngsten Tag. Sie ist auch eng mit d. Christentum in der Ablehnung des Versuchs, den Sinn d. Geschichte durch <....> Denken zu ergründen. Dieses Denken ist ja gerade d. Wurzel der Verderbnis. Auch diese Deutung entspringt aus „Offen- 8 barung“ – aber nicht aus d. Offenbarung eine transscen- denten Gottes, sondern aus d. Offenbarung – des eigenen Herzens. Man findet „so nahe bei sich selbst den Quell der Wahrheit“. Gewiss, diese Ideen sind und von Gott „eingeboren“, aber dann doch aus sich selbst einsichtig u. überzeugend, dass es keiner be- sondern Erleuchtung v. oben mehr bedarf. Offen- barung „von innen“, nicht „von oben“. Und auch hier begegnet uns die unbedingte Sicherheit d. Deutung. Der Verstand führt uns tausendfältig in die Irre, das Herz spricht Wahrheiten aus, die stets, überall, für alle Menschen ohne Unterschied gül- tig sind. Mit diesem unbedingten Zutrauen zum eignen Herzen tritt Rousseau auf einmal auf die Seite der bekämpften Aufklärung. Beide suchen die Quelle der letzten „Einsicht“ im Menschen – diese im vernünftigen Denken, jene im Gemüt. Das wird nicht geradezu verneint, aber doch so zurückgeschoben („Deismus“), dass alles Entschei- dende sich im Menschen abspielt und durch den Menschen verwirklicht. Das „dialektische“ schema dieses Geschichtsdeu- tung! Aus dem Kampf äuserer Gegenmächte („“) ist nun eine innere Auseinanderset- zung geworden, die durch die Negation zur Positi- on fortschreitet. Das Herz siegt über die . Das Schema d. Aufklärung ist undialektisch: geradli- niger Anstieg v. unten nach oben. Die tiefe innere Wahrheit des dialekt. Schemas, (das ja schon in das schon in der christl. Sinndeutung ange- legt ist. Der Mensch . Die Ambivalenz alles Menschlichen. Die Freiheit des Sichselbstmachens als Quelle des Grössten und des Verruchtesten. Geschichte als grossartigste Illu- stration dieser Ambivalenz. Nicht friedl. , sondern ewiges Ringen. 9 Viel leidenschaftl. und durchschlagende wird d. Kampf gegen d. Geschichtsbild d. Aufklärung aufge- nommen in Deutschland. Rousseau stand mit seinem Zutrauen dem Menschen d. Aufklärung sehr viel näher, als er selbst wahrhaben wollte. In Deutschland war von solchem Radikalismus keine Rede. Stärkeres Fortwirken der religiösen Bewe- gungen. Fortdauer protestant. Frömmigkeit. das Merkwürdige ist nun, dass auf d. Boden dieser sehr viel konservativeren Haltung, auf dem Bo- den dieser Gläubigkeit ein Geschichtsideal erwächst, das wirklich völlig neue Perspektiven eröffnet. Erst hier wird d. Blick in die Tiefe der Geschichte getan. Äusserlich haben wir hier so etwas wie eine Rückkehr zur christl. Geschichtsdeutung vor uns. Aber es lohnt sich, zuzusehen, weshalb und in welcher Hin- sicht dieser christl. Geschichtsaspekt von dem der Kirchenräte abweicht. In Augustin lebte noch das urchristl. Erlebnis, das den Sinn des Menschendaseins auf einen Punkt hin kon- zentrierte: das „Seelenheil“, die Erlösung v. d. Sünde, die Überwindung des Salanas (Augustin war nicht blind für Reichtum u. Reiz der Kulturgüter, aber sie treten <...> gegenüber dem „ et animam scire cupio“) ganz in d. Hintergrund. Herder ist auch und in- sofern auch auf das Seelenheil bedacht – aber er |- ist zugleich ein Mensch von reizbarster Empfind- ästhetisch! lichkeit für die Werke des Geistes (Sprache, Mythos, Dichtung, Erziehung, Bildung) und nicht gewillt, dies alles aus dem „Heil“ der Seele auszu- schliessen. Das Reich der Seele umschliesst und soll auch umschliessen all die Güter, die er unter dem Namen „Humanität“ zusammenfasst – welches Wort in und um seinem sittlichen Sinn auch |- lebt nicht in der eschatologischen Spannung der ersten Christenheit; er 10 den ganzen Reichtum des geistigen Schaffens um- spannt (zumal das Ästhetische“) Wenn aber so der Sinngehalt d. Geschichte sich erweitert, so kann das nicht ohne Folgen dafür bleiben, wie das Verhältnis Gottes zur Geschichte gesehen wird. (Die augustinische Geschichtsauffassung bezieht das Schicksal der Seele ganz u. gar auf das Jenseitige, läst sie setzt ihr „Heil“ zu allem Dies- seitig-Innenweltlichen in Gegensatz. Deshalb kann sie auch Gott in der Stellung der absoluten Jenseitigkeit belassen. Er ist der Weltschöpfer und Weltlenker, aber verharrt gegenüber dem Weltgetriebe „äusserlich“ in bedingungslose Transcendenz. Aber dabei kann es nicht bleiben, wenn über die Frage des Seelenheils und den ein- hinaus der diesseitigen Kultur ein Gegenwert zu schlägigen Bemühungen des Menschen auch ein der gläubige Christ Eigenwert zuerkannt wird. Denn dann kann d. auch diese Werte nur auf die Güte Gottes zurück- führen kann, so muss er zu der Auffassung gelan- gen, dass doch das göttl. Leben auch in diese zeit- lich-geschichtliche Welt irgendwie ausstrecken, dass diese Welt als solche nicht so wertentstellt und gottverlassen ist, wie das urchristl. Pathos es annimmt. Es ist dann in der irdischen Geschichte selbst mehr an Gottgewolltem. Gottensprungenen zu fin- den, als der augustinischen Weltpessimismus zugeben will. So finden wir denn in d. Tat bei Herder (wie schon bei seinem Lehrer