Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor V 0032
TitelDeutsche Geschichte als Erinnerung und als Gegenwart; Sinn der Geschichte
Enthälta) hs; 4 Doppelblätter 10,5 x 14,8 cm (S.9/11 = blaues Papier) = Titelblatt + S. 1-11 b) hs; 1 Blatt 10,4 x 16,4 cm = S. 1-2 c) hs; 1 Blatt 10,4 x 16,4 cm = S. 1-2 d) hs; 1 Blatt 9,4 x 14,4 cm = S. 1-2
Zeitvon1933
Zeitbis1933
BemerkungenDokumentenabschrift: V 0032a 1933 Titelseite Deutsche Geschichte als Erinnerung u. als Gegenwart. (Düsseldorf 1933) 1 2 Klassen v. Menschen: 1914 voll erwachsen – noch nicht reif bzw. noch nicht geboren. Jene erlebten jä wird akut. 1. Erschütterung des menschl. Daseins 2. Nicht Einzelschicksal, sondern gemeinsames Los 3. Eben damit „geschichtl.“ Erschütterung. Vorher war „Gemeinsames“ Staatsaktionen 40 Jahre lang Geschichte bloss Hintergrund „priva- ten“ Daseins. Sicherheit und Berechenbarkeit im Rahmen des garantierten Ganzen. Z.B. das Berufslos 1914-1933 ist diese Krisis nicht mehr abge- rissen. Für die Jüngern der normale Zustand, für die Älteren die „andere“ Hälfte ihres Daseins. Vorkriegszeit als die „andere“ Hälfte ihres Daseins das verlassene Ufer. Dies „Cäsur“, der „Hiatus“ (Ge- genrate d. Generationen beruht z.T. darauf) (Verschiedenheit d. Reaktion auf das „Geworfensein“ in diese weltgeschichtl. Situation. Vgl. Goethe bei Valung: „wir sind dabei gewesen“. Das „andere Ufer“ des anlien règime) Die Erfahrung jenes « Risses“ ist von umgeheuerer Bedeutung für das Lebensgefühl. Die Wucht des „Gegenwärtigen“, an sich ein ewiges Phänomen, ver- stärkt sich mit d. Dimensionen des gerade Ge- schehenden. Das Heute als die Sphäre der Not, der Gefahr, der Entscheidung, des Wagnisses, auch das „noch nie Dagewesene“, Unvergleichbare 2 im Gegensatz zum Gestern, das dahingegangen ist. Gemeinsame Not und Entscheidung ins Unge- wisse hinein. Das Gestern ist erledigt, ist abgetan, ist schon Geschichte geworden. Dieser Charakter des Erledigtseins wird verstärkt durch den Charakter ra- dikaler Andersartigkeit. Vorkriegszeit: das ist in Lebensumstände und Denken das ganz An- dere! Nun vollends das 19. Jhdt! Wir fangen von vorne an, wir lösen uns von dem was hinter uns liegt, wir Die dieses „Risses“ der Vorstel- lung zur , die man sich überhaupt von dem Verhältnis zw. Verg. und Gegenwart macht. Das früher Geschehene liegt erledigt, unabänderlich, abgetan „in unserem Rücken“. Das Volk marschiert auf einer Strasse weiter, absolviert Stück um Stück sei- ne . „Gegenwart“ ist immer der Punkt, der Bahn, auf dem es gerade verweilt; mit der <...> auch im Rücken liegen wird, d.h. auch „Geschichte geworden“ sein wird. Gegenwart schliesst sich immer an die erledigte Geschichte an. Nur eins dient zur des Gegensatzes: das Früher ist insofern noch ganz erledigt und ab- getan, als die „Erinnerung“ zu ihm zurückkehren kann. Während das Geschehen unaufhaltsam fortschreitet, ist doch ein Rückblicken gestattet. Das Geschehene wird im Erinnerungs-„Bilde“ noch einmal . Geschehene Geschichte bleibt als „erinnerte 3 Geschichte im „Abbild“ erhalten kann zur Erholung, Er- bauung, viell. Belehrung ins Auge gefasst werden. Aber der scharfe Schnitt zwischen „Gegenwart“ u. „Geschichte“ bleibt auch hier erhalten. Er kehrt wieder Bildhaften als Trennung des „Erinnerten“ vom „Aktuellen“. +) Natürlich schiebt sich die Grenze immer weiter vor, aber sie bleibt als Grenze bestehen! +) Hinwendung zur Geschichte ist Abwendung v. d. Gegenwart! Wenn aber gerade die ungeheure Wucht unserer heutigen „Gegenwart“ diese scharfe Trennung erst recht zu bestätigen scheint, so zeigt diesselbe Gegenwart uns auch Phänomene, die diese Trennung Lügen zu strafen erscheinen. Wenn wirklich die Gegenwart alles bedeutet, dann müsste die Ge- genwart uns beanspruchen, die Vergangenheit immer !