Bestand: | Privatarchiv Litt, Theodor |
Signatur | NA Litt, Theodor V 0025 |
Titel | Bildungsideal und Weltanschauung |
Enthält | a) hs; Doppelblatt + 4 Blatt 10,5 x 16,6 cm = Titelblatt + S. 1-7 b) Zeitungsseite S. 674/675 aus?. Th. Litt. Bildungsideal und Weltanschauung, in ?, S. 675 |
Zeitvon | 1927 |
Zeitbis | 1927 |
Bemerkungen | Dokumentenabschrift: V 0025a
1927
Titelseite
Bildungsideal und Weltanschauung
(Berlin Radio 1927)
1
In d. Kulturkrisis Hoffnung auf Erziehung. Aber woher
Zielsicherheit des päd. Wollens im Streit der Ideale? Wis-
senschaft soll nicht nur die richtigen Mittel und Wege,
sondern auch das rechte Ziel bestimmen, damit ist dem
Streit d. Ziele Ende bereitet!
Zu dieser Funktion ist Erziehungstheorie nicht im stande,
ausgleich zu besprechenden Gründen. Heisst das Abdan-
kung der pädag. Theorie? Zunächst erfolgt dieser Ver-
zicht nicht auf Grund prakt. Versagens, sondern selbst
aus theoret. Einsicht: wissenschaftl. Selbstbegrenzung d.
Wissenschaft. Dahinter steht psitive Erkenntnis v. d.
Aufbau d. geist. Welt und d. Funktion d. Erziehg. inner-
halbihrer. Dazu eine weitere Leistung: d. Theorie kann
zwar nicht d. richtige Ideal schaffen oder auslesen, wohl
aber die Vielheit d. vorgefundenen Ideale verstehen, ord-
nen und vereinfachen. Sie erkennt eine tiefere Notwen-
digkeit des Entsteens, der Zusammengehörigkeit und
Ergänzung; sie enthült einen „Kosmos“ der päd. Idea-
le – und das ist nicht bloss theoret. Gewinn!
Wie erfolgt diese Vereinfachung? Die Mannigfaltigkeit
d. päd. Forderungen zurückgeführt auf die tragende „Welt-
anschauung“. Aber was heisst „Anschauung“? = „Theorie“?
So oft verstanden: Weltanschauung entsteht durch den-
kende Bearbeitg. des Weltgehalts. Als dann wäre sie =
strenge Wissenschaft , d.h. deren Fortführung und Ver-
einheitlichung. Dies die Meinung des „Positivismus“,
dem auch die eingangs genannte Forderg. entspringt:
die Theorie erkennt alles, was ist, und bestimmt darnach,
was geschehen soll (ethisch, politisch, pädag.) Aber diese
Auffassg. von „Weltanschauung“ stimmt nicht, und
zwar sowohl empirisch – faktisch, als auch wesenhaft.
Weltanschauung ist nicht Sache des denkenden, sondern des
2
wertenden und handelnden Menschen; die prakt. Orien-
tierg. folgt nicht aus d. „Weltanschauung“, sondern bestimmt
schon diese selbst. Sein und Sollen durchdringen sich in ihr.
Korrelation v. Mensch u. Welt. Die Welt blickt mich an, wie
ich sie anblicke. Nicht nur in d. Höhenlage des Philo-
sophen. Auch d. Erwerbsmensch; d. Genussmensch hat
seine „Welt“ in der seine Werte dominieren. Fülle und
Armut. Durch reine Theorie nicht korrigibel. Alle prakt.
Impulse sind hier vertreten, v. d. höchsten bis z. d. nie-
drigsten – so auch die pädagogischen! Alle Stufen: Pädago-
gik des Verbrechens, des Genusses, des Erwerbs u.s.w.
Eben deshalb keine wissenschaftl. Ableitg. d. Bildungsziels
möglich: die Weltanschauung und ihre Grundwertungen
sind unbeweisbar und unwiderlegbar. kein „Fortschritt“
d. Wissenschaft wird das ändern: das eben lehrt uns die
rechte Wissenschaft von „Geist“ und v. d. Funktion der
„Weltanschauung“. Und sollten wir etwa wünschen, dass
es anders wäre? Das positivistische Ideal der wissenschafts-
geleiteten Welt beseitigt Verantwortg., Wagnis und Glück
d. glaubenden Wertentscheidung! Comte und sein
Organisationsideal! Auch d. Erzieher soll sich entscheiden!