Hamann.) das Verhält- nis zwischen Gott und geschichtl. Welt ganz anders ausgelegt als bei Augustin. Die Welt überhaupt und die speziell die geschichtl. Welt ist nicht nur die Schöpfung Gottes, untersteht nicht nur der allmächtigen Lenkung Gottes, sondern ist auch die sichtbare Offenbarung Gottes. Erweiterte Be- griff d. „Offenbarung“. Hamann: Geschichte ist die „Auffassungstheorie Gottes“ XXXX Menschenwerk tritt die (Eine Welt v. „Zeichen“, xxxxxxxxSprache) 11 Nach dem Vorgang Hamanns! Die ganze Wirklichkeit ist eine solche von „Zeichen“, sie reden ein „Sprache“. Menschensprache ist nur die Kulmination eines viel allgemeineren Verhältnis- ses. Die Welt ist die Offenbarung Gottes. Und die specielle Welt des Menschen, d.i. die Geschichte, ist nur die höchste Form dieser Offenbarung. Hamann: die „ Gottes“, die „“. Wer die Geschichte mit gläubigem Herzen liest, dem ent- hüllt sich in ihr die Gottheit; den andern ist sie „ein versiegeltes Buch“. Zu dieser Betrachtungsweise, die Herder übernimmt und ausbaut, entsteht ein Gottesbegriff, der gläubige Bestimmungen mit philo- sophischen vereinigt. Leibniz, und be- sonders Spinoza. Gott wird nicht einfach pantheis- tisch mit d. Welt gleichgesetzt. Er ist und bleibt der weltüberlegene – aber er verharrt auch nicht in ab- soluter Jenseitigkeit. Die Welt lebt und webt in ihm und er in der Welt. Kein Gott, der „uns von aussen stiesse“. Er wirkt sich in der Welt aus, „durchfühlt“ sie, „“ sich in ihr. Wenn dies von allen u. jedem Dasein gilt, dann ganz besonders v. d. Dasein seines höchsten Geschöpfes, des Men- schen. Goott „durchfühlt“ auch und erst recht die ge- schichte. Indem diese Gottesanschauung mit d. Geschichts- auffassung in Verbindung tritt, entwickelt sich eine durchaus neue Auffassung v. Geschichte und Sinn d. Geschichte. Zunächst: es bleibt mit der Einheit der alles durchwaltenden Gottheit auch u. Zusammenhang! die Einheit als die Geschichte erfüllenden Sinns. Herder nennt dies eine Thema „Humanität“. Es ist die gemeinsame Aufgabe d. Menschheit: Dar- stellung des göttl. Lebens in der zeitlichen Welt. Es bleibt auch, zumal bei dem späten Herder, die Annahme einer nach einem Ziel hin ausgerichteten Entwicklung des Ganzen. Aber beide Gedanken 12 erfahren im Zeichen des panenthistischen Gottesge- dankens eine tief eingreifende Wandlung. Die Einheit der Aufgabe und des Sinns kann nicht mehr die Einfachheit, Monotonie bleiben, in der sie nicht bisher immer wieder gefasst wurde. Gott ist stets nur stets u. überall gegenwärtig: er offenbart sich auch überall in konkreten Gestalten, er tritt hinaus in die Sichtbarkeit. Damit entfällt die Möglichkeit, in diesen konkreten Gestalten des Geschichtsverlaufs nicht mehr zu sehen als wechselnde Köstüme, Fassade, Aussenseite, die, an sich gleichgültig und wertlos, nur einen dahinterstehenden, sich gleichbleibenden Wert- gehalt . Nein: gerade in dieser sichtbaren (vgl. Hegel: „Manifestation!) (Ranke) Gestalt muss Gott gesucht und gefunden werden. So erhält die sichtbare Gestaltung d. geschichtl. Welt eine Würde, die ihr noch nie so zu teil geworden war. Geschichte ist nicht nur Schaugepränge! Diese Anerkennung der konkreten Gestalt ist als solche zugleich Anerkennung der Mannigfaltigkeit der Gestalten. Für die Auf- klärung, für Rousseau war diese Mannigfaltigkeit ent- weder gleichgültig oder gar anstössig: Trübung des einen identischen Vernunft – oder Naturgehalts. Für Herder ist diese Mannigfaltigkeit gerade ein Beweis für die Göttlichkeit des in ihr sich Offenbarenden. Das wäre eine ärmliche Gottheit, deren Wesen sich in einem einzigen Sinngehalt erschöpfen! Unerschöpfl. Lebens.- und Schaffensreichtum ist das Wesen d. Gottheit. Je mannigfaltiger das menschl.-geschichtl. Leben sich ausgestaltet, um so klarer bezeugt es seinen göttl. Charakter. Das Göttliche strebt fort zu immer neuen Protens“. Formen. Es ist unendliche Selbstbesonderung in im- mer neuen Gestalten. Leibniz’ principium indivi- dualismus auf die Geschichte angewandt! Herders ver- stehender Blick für Individualität der Gestaltung (ästehetisch!) erlebt sich als Schau Gottes. Die Einheit des Themas „Humanität“ lässt nicht nur die Vielheit der Ausprägungen offen: sie verlangt nach ihr. Jede Monotonie der Sinnbestimmung ist damit ausge- schlossen. Humanität und Volkheit schliessen sich nicht aus! Besonders hart stösst Zu besondern Schwierigkeiten diese Auffassung mit der Annahme einer zielgerichteten Entwicklung zusammen. Dieses Schema birgt eine Entwertung der früheren Stufen zu gunsten der spätern und allen Stufen zu gunsten der letzten mit sich. „überwundene“ Standpunkte“. Aber wenn Gott überall zugegen ist – wie wäre dann diese Wertabstufung, zu ertragen! Jede Epoche, ob früher oder später, ist grundsätzlich gleich gottnahe, gott- erfüllt, von Gott „durchfühlt“. Geschichte ist gleich- sam immer am Ziel, nie bloss auf dem Wege. Jede Epoche ist in sich, in ihrer Sonderart, Darstellung göttlich Lebens. Beispiel der Lebensalter. Jede Phase hat ihren „Mittelpunkt in sich selber, wie die Kugel den Schwerpunkt“: ihre Tugend, ihre Glückseligkeit, ihre schöpferkraft. Und wenn eine spätere Epoche vor einer frühern etwas voraus hat („Fortschritt“), so <....