Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Titelseite
Erleben – Schaffen – Lernen.
(Rundfunk 1932)
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„Erleben – Schaffen – Lernen.“
Man kann aus den 3 termini die ganten
Schicksale der päd. Reform seit etwa 3 Jahr-
zehnten entwickeln – so zwar, dass zunächst
Begriff I und II polemisch gegen den Begriff
III ausgespielt werden, dann aber die Not-
wendigkeit erkannt wird, über diese äussere
Entgegensetzung hinauszukommen. „Er-
lebnisschule“, „Arbeitsschule“ gegen „Lernschule“.
Die letzten = d. „alten Schule“, d. i. der re-
zeptiven, der Eintrichterungsschule, in der nicht
„erlebt“, nicht „geschaffen“ wird, weil eben alles
hingenommen, „angeeignet“ werden muss.
Die Begriffe „Erleben“ und „Schaffen“ erhalten
aus dieser polemischen Haltung einen
Sinn: „Erleben“ ist die Unmittelbarkeit und
ergriffenheit im Gegensatz zur Mittelbarkeit
des in Gestalt v. fertigen Begriffen und Sät-
zen Dargebotenen – „Schaffen“ die Selbstbe-
tätigung, das „Selbstmachen“ im Gegensatz
zum Entgegennehmen eines schon völlig
Zubereiteten – und „Lernen“ ist dann eben
das unproduktive Aufnehmen.
Allgemeiner Hintergrund dies. Po-
lemik: In gereifter Kultur wird d. Mensch
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Übersichtlichkeit
immer mehr v. d. naiven Selbstverständ-
lichkeit d. Lebens abgedrängt. Ein Apparat
Überlieferungen Worten
v. Einrichtungen, Vorkehrungen, Erkenntnissen, Normen z.T.
sehr künstlicher Art baut sich vor ihm auf
und verbaut ihm gewissermassen d. Aus-
Alles „aus zweiter Hand“
blick auf d. eigentl. Leben. Das Dasein des
Technik!
Grossstädters (im Gegensatz zu dem Bauern)
als Beispiel! Die Pädagogik des „Lebens“ weil
(schon seit Jahrhunderten!) Heilmittel sein:
Begriff d. „Anschaung“ (seit ) als
Konzentration dieses Bestrebens. Skala: An-
schauen v. Bildern (statt Worten), Anschauen
d. wirklichen Dinge, tätiger Umgang und d.
Dingen (Arebeitsschule) „Erleben“ und „Schaffen“!
Jene trennende Schicht v. Mittelbarem soll
durchstossen werden. Abgeleitetem
Nun aber mussten alle Pädagogen d. „Erleb-
nisses“ in alter und neuer Zeit dieselbe Er-
fahrung machen: es ist nicht so, dass mit dem
Durchstossen zur Unmittelbarkeit des Anschau-
lichen und Erlebbaren jener ganze Apparat
d. Kultur, der Zivilisation, des Wissens, dahin-
sogar Rousseau!
fiele und überflüssig würde! Es ist möglich, dass
Einzelne od. Gruppen dieser Kultur ausweichen,
so wie Rousseau es anriet und die Jugend-
bewegung es ausführte: sie sind dann der
„Natur“ nahe im „Erlebnis“ des kosmischen Ein-
klangs. Aber die Gesamtheit könnte nicht so ver-
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fahren, ohne sich selbst äusserlich zu rui-
nieren und innerlich zu barabrischem – wie
denn in Wahrheit jene äusser-
lich und innerlich von der verdammten Kul-
tur zu zehren nicht aufhören. Dieselbe Not-
wendigkeit müssen auch die „Erlebnis“- Schulen
verspüren: es gilt doch schliesslich, das Kind
nicht in eine kulturferne Sphäre Weltflucht, sondern in diese unsere gesell-
schaftl. geistige Welt hineinzuführen. Eine
„Erlebnis“schule will u. soll auch Lebensschule,
d.h. Schule für dieses unser gegenwätiges Kul-
turleben sein. In eben dem Masse aber, wie diese
Einsicht durchdringt, wandelt auch d. Begriff des
„Lernens“ seine Bedeutung. War er zunächst
Bezeichnung für das Feindliche und Hem-
mende, das im „Erlebnis“ überwunden werden
muss, so zeigt sich jetzt, dass Kinder einer
ausgereiften Kultur einfach deshalb „lernen“
müssen, weil sie anderenfalls dieser Kultur
unfähig zum Verstehen und Handeln gegen-
überstehen würden. Bliebe sie beschränkt auf
das, was von ihnen unmittelebar „erlebt“ und „geschaffen“
werden kann, so würden sie nur einen kleinen
Bezirk innerhalb der Lebenswirklichkeit über-
Primitivismus!