Dies d. grundsätzl. Zushg. v. Weltanschauung und
Erziehung. Soll nun die Theorie alle erdenkl. Ideal-
bildungen registrieren? hat nur Interesse an
den Idealen, die die höhere Wertstufen, im Sinne der
„Bildung“, erreichen – entsprechend an denjenigen Welt-
anschauung, in denen diese Werte Platz haben. Diese
sind zugleich die reicheren und umfassenderen.
Denn von der höheren Wertstufe her sind die tieferen
sichtbar, nicht umgekehrt. Die „humane“ Welt-
ansicht kennt auch die Macht des Inhumanen – nicht
umgekehrt: d. Mensch kann d. Tierische verstehen, nicht
umgekehrt
3
und „bildung“
Damit sind die höheren Lagen d. „Weltanschauung“ ausge-
sondert – zugleich die Region wirkl. od. mögl. Entfaltung
im Element d. Gedankens! (Philosophie des reinen Cy-
nismus ist selten od. nie gedankl. ausgebildet worden!)
Aber auch in dies. Höhenlage bemerken wir zunächst
eine verwirrende Vielheit v. Weltanschauungen, zu-
malbeim Blick über das Ganze d. Geschichte. Tö-
nung nach Zeit und Ort – bis ins Unendliche indi-
vidualisiert. Und doch verlangen wir Überblick,
auch um die Verbindung mit d. Idealbildung der
Gegenwart herstellen zu können (prakt. Tendenz
der Klärung) Hier ist nun die Funktion der Theorie
recht deutlich (s.o.): sie „versteht“ die Ideale in ihrer
weltanschaul. Begründung und entdeckt dabei
gewisse durchgehende Grundmotive, die, wenn
auch histor. abgewandelt, immer wiederkehren.
In dem Verhältnis v. Mensch und Welt sind gewis-
se Grundrelationen angelegt, die sich stets zur
„Notwendigkei“t der Motive
Geltung bringen. So rücken die Einzelgebilde zusam-
men, sie vereinfachen sich zu „Typen“ (vgl. die „Men-
schentypen“). Korrelation v. Menschtyp und Welt-
anschauungstyp! Weiterhin: diese Grundmotive
stehen nicht äusserlich nebeneinander, sondern
gelangen in d. Auseinandersetzg. zur Klarheit. „Dia-
lektik“. Zur Vereinfachung kommt also die Verein-
dung des Vereinfachten: typische Gestalten in typischer
Entgegenstellung. So scheint durch das Gewirr des
Einzelnen ein vereinfachtes Schema des Geistes hin-
durch.
Warnung vor dem „naturwissenschaftl.“ Missver-
ständnis: man sei zu den „Grundkräften“ de dem
Eigentlichen und Primären vergedrungen! Der Geist
4
lebt nur unendl. Individualisiertheit. Un-
ser Bedürfnis nach Ordnung und Klarheit ver-
einfacht diese Fülle durh ordnende Prinzipien
der Betrachtung – und auch der tätige Mensch
verlangt eine solche verkürzende Optik, um
handeln zu können – um verstehen zu können!
Dies im Allgemeinen über d. Zusammenhg. v.
W.-A. und B.-I. – sowie über die wissenschaftl.
Form der Bewältigung. Nun einige Beispiel, die
für uns. Gegenwart aktuell sind
Comenius
I Bedeutung des „Natur“-Begriffs in der G.d.P. Rousseau
Pestalozzi. Höchst vieldeutig, daher verschiedene Typen
dekend. So auch heute: die „Natur“ des Kindes soll Weg-
weiserin sein. Wie soll dies „Naturbegriff“ näher bestimmt
werden? Man wendet sich an die Naturwissenschaften
vom Mechanischen, Organischen, Seelischen, Gesellschaft-
lichen: lauter Geisteswissenschaften. Damit in den Bann-
kreis des genannten Positivismus, dem die N.-W. Muster
und method. Vorbild sind. Hier stellt sich der Mensch
denkend und erkennend der „Gegenstands“welt gegen-
über.
d) |