> näher. Prüfung, dass sie ihren Vorzug mit einer „Pri- vation“ bezahlen muss. Weder das Frühe (Urzeit, „Natur“ u.s.w.) noch das Späte (Aufgeklärtheit) hat einen grundsätzlichen Vorzug. Individualität ist Gestalten und Beschränkung zugleich. Kontur kann nur das haben, was nicht alles zugleich sein will. Göttliche Vollkommenheit ist nur in dem Zusammenspiel aller Gestalten, nicht in einer ein- zelnen. Herders Gang durch die Geschichte. Rehabi- litierung missachteter Zeiten (Orient, Ägypten, „go- tisches“ Mittelalter) – Zurückstellung verabsolutierter Zeiten (Griechenland) – kritisches aufklärerisches Dun- kels. „Kinderwege“. Niemals zuvor hatte sich das Bewusstsein d. geschichte mit so metaphysischer Wucht ausgesprochen. Erst jetzt ist die antike Metaphysik der unbewegten Formen 14 durch eine Philosophie des geschichtl. „Lebens“ überwunden. Die geschichtl. Individualität im Neben – und Nach einander ist metaphysisch geweiht. Freilich treten nun auch schon bei Herder die innern Schwierigkeiten dieser Auffassung deutlich hervor. Sie <....> vor allem in dem Verhältnis zwischen der Einheit des göttl.- geschichtl. Lebens und der Vielheit seiner Gestaltwer- dungen, und zwar vor allem deshalb wird diese un- endlich vielen Gestalten gebildet werden von Wesenhei- ten (Personen, Gemeinsachen, Epochen u.s.w.), die nicht nur für den Betrachter geschlossene Gestalten bilden, son- dern auch sich selbst als Einheiten des Wesens, des Wollens, des Wirkens erleben und betätigen. Notwendig die Frage auf: wie verhält sich dieses individuelle Selbst- zur Macht des Göttlichen? sein zum Strome des Alllebens? Eine rein transcen- dente Gottesanschauung nach Art der augustinischen gelangt hier notwendig zu einer sehr einfachen und radikalen Lösung: der überweltliche Gott ist sowohl Schöpfer als auch Lenker der von ihm geschaffenen Welt; dagegen kann kein Eigenwirken seiner Geschöpfe aufkommen. Sie können nur den von ihm entworfenen Weltplan ausführen. Ein eigenständiges Wissen und Wirken gibt es nicht. Sie wissen durch seine Offenba- rung von dem allgemeinen Weltplan. Dagegen ist der Einzelne in bezug auf sein persönl. Los (Seelenheil) bar jedes Wissens und jeder Wissensmöglichkeit. D. Gedank. d. „Prädestination“: Konsequenz die d. Weltgeschehens. Aber so kann es nicht bleiben, wenn, wie bei Herder, Gott aus seiner Aussenweltlichkeit herniedersteigt und sich in das irdisch-geschichtl. Leben ergiesst. Denn dann ist die Geschichte nicht mehr ein v. oben dirigiertes Getriebe blinder Vollzugsorgane. Irgendwie muss doch dies göttliche Leben mit dem Eigenleben derjeni- 15 gen Wesen, in denen es sich offenbart, eins werden. Wollte es dies Eigenleben radikal auslöschen, so würde es ihm ja damit gerade die Würde, die Eigenheit, die Selten- heit nehmen, die es erst geeignet wird, Dar- „imago die“ stellung göttlichen Lebens zu sein. Willen- und wissenlose Marionetten können nicht göttlichem Leben zum Ausdruck dienen. Aber eben damit erhebt sich hier die zentrale Frage: wie verhält sich denn das Eigenwesen und Eigenleben der menschl. Gestalten im Kleinen u. Grossen zu dem göttlichen Alleben, von dem es durchflutet wird? Im Grunde kann sie ja weder vollkommen eins sein (denn dann würde das Einzelne im Ganzen evrschwinden) noch können sie vollkommen getrennt ein (denn dann wäre das Göttliche wieder und das Menschliche ungöttlich) Man mache sich klar, dass die hier auftauchende Schwierigkeit mehr ist als Folgerung einer bestimm- ten theolog.-philos. Theorie. Sie ist der gedankl. aus- druck einer dem denkenden Menschen geläufigen Erfahrung. Auf der einen Seite erlebe ich mich als individuales Subjekt mit meinen eigenen Lebens- horizont, mit selbsteigenem Denken, Planen, Wollen, selbstwissend und selbsthandelnd, freiwirkend. Aber zugleich und in einem erlebe ich mich doch auch, in meinem selbsteigenen Tun, als getragen von einem gewaltigen Strom überpersönlichen Lebens, der über den Horizont meines <....> Wirkens unabsehbar weit hinausreicht, der heranwogt aus dem Dunkel einer unabsehbaren Vergangenheit und weiterströmt in das Dunkel einer unbekannten Zukunft. Herder hat, im Unterschied v. d. Aufklärung, die allenthal- ben nur das zweckbewusste Handeln wollender , das Wollen dieser überpersönlichen 16 Mächte stark verspürt und eindringlich dargestellt. In ihnen hat er das göttliche Alleben zu verspüren zwei Formen! gemeint. Aber nun hat er bemerkt, dass diese überpersönlich Mächte zwar in bestimmten Formen und Gestalten sich mit dem individuellen Sein und Wollen nicht nur harmonisch , son- dern ihn sogar recht zur Entwicklung verhelfen. Er fand diese Harmonie in dem Leben der wachsinnlich-organisch entstehenden und sich fortbildenden Mächte wie Sprache, Mythos, Reli- gion, Urpoesie, die niemals aus zweckbewusstem Einzelwollen entstehen doch sich dem Einzel- leben . Wenn wir unser Teilhaben an diesen Mächten betrachten, dann sehen wir: in jedem von uns lebt und wirkt unendlich viel mehr als bloss Persönliches. Wir fühlen uns erfüllt, genährt, „durchhaucht“ getrieben v. göttlichem , das nur nicht von aussen stösst, sondern mit unserem Innern eins ist. Wäre alles Überpersönliche von dieser Art, dann gäbe es für diese Theorie keine Schwierigkeiten. Aber leider ist es nicht so. Das Individuum erlebt und erfährt das überpersönl. Leben der geschichtl. Mächte nicht nur in harmonischen Verschmelzungen mit seinen persönl. Dasein Schicksal, sondern auch als <Über....