Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor V 0046
TitelErleben - Schaffen – Lernen.
Enthälths; Dopplblatt + 3 Blätter 11 x 14,8 cm = Titelblatt + S. 1-6
Zeitvon1932
Zeitbis1932
BemerkungenDokumentenabschrift: Titelseite Erleben – Schaffen – Lernen. (Rundfunk 1932) 1 „Erleben – Schaffen – Lernen.“ Man kann aus den 3 termini die ganten Schicksale der päd. Reform seit etwa 3 Jahr- zehnten entwickeln – so zwar, dass zunächst Begriff I und II polemisch gegen den Begriff III ausgespielt werden, dann aber die Not- wendigkeit erkannt wird, über diese äussere Entgegensetzung hinauszukommen. „Er- lebnisschule“, „Arbeitsschule“ gegen „Lernschule“. Die letzten = d. „alten Schule“, d. i. der re- zeptiven, der Eintrichterungsschule, in der nicht „erlebt“, nicht „geschaffen“ wird, weil eben alles hingenommen, „angeeignet“ werden muss. Die Begriffe „Erleben“ und „Schaffen“ erhalten aus dieser polemischen Haltung einen Sinn: „Erleben“ ist die Unmittelbarkeit und ergriffenheit im Gegensatz zur Mittelbarkeit des in Gestalt v. fertigen Begriffen und Sät- zen Dargebotenen – „Schaffen“ die Selbstbe- tätigung, das „Selbstmachen“ im Gegensatz zum Entgegennehmen eines schon völlig Zubereiteten – und „Lernen“ ist dann eben das unproduktive Aufnehmen. Allgemeiner Hintergrund dies. Po- lemik: In gereifter Kultur wird d. Mensch 2 Übersichtlichkeit immer mehr v. d. naiven Selbstverständ- lichkeit d. Lebens abgedrängt. Ein Apparat Überlieferungen Worten v. Einrichtungen, Vorkehrungen, Erkenntnissen, Normen z.T. sehr künstlicher Art baut sich vor ihm auf und verbaut ihm gewissermassen d. Aus- Alles „aus zweiter Hand“ blick auf d. eigentl. Leben. Das Dasein des Technik! Grossstädters (im Gegensatz zu dem Bauern) als Beispiel! Die Pädagogik des „Lebens“ weil (schon seit Jahrhunderten!) Heilmittel sein: Begriff d. „Anschaung“ (seit ) als Konzentration dieses Bestrebens. Skala: An- schauen v. Bildern (statt Worten), Anschauen d. wirklichen Dinge, tätiger Umgang und d. Dingen (Arebeitsschule) „Erleben“ und „Schaffen“! Jene trennende Schicht v. Mittelbarem soll durchstossen werden. Abgeleitetem Nun aber mussten alle Pädagogen d. „Erleb- nisses“ in alter und neuer Zeit dieselbe Er- fahrung machen: es ist nicht so, dass mit dem Durchstossen zur Unmittelbarkeit des Anschau- lichen und Erlebbaren jener ganze Apparat d. Kultur, der Zivilisation, des Wissens, dahin- sogar Rousseau! fiele und überflüssig würde! Es ist möglich, dass Einzelne od. Gruppen dieser Kultur ausweichen, so wie Rousseau es anriet und die Jugend- bewegung es ausführte: sie sind dann der „Natur“ nahe im „Erlebnis“ des kosmischen Ein- klangs. Aber die Gesamtheit könnte nicht so ver- 3 fahren, ohne sich selbst äusserlich zu rui- nieren und innerlich zu barabrischem – wie denn in Wahrheit jene äusser- lich und innerlich von der verdammten Kul- tur zu zehren nicht aufhören. Dieselbe Not- wendigkeit müssen auch die „Erlebnis“- Schulen verspüren: es gilt doch schliesslich, das Kind nicht in eine kulturferne Sphäre Weltflucht, sondern in diese unsere gesell- schaftl. geistige Welt hineinzuführen. Eine „Erlebnis“schule will u. soll auch Lebensschule, d.h. Schule für dieses unser gegenwätiges Kul- turleben sein. In eben dem Masse