“Lutus“! mehr zurücktreten. „Wir haben keine Zeit“ „unsere Auf- gaben liegen vor uns.“ So heisst es stellenweise, aber viel stärker ist ein anderer Trieb, besonders , wo man das Erledigte zugleich ablehnt! Alle Revolutionen neigen ja dazu, da dem Vergangen auch in diesem Sinne „den Rücken zuzukehren“. Aber merk- würdig: viel <....> <....> ist im >Geschehen> d. Ge- genwart ein andererZug! Die Vergangenheit, die dort abgelehnt wird, wird hier gesucht; und zwar gesucht nicht als Gegenstand beschaulicher Versenkung, der Schaulust, in Abkehr v. <...> Leben, in den Atem- pausen – sondern im engsten Zusammenhang mit d. Nöten und Forderungen des Augenblicks. Auch 4 hiess es zu wenig sagen, wollte man es so verstehen, als solle sie bloss zum „Beispiel“, zur „Paralelle“, zu Bestätigung dienen. Man die Geschichte in der Gewissheit, dass sie durchaus nicht abgelegt im liegt, sondern mit d. Aufgabe d. Stunde im engst. Zusammenhang steht. Die Reden der Führer sind an histor. Anblicken, die d. Klä- rung der Gegenwart dienen sollen, ohne jeden Gedan- ken einer „Rückwendung“, Abwendg. v. d. Gegen- wart. Geschichtl. Gesichter u. Ereignisse stehen wie gegen- wärtig vor uns. Und zwar in der <.... die ...vorge.. u. vorgeste., sondern> bis in die – Prähistorie hinein! Hier bringt also die Steigerung des geschichtl. Intere gegenwärt. Erleben eine des geschichtl. In- teresses mit sich! Was aaber dieser Zusammenhang eigentlich bedeutet, macht erst ein weiterer Umstand deutlich: nich die Steigerung bedeutet nicht bloss, dass man die Erinnerungsbilder wieder her- vorholt, aufmerksamer und liebevoller betrachtet als vorher: die sog. Bilder selbst sind merk- würdig verändert! Neue Formen u. Lichter! Widukind, Heinrich d. Löwe, Luther, Friedrich d. Grosse: Scharnhorst, Bismarck sie treten nicht nur deutlich hervor, sie werden auch neu gesehen, mit anderen Augen. Und dies alles unbeschadet der Identität des „Faktischen“! Worauf beruht diese Veränderung? 5 Sie beruht zunächst auf veränderter Bewertung: Widukind als Schützer german. Eigenart, Heinrich d. Löwe als Initiator deutscher <.... aufgaben> höher bewertet als ihr Gegner Karl u. Barabarossa. All diese neue Bewertg. zieht auch das Bild d. Tatsachen in Mitleidenschaft: die „Kräfte“, die hinter den Fakten wirksam sind, werden anders gesehen. Es bleibt bestehen nur das Gerüst der tabellarisch festzu- legenden Fakten äusserlicher Art. Frage: ist es nur heute so, dass die Bilder geschichtl. Erinnerung sich in <.....> wandeln? Es ist stets so gewesen und wird stets so sein. Jede Ge- neration sieht die Vergangenheit „mit anderen Augen“. Z. B. das Bild d. Mittelalters in Aufklärg. u. Romantik. Das Bild d. mittelalterl. Kaiserpolitik in d. Romantik u. bei d. Historiker. Renaissance, Barock. Angesichts dieser Tatsachen aber wird die Vorstel- lung jener Trennung zwischen Gegenwart und erinner. Geschichte unhaltbar. Die erinnerte Geschichte ist nicht erledigt im Sinne des Fertig- „Vergegenwärtigung“ seins: sie wird in die Bewegg. d. Gegenwart hinein- gezogen – unbeschadet des Beharrens der „Fakten“. Und es bleibt nur die Frage: wenn es tatsächl. so ist, ist es so auch „in d. Ordnung“? Oder wird nicht die geschichtl. Erinnerung durch diese Verbindg. Objektivität ihrer Wahrheit beraubt?Es dürfte doch eigentlich, „objektive“ so meint man, nur ein einziges „wahres“ Bild der Geschichte geben. Wenn statt dessen die Bilder schwan- ken u. sich wandeln, so erweckt das doch den „histo- 6 rischen Skeptizismus“. die Trenng v. Gegenwart u. Geschichte wiederherstellen, damit es wieder geschichtl. „Wahrheit“ gebe? Hängt nicht die Wahrheit u. Objektivität d. geschichtl. Bildes von d. Innehaltung dies. Trenng ab? Es ist zu zeigen, dass diese Forderung auf einen „Wahrheits“begriff beruht, der nur in einer bestiment. Erkenntnis <...