> durch ein übermächtiges Schicksal, das so weder gewusst und geplant noch gewollt wurde. Geschichte kann auch der <....strom> sein, in den das Einzelwesen wehrlos hinein gerissen wird. Herder hat sehr wohl gesehen, welches die geschichtl. Mächte sind, in denen und durch die sich dies Schicksal vor allem gestaltet. Es sind die Zusammenstellungen des handelnden Wil- lens – im Gegensatz zum unbewussten Wachstum! – dern höchste Form d. „Staat“ heisst. Indem Vielheiten von individuellen Wesenszentren sich zu Einheiten des Han- deln zusammenstellen, kann es nicht anders sein, als dass 17 Ordnungen entstehen und Aktionen stattfinden, hinter denen der Einzelne mit seinem Wesen u. Wollen ver- schwindet. Und in dem diese Gesamtsubjekt aufstehen und sich den Lebensraum streitig machen, kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in nach dem denen erst recht das Individuum seinem Wohl und Wehe, seinem Wollen, seinem Leben nicht gefragt wird. Herders Erfahrungen mit dem absoluten Staat seiner Zeit. Und wie das Wirken, so ist auch das Wissen des Einzelnen in diesem Gesamtprozess d. Geschichte kläg- lich beschränkt, nach rückwärts wie nach vorwärts. Wie diese Schicksale sich im Laufe der Jahrhunderte u. Jahrtausende zusammengebaut haben, und wie sie sich in die Zukunft hinein gestalten werden – das ist uns im Tiefsten dunkel. Unser Lebenshorizont liegt wie ein winziger Lichtkreis innerhalb des Dun- kels eines ungeheuren Ozeans, dessen Wogen uns hierhin und dorthin tragen. Man kann sagen, dass wir Heutigen diese zwei widersprüchlichen Aspekte des geschichtl. Daseins in ihrer ganzen Gegensätzlichkeit erleben, wie kein Ge- schlecht vor uns. Auf der einen Seite ist die helle Bewusstheit und rationale Klarheit in d. Gestaltung des eigenen Daseins so hoch entwickelt wie noch nie. Es ist, gelungen Millionen planmäßig zu ordnen, zu leneken, zu versorgen, zu organisieren, zu Aktionen zu vereinigen; nichts bleibt dem ungelenken Wachstum überlassen, alles wird „erfasst“, dazu die Natur ganz u. gar d. Menschen unterworfen. Es sieht so aus, als sei d. Mensch erst jetzt wirklich mündig geworden und habe sein Schicksal ganz in seine Hand bekommen („Fortschritt“). Aber auf der anderen Seite ist dieser Riesen- apparat für den Menschen selbst wider Schicksal geworden und reisst den Menschen, auch den höchstge- stellten, in seinen eigenen hinein. Durch uns d. Golem 18 hindurch lebt sich ein Übermächtiges aus. Druck eines unabwendbaren Faktums, das doch selbst geschaffen ist! Nach Herder ist dies <Überpen....> in in sakulari- sierte Form immer wieder ausgesprochen worden: Weltseele, „Kulturseele“ (Spengler), Rassenseele, Volks- seele, (Eucken), Paideuma () u.s.w. – Je mehr Herder sich diesem Gegensatz und Ab- stand zwischen d. überpersönl. Mächten der Geschichte und dem Wissen und Wollen des Einzelnen zum Be- wusstsein bringt, um so stärker kommt in ihm ein theologisches Denken zu Wort, durch das er sich der au- gustinischen Position wieder annähert. Er stellt dann einander gegenüber den Menschen als „In- sekt einer Erdscholle“, „Ameise, die auf dem grossen Rade des Verhängnisses kriecht“, „Fliege“, „immer nur (!) Werkzeug“ – und den „Bauplan allmächtiger Weisheit“, die „Absicht der Vorsehung“ – oder er stellt geradezu ne- beneinander „Zufall, Schicksal, Gottheit“. „Begeben- heiten, die über alle menschlichen Kräfte und Aussichten gingen“. Hier sieht er also das Wissen und Wollen der Individuen in unendl. Abstand von Wissen und Wol- len der Gottheit. So bewegt sich sein Denken ohne klare Entscheidung zwischen zwei Extremen: har- minisches Ineinanderweben von göttl. und menschl. Leben und Gegensatz zwischen menschl. Beschränkt- heit und göttlichen Allwalten. Teilhabe am göttlichen Wissen und Ausgeschlossenheit von jeglichen Wissen. Logisch ist dieser Widerspruch sehr unbefriedigend. Psychologisch von tiefster Wahrheit. Denn in diesem Doppelaspekt sieht sich d. Mensch, zumal d. moderne Mensch, immer wieder. Man sieht: in dem d. Begriff d. göttl. Offenbarung sich v. den direkten Glaubenszeugnissen auf das Ganze des zeitlichen Lebens ausdehnt, geht die Ein- 19 deutigkeit und Sicherheit der Deutung verloren, die das gläubige Vertrauen zu jenen im Gefolge hat. Herder hat nicht mehr die Sicherheit ursprüngl. Glau- bens und noch nicht die Sicherheit des Wissens, das Philosophie nach ihm in der Ergründung des welt- histor. Logos, der Idee, glaubt gewinnen zu können. Lehrreicher Zwischenzustand! Aber die Durchführung der panentheistischen Ge- schichtsauffassung stösst noch