aber, wie diese Einsicht durchdringt, wandelt auch d. Begriff des „Lernens“ seine Bedeutung. War er zunächst Bezeichnung für das Feindliche und Hem- mende, das im „Erlebnis“ überwunden werden muss, so zeigt sich jetzt, dass Kinder einer ausgereiften Kultur einfach deshalb „lernen“ müssen, weil sie anderenfalls dieser Kultur unfähig zum Verstehen und Handeln gegen- überstehen würden. Bliebe sie beschränkt auf das, was von ihnen unmittelebar „erlebt“ und „geschaffen“ werden kann, so würden sie nur einen kleinen Bezirk innerhalb der Lebenswirklichkeit über- Primitivismus! sehen und beherrschen. Sollen sie diese Wirk- lichkeit überschauen, so muss ihnen Manches mitgeteilt und aufgezeigt werden, was nun wirklich hingenommen und „gelernt“ werden muss. 4 So gewinnt d. verpönte Begriff des Lernens einen neuen pädagogischen Wichtigkeitsakzend und es mildert sich die Schärfe des Gegensatzes. Pädagogisch entscheidend ist nun die Frage, ob die pädag. Welt in zwei Teile zerfallen soll – „Erleben“ und „Lernen“ – oder ob hier nicht eine innerli- che Vereinig. erstrebt werden soll. Die Antwort kann d. erfahrenen Pädagogen nicht zweifelhaft sein. Eine Zweiteilung d. pädag. Einwirkung muss vermieden werden. Vielmehr kann die Aufgabe nur die sein, so viel wie möglich v. d. Intensität des „Erlebens“ und „Selbstschaffens“ in die Sphäre des „Lernens hinüberstrahlen zu lassen. Es gibt doch eben ein totes und ein beseeltes „Lernen“! Im Ma- nuellen wie im Geistigen. Zwar bin ich d. Meinung, dass d. Ausdruck „schaffendes Lernen“ mit einem inneren Widerspruch behaftet ist, aber etwa Richti- ger deutet er an: die Forderung, in den Pro- zess des Lernens viel zu innerer Bewegtheit und Anteilnahme hineinzulenken wie nur möglich – so wie , in die Bewegtheit des „Erlebens“ das feste Gerüst des zu „Erlernen- den“ einzubauen. Es gibt eben doch ein Mittle- res zwischen totem Aufnehmen und rei- Altersstufe . nem Selbstschaffen. Diese Mitte zu treffen ist die Sache einer Veranstaltung, der die Erleb- nispädagogik zunächst mit Leidenschaft den auch sie ein künstlich Mittelbares! Krieg ansagt: der Schule, und zwar sowohl im Unterricht als auch im inneren Leben. Je mehr die Pädagogik den Sinn des „Lernens 5 wieder anerkannte, um so deutlicher trat auch wieder die Funktion der Schule hervor. Sie ist gerade deshalb nötig, weil das zu „Erlernende“, das das Kind in seiner Lebensgestalt noch nicht erfassen könnte, „erlebbar“ gemacht werden muss. Ein vereinfachtes Modelld. Lebens, mit dem das Kind sich „erlebend“ und „schaf- fend“ auseinandersetzen kann. Die „Lebens- ferne“ d. Schule ist Kehrseite dieser ihrer pädagogischen Zubereitung, Anpassung an d. kindl. Seelenstand Naheliegendes Beispiel: die Lebensform d. Schule selbst als verkleinertes und vereinfachtes, dem jug. Dasein angepasstes „Modell“ d. gesetzlich gere- gelten Lebensordnung (Schleiermacher, Hegel). In d. Lebensform (d. „künstl.“) d. Schule kann d. Schule „erlebens“ und „schaffend“ an einem solchen Ganzen teilhaben und damit „lernen“, was später das Leben fordert. Eine einfache Nachahmung d. gesellschaftl. Lebens (Parlamentspielerei) wäre das Gegenteil dieser Modellfunktion: hier wird nicht echt „erlebt“, sondern spielerisch – unverstanden