> berechtigt ist, der aber gegenw. d. Geschichte versagt. Vergleichen wir d. Wahrheitsbegriff des Naturforschers – etwa des <...- ...>. Er kann uns über die „Vergangenheit“ etwa d. Bewegg. eines Gestrins mit „objektiver“ Exaktheit aufklären. Er erforscht in d. Haltung des theoret. Betrachtens eine Welt v. Vorgängern, die, ihm als Gewalt d. Gegenwart erweckt investierte Ver- „Gegenstand“ gegenübersteht. Es ist ein „Schau- gangenheit Spiel“, das er denkend analysiert. Er ist nicht tätig an ihm beteiligt, kann nicht eingreifen u. abwandeln. Der Planet, auf dem er steht, ist ja selbst in dies Schauspiel einbezogen. Die „Objektivi- tät“ d. Erkenntnis ist gebunden an dieser Getrennt- heit u. : es ist wirklich „reine“ Be- trachtung. „Ich“ und „Nicht-Ich“. Wie aber in d. Geschichte? Scheinbar ist ja auch hier d. Betrachter v. d. betrachteten Vergangenheit ähnlich getrennt, auch ihr steht er „gegenüber“. Aber dieses Gegenüberstellen gilt doch menschlich sehr eingeschränkten Sinne. Tieferem Nachdenken kann es nicht verborgen bleiben, dass die „Welt“, der sich die geschichtl. Erinnerung zuwendet, in dem Trä- 7 ger die. Erinnerg. selbst lebendig aber ihr Werk lebt in mir, d. Betrachter, fort. Ver- gangenheit ist in d. Gegenwart , liegt keineswegs im Rücken, ist auch nicht bloss „Schau- Spiel“. Jeder ist, ob er es weiss oder nicht, geladen mit Geschichte. Antike, Christen- tum, Germanen, <....>, Reformen, Auf- klärung usw. In mir tun sich Abgründe auf. Was mir in geschichtl. Erinnerg. „gegenüber“ , das lebt in mir als aufgespeicherte Vergangenheit. +) Das „Nicht-Ich“ ist zugleich mein Ich. Oder f. das Gesamt-Ich Volk: die Vergangenheit, die es sich erinnert, „vergegenwärtigt“, lebt in ihm selber als gegenwärtigstes Sein. Wie d. Astro- nom! Die sichtbarste Probe auf diese Zusammen- gehörigkeit des angeblich getrennten: das bruch- lose Hinübergehen der erinnerten in die gegen- wärtig werdend, durch uns werdende Gegenwart. Wo ist die Grenze d. „Gegebwart“? Begriff der „Präsenzzeit“. Und wie diese Gegenwart nach rückwärts hin nicht v. d. Vergangenheit abzutrennen ist, so nach vor- <...>. sie sachlich sich nicht äusserlich an! wärts hin nicht v. d. Zukunft. Als Geschichte schaffende Wesen leben wir <....> in die Zukunft +) Schiller in seiner Antrittsrede! Die Erinnerung holt nicht et- was aus d. (zeitl.) Ferne heraus, sondern aus d. Innern hervor! 8 „d rückwärts gewandte Prophet“! hinein. Wille! Und selbst dies Zukunftsbewusstsein, Tatbewährung d. Deutung! Vgl. Astron. Prognose ist mitbestimmend f. d. angeblich u. Vergangenheit. >Geschichts...> wie: Christentum, abendländ. <....>, deutsches Volk, leben durch und, die Gegenwärtigen, in die Zukunft hinein, uns Wille ist ihr Träger (wie anders der Astro- nom) In Gegenwart sich Vergangenheit u. Zukunft>, überwindet sich das blosse Nacheinander. Um dieses <... Verein..g> wirken darf man histor. „Wahrheit“ nicht an d. Objektivitätsan- spruch der Naturwissenschaft messen. Sie ist nicht „Gegenstands“erforschg., <...> „Selbstbesinnung“ der grossen histor. Subjekte. Selbstbesinnung des Volks, „Vergegenwärtigung“ Und nund auch alle an dem Umstand, dass nur v. mächtige <...zu> beanspruchte Zeit <....> die Vergangenheit vernachlässigt, sondern erst recht sucht. Das mächtige Erbe d. Gegenwart ist zugleich Aufwühlung der in uns lebendig aufbewahrten Vergangenheit. Ein Das Schicksal stösst durch bis in unser tiefsten Wesensgründe. Erlebete und erinnerte. wachsen mit- einander an Intensität: bis zu <....