auf einen zweiten Kreis von ebenso gewichtigen Schwierigkeiten. Gewiss findet der Blick auf die Menschenwelt genügend Wesensart, Taten und Werken, in denen man die Manifestation des Göttlichen sehen kann: eben der Inbegriff der „Hu- manität“! Sittliche Güte und Genialität des Schaffens, Taten und Werke. Aber wie vieles steht daneben, was un- und widergöttlich heissen muss! Und wenn irgend einer, so muss d. Gläubige, der , dies alles sehen. Und Herder hat es gesehen, zumal in d. Phase seines geistigsten Glaubenslebens: Torheit, Roheit, Aberglaube, Fanatismus, Hass, Grausam- keit, Machtgier, Gewalttat! Ein Pandämonium unbändiger Leidenschaften. Ihr Werk: Blut und Tränen! Geschichte nimmt ihren Weg „über Millio- nen von Leichname“. Selbst das Christentum ist nur auf in Durchsetzung mit diesem allzu menschlichen! Noch spät, im 46. Humanitätsbrief, sagt sich Herder: „Die grössten Verändeungen der Weltgeschichte sind von Halbwahnsinnigen bewirkt worden, und zu mancher rühmlichen Handlung ....gehört wirklich ein Art bleibenden Wahnsinns.“ Widerum sieht Herder diese düsteren Mächte sich an einer bestimmten Stelle konzentrieren: im Staat: Denn als Werk der Willensenergie ist er zugleich die Stätte, an der die Dämonie der Macht sich am furchtbarsten entfaltet: 20 innenpolitisch als Druck despotischer Herrschaft, aussenpolitisch als Eroberungsgier und der von Herder teif verabscheute Krieg. Dass die „Macht böse ist“, hätte schon Herder sagen können. (Vgl. Augustin!) Eine ästhetisch gestimmte wie Herder musste sich von dieser Seite der geschichtl. Wirklichkeit besonders abgestossen fühlen. Der Staat ist der Antagonist der Humanität. Auf diese Weise wird die geschichtl. Welt schroff in zwei Teile zerfällt. Der un-bekannte Dualismus in neuer Gestalt: Humanität und Macht! Nun mache man sich klar, dass dieser Dualismus im Rahmen der Herderschen Weltansicht eine sehr viel schwierigere Form annimmt. Solange Gott als rein ausserweltliche Potenz gedacht wird, kann alles Negative dieser Welt auf Rechnung ausser- u. widergöttlicher Mächte – sei es des v. Gott abgefal- lenen Menschen, sei es der Satanas – gesetzt werden. Wenn aber das ganze zeitl. Geschehen als Offenbarg. göttl. Lebens gedacht wird . woher dann all diese widergöttlichen Greuel?! Problem d. Theodizee in schärfster Form. Wie wird Herder mit ihm fertig? Seine Antwort: dies alles, unbeschadet seiner sittl. Fragwürdigkeit, hatte seine im Plan Gottes vorgesehene Notwendigkeit. Der Sündenfall „sollte“ sein, denn nur durch ihn wurde d. Mensch über die Stufe der Unschuld hinausgenötigt in die Arbeit der Kultur (So d. Theologe Herder!) Alle jene Ge- brechen sind f. d. Fortgang d. Geschichte notwendige „Vehikel“. Selbst f. d. Christentum waren jene Beimischungen 21 Revolution! notwendig. Vorurteil, Leidenschaft, Wahn als Bedin- gung vollkräftigen Seins und durchschlagenden Wirkens. Nur so Horizontbildung und Echtheit. Gegenbeispiel: die horizontlose und deshalb grei- senhafte Aufklärung. Die „Privation“, die jeder Indivi- dualgestalt anhaftet, umfasst also auch das Negative! Man muss sehen, wie „in allem doch Geist haucht“. Hegelsche Einsichten klingen an: die „List der Idee“, die „Leidenschaften“, die dialektische Einordnung des „Negativen“. Geschichte kennt keinen „stillen Gang“. So ist also nach Gottes Willen d. Mensch: „Hirogly- phe des Guten u. Bösen .... Engel- und Teufelsgestalt, ein „Mittelding“, „verborgenes Doppelgeschöpf“. So wird auch das Widergöttliche v. der Teleologie eines göttlichen Alllebens umspannt. Tragik d. Weltgeschichte, Dämonie des Menschen werden gesehen, und doch ist d. Fluch d. Sinnlosigkeit weggenommen. Realismus des Glaubens! Später in Weimar Verflachung dieser Gedanken und Annäherung an Fortschrittsideale d. Aufklärung. Hinweis auf die Widersprüche, die innerhalb dies. Theodicee d. Geschichte noch verbleiben. Vor allem d. Gottesbegriff schwankt zwischen dem die Welt lenkenden und auch die Sünde als „Ve- hikel“ wollenden Got (aber nicht teilenden!) Gott und dem in die Welt sich ergiessenden Gott, auf dessen Rechnung dann doch auch die Sünde kommt. Drängt dies alles nicht an dem Gottbergiff I. Böhmes und Schellings? Ich habe Herder so ausführlich behandelt, weil er bei aller Unvollkommenheit und Widersprüchlichkeit die entscheidenden Fragen und Motive mit genialer Divergention ausgesprochen hat. Das Folgende kann 22 ich kürzer abmachen. Weg der deutschen Philosophie v. Kant bis Hegel. Entscheidend wichtig ist zweierlei. „Endzwecks“ Erstens: der Gedanke der Einheit des Sinns und des zu erreichenden Ziels tritt wieder stärker hervor. Am klarsten bei Kant und bei Fichte, modifiziert bei Hegel der zwar vom „Fortschritt(!) im Bewusstsein der Freiheit“ spricht, aber auch den Geist „immer präsent“ sein lässt. Ferner: die Sicherheit der Deutung wird wieder herrschend, aber nicht auf Grund Erleuchtung, sondern auf Grund unbedingten Zutrauens zur d. Begriffs Kraft des erkennenden Geistes. Der Philosoph tritt an die Stelle der alles durchschauenden Gottheit. Kant ist noch vorsichtig: sein Entwurf