sehen und beherrschen. Sollen sie diese Wirk-
lichkeit überschauen, so muss ihnen Manches
mitgeteilt und aufgezeigt werden, was nun
wirklich hingenommen und „gelernt“ werden muss.
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So gewinnt d. verpönte Begriff des Lernens einen
neuen pädagogischen Wichtigkeitsakzend und
es mildert sich die Schärfe des Gegensatzes.
Pädagogisch entscheidend ist nun die Frage, ob die
pädag. Welt in zwei Teile zerfallen soll – „Erleben“
und „Lernen“ – oder ob hier nicht eine innerli-
che Vereinig. erstrebt werden soll. Die Antwort
kann d. erfahrenen Pädagogen nicht zweifelhaft
sein. Eine Zweiteilung d. pädag. Einwirkung muss
vermieden werden. Vielmehr kann die Aufgabe
nur die sein, so viel wie möglich v. d. Intensität
des „Erlebens“ und „Selbstschaffens“ in die Sphäre
des „Lernens hinüberstrahlen zu lassen. Es gibt doch
eben ein totes und ein beseeltes „Lernen“! Im Ma-
nuellen wie im Geistigen. Zwar bin ich d. Meinung,
dass d. Ausdruck „schaffendes Lernen“ mit einem
inneren Widerspruch behaftet ist, aber etwa Richti-
ger deutet er an: die Forderung, in den Pro-
zess des Lernens viel zu innerer Bewegtheit
und Anteilnahme hineinzulenken wie nur
möglich – so wie , in die Bewegtheit
des „Erlebens“ das feste Gerüst des zu „Erlernen-
den“ einzubauen. Es gibt eben doch ein Mittle-
res zwischen totem Aufnehmen und rei-
Altersstufe .
nem Selbstschaffen. Diese Mitte zu treffen ist
die Sache einer Veranstaltung, der die Erleb-
nispädagogik zunächst mit Leidenschaft den
auch sie ein künstlich Mittelbares!
Krieg ansagt: der Schule, und zwar sowohl
im Unterricht als auch im inneren Leben.
Je mehr die Pädagogik den Sinn des „Lernens
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wieder anerkannte, um so deutlicher trat auch
wieder die Funktion der Schule hervor. Sie ist
gerade deshalb nötig, weil das zu „Erlernende“,
das das Kind in seiner Lebensgestalt noch nicht
erfassen könnte, „erlebbar“ gemacht werden
muss. Ein vereinfachtes Modelld. Lebens,
mit dem das Kind sich „erlebend“ und „schaf-
fend“ auseinandersetzen kann. Die „Lebens-
ferne“ d. Schule ist Kehrseite dieser ihrer pädagogischen
Zubereitung, Anpassung an d. kindl. Seelenstand
Naheliegendes Beispiel: die Lebensform d. Schule
selbst als verkleinertes und vereinfachtes, dem jug.
Dasein angepasstes „Modell“ d. gesetzlich gere-
gelten Lebensordnung (Schleiermacher, Hegel). In
d. Lebensform (d. „künstl.“) d. Schule kann d. Schule
„erlebens“ und „schaffend“ an einem solchen
Ganzen teilhaben und damit „lernen“, was später
das Leben fordert. Eine einfache Nachahmung d.
gesellschaftl. Lebens (Parlamentspielerei) wäre das
Gegenteil dieser Modellfunktion: hier wird nicht
echt „erlebt“, sondern spielerisch – unverstanden |