> hinein erhellt sie das scheinbar Ver- gessene. Geschichtsarme Zeiten kennen diese nicht: ihnen ist die Vergangenheit stumm, weil ihre Gegenwart arm ist. Z.B. „Zeiten d. Glücks“ 9 sind in dies. doppelten Sinn „geschichtsarm“. Tragödie des geschichtl. Menschseins öffnet die Tiefen d. Geschichte. Die . alle Mächte d. Vergangen- heit <....> auf, wenn die Gegenwart zur wird. Geschicht. Bewusstsein ist an d. lebendig werdende Geschichte, ist selbst Geschichte, nicht bildhaftes „Schauspiel“. Freilich: nicht blind sein f. d. u. dieses Zusammenhangs. Wir warnten vor d. falschen Trenng des Vergangenen: das ist ästhet. Geschichtsgenuss, ist „Historis- mus“ im schlech Sinne. Wo man aber engste Verbindung mit d. Gegenwart sucht, da droht d. <.....> Fehler: statt die Vergangenheit m. d. Gegenwart zu verbinden, <....> man sie in die Gegenwart auf. Ver- gangenheit wird nur durch die „Daten“, aber das Leben u. Streben wird dem d. Gegenwart als Vorspiel, <....>, Be- weismaterial angeglichen. Das heisst , die geschichtl. Wahrheit in einem anderen Sinne verfehlen. Herder: „ in 10 sich selber“ Ranke „unmittelbar zu Gott“. Das war damals Protest gegen die <.....sie- rg> d. Vergangenheit d. e. Aufklärung. Heute als Warnung vor d. <....> d. Ver- gangenheit durch Angleichung. Und dies ist mehr als theoret. Verstoss: un- ter Stärkung und Erweiterung an d. Geschichte hängt davon ab, dass sie wirklich „Begeg- Einfühlen nung“ mit einem Eigenleben ist! Reichtum deutschen Lebens soll in d. Geschichte nicht durch Angleichung verkürzt werden. Ehrfurcht vor d. Mühen d. Väter! Nur so lebt echte Tradition in uns fort. |= Hier liegen die Aufgaben der wissenschaftl. Forschung, die von den „objektiven“ Daten her sich in das Eigenleben d. Epochen verarbeitet! Nicht „Mythos“! (Lessing) Zu S. 9 Barbarossa u. Karl in den <....> des 20. Jhdts. planen u. wirken? Das religiöse <.... Luther> dem unsrigen ? Schulmeisterei der Heutigen 11 Auch wir Heutigen sind nach uns. Gesetz angetreten u. wolen v. d. kommenden Geschlechtern nach ihn <....> sein! |= Rassenmythologie als ungerechtfertigte Simplifizierung und Monolonisierung des geschichtl. Reichtums. Zu S. 7/8. Das, was war und wurde, beur- teile ich nicht ohne Rücksicht auf das, was es heute ist, nicht ohne Rücksicht auf das, was aus ihm werden wird bzw. (durch mich) werden soll! V 0032b 1 Sinn der Geschichte. Spezifisch gegenwärtige und spezifisch deutsche Frage. Scheinbare Sinnlosigkeit d. Gegenwart und d. deutsch. Gesamtschicksals. Andere fragen mach d. „Sinn d. Lebens“, d. „menschl. Daseins“ u.ä. Unterschiede zwischen dem Tatsachenbestand d. Ge- schichte u. d. „Sinndeutung“. Scheinbar getrennte Über- legungen. Historie u. Geschichtsphilosophie. Beginn d. Fragestellung seit Roussau (Voraussetzg.: die christl.-transcendente Deutung ist fraglich ge- worden) Schon hier ist d. Zweifel an Sinn u. Wert, die Voraussetzung. Man geht aus von d. angezweifelten Gegenwart und fragt zurück nach d. Vergangenheit. Woher der .? Aber sogleich auch Blick auf die noch nicht „Geschichte“! Zukunft. Wie der ? Das dreigliedrige Sche- ma entsteht, in dem immer die Gegenwart die „Wende“, d. Knotenpunkt bedeutet. „Krisenbewusst- sein“ als Grundlage. Wie stark ist es heute! Schon hier zwei grundlegende Befunde: 1) Es gibt nur einen Gesamtsinn, einen „Text“ zu enträtseln. Er ist darin Gott gleich. Freilich: nur Spengler. der durch tieferes Wissen bevorzugte Mensch. Die Mas- se verwirklicht durch ihr Tun den Sinn, ohne ihn zu wissen. Vergleich der einen Satz stellenden Men- schen. 3) der Sinn ist vorherbestimmt und ist ein abzuarbeitendes „Pensum“, Programm! Entweder göttliche Bestimmung oder Kausale bzw. logische Not- wendigkeit. Die Zukunft gehört hinzu! Diese Grundzüge kehren in d. Reihe d. Geschichts- deuter immer wieder. V.