der Geschichte ist „blosse“ Idee. Aber Fichte ist schon gewiss: sein Auge ist nicht „ein Produkt dieser Zeit“, „seine Philosophie ist nicht zu Hause in diesem Zeitalter, sondern „ein Vorgriff der Zeit“! „Ich war es, der es zuerst lebendig einsah“. – Eben- so dachte Hegel über sein Begreifen der Geschichte. Endlich: es herrscht das Schema der Dialektik. Bewegung d. Geschichte durch die Negation hin- durch. Das grossartigste und reichste Geschichtsbild entsteht bei Hegel. Blick f. d. Tragik der Ge- schichte. d. histor. Leidenschaften. Kräftigste Bejahung des von anderen verabscheuten Staates. „ nicht d. Boden des Glücks“. „Leere Sei- ten“. Aber auch hier ist das Resultat eine gewis- se Marionettenhaftigkeit. Die Individuen wer- den vom Logos der Geschichte verbraucht. 23 Den Höhepunkt deutscher geschichtsphilos. Sinn- deutung bildet Hegel. Grösse und inhaltl Richtung seiner Deutung. Ihrer formalen Struktur nach nimmt sie die uns schon bei Augustin entgegengetretenen Züge wieder auf. 1. Es ist ein einziges, gemeinsames Thema, das den Sinn d. Geschichte bildet: „Fortschritt im Bewusstsein d. Freiheit“ – oder, was dasselbe ist: das totale Sichselbst- erfassen des Geistes. Alle individuellen Menschen, Gemeinschaften, Epochen arbeiten als „“ des Weltgeistes an dieser einen Aufgabe mit. 2. Der Sinn setzt sich unfehlbar durch. Auch was ihm scheinbar widerstrebt, das „Negative“ dient seiner Verwirk- lichung, ist sogar zu seiner Verwirklichung unentbehr- lich. „Dialektik“. Grund: weil in Wahrheit der Geist das Ganze ist, kann die Entwicklung, nur in seiner to- talen Selbstdurchsetzung bestehen. 3. Der Sinn wird vom Ziel her verstanden. S. o.: „Fortschritt“. Allerdings auch: der Geist ist „immer präsent, womit die Individualgestalten aus der Rolle des blossen „Mittels“ befreit sind 4. Es gibt ein absolut sicheres Wissen vom Sinn. Der Geist, der um Geschichte weiss, ist ja zugleich das täti- ge Subjekt der Geschichte. Dabei ist dies „zugleich“ noch zu äusserlich. Das in der Geschichte selbst werdende Wissen ist nicht nur das Wissen des Zuschauers, sondern wesentliches, ja zentrales Moment dieses Werdens selbst. Die Differenz zwischen dem Geschehen und dem Wissen um das Geschehen hebt sich zunehmend auf. D. Geist erfasst sich selbst. Allerdings eine tief eingreifende Abwandlung gegen- über den früheren Verwirklichungen! Das volle Wissen um den Sinn des Ganzen ist erst am Abschluss da. Anders kann es nicht sein, da dieses volle Wissen selbst das Telos ist, dem die Entwicklung zustrebt. Das 24 „Sichselbsterfassen“ vollendet sich in dem endgülti- gen Wissen. Teleologie des Wirkens und Teleologie des Wissens kommen zur Deckung. Ferner: dies volle Wissen ist der Philosophie vorbehalten, weil erst in ihr der Geist total „sich selbst erfasst“. Erst in ihr ist „der Geist zu sich selbst gekommen“. D. „Vogel der Minerva“. Die weittragende Konsequenz v. alledem: der Sinn d. Geschichte wird vorwärts getrieben und rea- lisiert durch Subjekte, die von ihm nicht wissen. Diese Konsequenz wird v. Hegel in aller Form ge- zogen: die „List der Idee“ und die „Leidenschaften“. Nur wenige Auserwählte des letzten Aktes wissen, weshalb eigentlich die ganze Mühsal d. Weltgeschichte durchgemacht würde. (So auch schon Kant „Absicht der Natur“) Die tiefe innere Schwierigkeit dieser Auffassung liegt in Folgendem. Die handelnden Träger der Weltgeschichte verrichten ihr Werk ja nicht in absolu- ter Nlindheit. Selbst die höchsgeistigen Leidenschaften sind ja nicht bloss blinde Kraftwirrungen. Auch der Akteur d. Geschichte hat einen „Sinn“ vor Augen, den Begriff des „Handelns“! er realisieren will, handelt aus einer Situation heraus, die er als sinngeladen und sinnfordernd der „Sinnperspektive“ erlebt. Begriff des „Sinnhorizontes“ wird eingeführt. Und diese Sinnhorizonte sind um so weiter gespannt, und um so inhaltreicher, je grösser der Aktions- radius des Handelnden. Sinnhorizonte der Herren, der Epochen, der Völker. Aber was ist nun von diesen Sinnhorizonten zu halten, wenn Hegel recht hat? Sie sind zunächst einmal inhaltlich verschieden von jenem „Sinn d. Geschichte“, um den der Philosoph weiss [Sie sind ferner, da doch uns diese der eigentliche und echte Sinn ist, illusionär. Sie sind nicht Weisen, sondern Selbstvorspiegelung, was sich darin zeigt, dass nicht sie, sondern eben] 25 Dieser Unterschied muss schon deshalb sein, weil ja dieser Sinn ein einziger, universaler ist, während diese individuellen Sinnhorizonte viele und verschie- Vielheit der Situationen des Handelns! dene, ja einander widersprechende sind. Dieser Unterschied ist aber zugleich ein fundamentaler Wert- unterschied. Der vom Philosophen gewusste Sinn ist echter, d.h. „wahrer“, sich realisierender Sinn. Diese vielen Sinnhorizonte sind nicht Wahheit, sondern illusionäre Selbstvorspiegelung, was sich darin zeigt, dass sie nicht realisiert werden. Freilich dürfen sie auch nicht fehlen, denn durch diese Selbstvor- spiegelungen wurden ja die Kräfte mobilisiert und ausgerichtet, durch die der „echte“ „eigentliche“ Sinn d. Geschichte sich realisiert. Die Erzeugung illusionärer Sinnhorizonte ist zur Realisierung des echten Sinn d. Geschichte unbedingt notwendig, und der Philosoph, der um den Sinn und seine Realisierung weiss, weiss auch um Notwendigkeit und Funtkion dieser Sinnillusionen. Sein Blick umspannt beides! Leicht erkennt man in der Unterscheidung und Verbindung dieser beiden „Sinn“-formen die Säkulari- sierung der Unterscheidung des göttlichen Allwissens, das den Sinn d. Geschichte kennt, und den wahn- haften Sinndeutungen, in denen der beschränkte, im Grunde wissende Mensch sich gefällt. Die „Prä- |- Man muss sich die Bedeutung dieser Unterschei- dung einmal an d. eigenen Lebenssituation inner- halb d. Geschichte klar machen. Wir leben doch nicht im Schatten d. geschichtl. Wirklichkeit blind dahin, sondern sind ständig bemüht, unser eigenes Los aus engern oder weiteren Horizont heraus zu verstehen. Wir sind ständig daran, unser Handeln aus vollen Sinnhorizonte heraus zu orientieren. Wir wählen und entscheiden uns xxxx im Erleben solcher Sinnhorizonte. Je gewichtiger die |- destination“ ist damit säkularisiert. 26 1914-1941 !! geschichtliche Stunde ist, in der wir stehen, umso stärker dies Bedürfnis ausgedehnter und inhaltvoller die Horizonte nach rückwärts und nach vorwärts hin. Wir sehen uns als Handelnde im Angesicht v. Jahrhunderten Wert und Gehalt unseres Daseins sehen wir gerade in diese Sinnerfüllung und der in ihr Verantwortung. Und nun wird uns gesagt: was du dir da alles vor Augen stellst, dass ist zwar alles notwendig und heilsam, damit du überhaupt handelst, aber – der Sinn, dem du so zu dienen glaubst, ist garnicht der Sinn, den du an diesem Teile verwirklichen hilfst. Diesen wirklichen Sinn weiss nur – sei es der liebe Gott, sei es der an seine Stelle getretene Philosoph. Ja, es ist sogar nicht zu wünschen, dass du deinen illusionären Sinnhorizont mit jenem echten Weisen vertauschst, denn dann wären ja viel- leicht deine Tatleidenschaft nicht so mobilisiert worden wie es durch deine Illusionen geschieht. Es bleibt also bloss bei der besagten Unterscheidung. Bei dieser Anwendung auf uns selbst zeigt sich, was uns die Unterscheidung zwischen dem einen, wirklichen Sinn d. Geschichte und den vielen , parti- kularen und zugleich illusionär. Sinndeutungen der Geschichte so anstössig und schwer erträglich macht: wir fühlen uns einerseits als Marionetten, die Bewegungen ausführen, die ausserhalb ihren Ursprung haben, andererseits als Opfer einer Täu- schung, die wir uns selbst bereiten. Und dies alles, obwohl wir das nicht wegzuredende Bewusst- sein haben: dieser von uns selbst erlebte, unser Vermuten bestimmende Sinn – dieser Sinn, für den wir uns einsetzen, für den wir leiden, unter Um- 27 ständen sterben, ist doch gerade Zentrum und Gehalt unseres höheren Lebens. Wer ihn zur Illusion de- gradiert, der nimmt uns das Beste aus unserem Leben. Wir wollen nicht für ein Sein bluten, dem wir nur als nichtwissende Werkzeuge dienen. Dann wäre es ja tausendmal besser, ganz blind, wie das Tier. Besser blind als verblendet! d.h. von jeder Sinndeutung leer zu sein, als sich von Sinndeutungen erfüllen u. leiten zu lassen, in denen man dann doch erkennen muss. Auch wenn man den „echten“ Sinn aus dem Geist des Philosophen in den Geist des allwissenden Gottes zurückschiebt, auch von den Voraussetzungen des transcendenten Gottes aus bleibt d. gleiche Schwierigkeit. Wenn denn Gott nun einmal den Menschen so geschaffen hat, dass er nicht wie das Tier dem Druck des Instinkts gehorcht, sondern mit klarem Blick und zielgerichtetem Wollen sein Dasein gestaltet, wenn er ihn nicht nur die Fähig- keit, sondern auch das unablegbare Bedürfnis mitgegeben hat, aus Sinnhorizonten heraus zu handeln, dann kann es doch nicht der Wille desselben Gottes sein, dass sein „Ebenbild“ in Gestalt dieser Sinnhorizonte blosse Illusion erzeugt, die ihn zwar zu dem von Gott gewünschten Ver- halten antreiben, aber doch zugleich über den Sinn und Zweck dieses Verhaltens täuschen. Dann wäre d. Mensch ja Opfer eines von seinem Schöpfer geüb- ten Betrugs. Nein: hat xxx Gott im geschichtl. Men- schen ein aus Sinnhorizonten handelndes Wesen geschaffen, dann können diese Horizonte nicht getrennt sein von dem in d. Geschichte „wirklich“ waltenden Sinn: sie müssen Teil, Ausdruck , Wissende, Mitwirkung, an dem echten, wirklichen, eigentlichen Sinn sein, oder das Menschenlos wird zu einer unerträglichen Farce. 28 Dieser Einwand ist entsprungen aus einer Denk- art, die auf die Grundposition der Herderschen Ge- schichtsschau zurückgreift: jede Gestalt hat ihren Mittelpunkt in sich selber. Dass sie es hat, das be- weist sie auch und gerade dadurch, dass sie sich ihren Sinnhorizont bildet und innerhalb dieses Horizonts sinnt und handelt. Diese Indi- vidualität wäre zum Schein und Blendwerk er- niedrigt, wenn ihr Horizont nur Illusion, Selbst- vorspiegelung wäre und der echte Sinn sich in ihrem Rücken verwirklichte. Es lässt sich feststellen, dass auch Herder an eine relativ., Sinndeu- kein tung, die weder absolut-göttliches Wissen, aber auch nicht Illusion ist, geglaubt hat. „Kant u. Herder“ S. 249. Einwand: Einheit des Sinns zersplittert! Einheit und Zusammenhang des Sinns wird durch Anerkennung der individuellen Sinnperspek- tive nicht zerstört. Wir betrachten dies zunächst an der Vielheit der Sinn perspektiven, die einem und demselben geschichtl. Subjekt, sei es nun Einzelper- son oder Gemeinschaft, beschieden sind: also an dem Wandel der Sinnhorizonte. Zum Wesen des Lebens gehören die fortgesetzte Verschiebung der Situationen, damit der Bedingungen des Handelns, damit der Sinnperspektiven. Dargetan an dem schon vor Her- der herangezogenen Beispiel des Einzellebens. Nicht nur der Mensch als solcher wandelt sich im Heran- wachsen, sondern auch seine Lebenssituation. In jeder Lebenssituation gehört der bestimmte Sinnho- rizont, mit Rückblick in die Vergangenheit und Vor- blick in die Zukunft. Letzteres nicht nur im Sinn blos- ser Betrachtung (Vermutung, Hoffnung, Befürchtung), sondern vor allem deshalb, weil d. Wille des Handelnden sich als diese Zukunft mitbestimmenden Faktor weis. So ist im- mer das Ganze des Lebens in diesem Horizont vertreten: eben deshalb „Geschichte“ u. nicht bloss Erleben eines Einzelfaktums oder einer Einzelphase. Indem nun das Le- 29 immer das Ganze des Lebens! (= „Geschichte“). blick in die Zukunft. Letzteres nicht nur im Sinne blos- ser Betrachtung (Vermutung, Ahnung, Hoffnung), sondern vor allem deshalb, weil der Wille des Handelnden sich dieser Zukunft entgegenstreckt und sich als mit bestimmen- den Faktor diese Zukunft weiss. Indem nun das Le- ben vorrückt, Zukunft Gegenwart und Gegenwart Vergan- genheit wird, wandeln sich die Situationen, die Ausgangs- lagen des Handelns und damit die Sinnhorizonte, Aber ist dieser Wandel einem kaleidoskopartigen Wechsel unverbundener Bilder gleichzuachten? Fällt das Leben auseinander? Nein: Streitigkeit im Wandel auch bei stärksten Umschlägen. Und zwar schon aus dem immer dasselbe Ganze, nur in veränderter Perspektive! Grunde, weil alles in die Vergangenheit Übergetretene als ein unverändertem Bestand v. „Tatsachen“ in der Er- innerung beharrt. Wenn mit d. Vorrücken d. Leben in die Zukunft hinein der Sinnhorizont sich verschiebt, so bleiben diese Tatsachen als solche bestehen; was sich an ihnen wandelt, das ist nur die Beurteilung ihrer Bedeutung im Ganzen dieses Lebens. Vergleich mit einer Landschaft in wechselnder Beleuchtung. Wir Älteren, die wir den Wandel uns. Daseins seit 1914 erfahren haben, wissen um diesen Wandel der Deutung. Sollen wir „hinter“ diesem von uns selbst erlebten und tätig verwirklichten Sinn noch einen uns unbe- kannten „eigentümlichen“ Sinn unseres Lebens annehmen? Einen Sinn, der „einer“ wäre im Unterschiede von den vielen von uns erlebten und vollzogenen Deutungen? Aber in diesen Deutungen lag und liegt doch der tiefere Gehalt unseres Dasein, und dass sie viele und nicht ein einziges sind, das liegt eben im Wesen des Lebens, das keine Monotonie kennt, sondern sich ewig er- neut; dass manche dieser Deutungen durch die Entwick- lung d. Dinge über d. Haufen geworfen wurde, dass der Wille so oft die Zukunft nicht die von ihm erstrebte Ge- stalt ausprägte – das ist ebenfalls adäquat er Aus- 30 druck menschl. Daseins, das niemals gottgleich ist. Mein Lebenssinn ist das stetige Gefüge der in mir sich fortund fort erzeugenden Lebensdeutungen, ein- geschlossen die Bestätigungen und Wiederlegungen, die meinen Deutungsversuche erfahren haben, die ich doch auch immer wieder in meine neuen Deutungen auf- zunehmen habe. Also: nichts „hinter“ dem Er- lebten suchen! „In“ mir lebt und wirkt sich d. Wirklichkeit. Übertragung dieser Ergebnisse auf die grossen Gesamtsubjekte d. Geschichte: die Völker! Gleichfalls immer dasselbe Ganze. Wandel der Sinnhorizonte im Fortrücken des Geschehens, zumal in allen kritischen Wendungen und Umschlägen. Gleichfalls das Vergangene als beherrschender Bestand fester Daten – wechselnde Sinndeutung und Beleuchtung. Gleichfalls zu- sammenhang mit der im Vorgriff des Wollens erfasten Zukunft. Wechselbeziehung v. Zukunftswollen u. Vergangenheitsdeutung. Vergangenheit als Vorbereitung und Anbahnung erstrebter Zukunft. Und auch hier ist nicht hinter dem erlebten und erkämpften Sinn ein „eigentümlicher“ Sinn anzunehmen. Das Leben des Volks besteht in diesem Ringen von Sinnverwirkli- chung. Stetigkeit im Wandel ist Leben des Volks. Wir haben bisher von d. Vielheit der Sinnperspekti- ven gesprochen, die sich im Leben eines und desselben Subjekts anreihen. Aber die Geschichte umfasst ja eine unabsehbare Vielheit v. Subjekten, persönlichen und überpersönlichen. Und entsprechend vervielfälti- gen sich die Sinnperspektiven. Jedes Subjekt hat sei- nen besonderen Standort und mit ihm seine eigenen „Sichten“. Sie weichen nicht nur voneinander ab, sie stehen vielfach in direktem Widerspruch zueinander. Demonstriert am Enzelleben. Wie oft treten einander Deutungen und Wollungen gegenüber, von denen die einen nur der anderen, durch Überwindung Fortsetzung in Feld "Kommentar"