Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Vortrag gehalten auf der 2 Haupttagung des Deutschen Verbandes der Lehrerschaft an Berufsbildenden Schulen, Landesverband Nordrhein-Westfalen vom 16.-18.05.1951 in Bochum
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Mai 1951
Titelseite
Der Berufsschulgedanke im Rahmen der deutschen Erziehungswirklichkeit
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Es liegt im Wesen des geschichtlichen Lebens,
dass die verschiedenen Zweige, in die es sich
zerleg, sich keineswegs im gleichen Tempo
fortentwickeln. Politik, Wirtschaft, Technik –
Kunst, Wissenschaft Religion: sie rückenkei-
neswegs in gleicher Front vorwärts. Es kann
sein, dass es an der einen Stelle in atemras-
sender Geschwindigkeit vorwärts geht, während
anderwärts die Sache kaum vom Fleck zu kom-
men scheint. Das hat seinen Grund nicht nur in der
wechselnden Stärke u. Richtung der jeweils vorhandenen
Entwicklungskräfte, sondern vor allem aber in der
Verschiedenartigkeit der Entwicklungsbedingun-
gen, unter denen die in der betr. Sphäre Täti-
gen stehen.
Von der Wirklichkeit der Erziehung werden
wir behaupten dürfen, dass sie zu den Sphären
zählt, in denen es zumeist besonders
hergeht. Das ist zumeist nicht die Schuld
der Menschen, die in diesem Bereich tätig sind,
es liegt vorzugsweise an der Eigenart der Be-
dingungen, unter denen die erzieherische Tä-
tigkeit ausgeübt wird und die erzieherischen
Ordnungen sich gestalten. Erziehungsarbeit
ihrem eigensten Wesen nach im Element der
Tradition. Sie muss mit den bereits vorhan-
denen Gütern des Geistes arbeiten, ist nicht selbst-
schöpferisch. Und sie kann dieser Notwendigkeit
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um so ungehemmter nachgeben, als sie in
einem abseits gelegenen und einigermassen
künstlichen Raum ihre Arbeit verrichtet. Die
Schule, diese bevorzugte Wirkungsstätte der
Erziehung, hat ihr unabänderliches Wesen
in einer gewissen Lebensferne. Sie richtet die
Lebensinhalte so zu, dass sie nie dem erst wer-
denden Menschentum ihrer Zöglinge in le-
bendige Verbindung treten können. Sie
hält die Stürme der geschichtl. Wirklichkeit
nach Möglichkeit dem heranreifendn
Menschentum ferne. (Eine Schonzeit) Sie ist
nicht mitten in den Kampf des Lebens hinein-
gestellt. Aus dieser Sonderstellung er-
klärt sich, dass sie in Inhalt und Form
ihrer Arbeit auch dann noch erstaunlich
konservativ sein kann, wenn ausserhalb
der Schulmauern mächtige Umwälzun-
gen im Gange sind.
Es will mir scheinen, dass diese allge-
meine Überlegung auch für den gegenwär-
tiger, so ungeheurer krisenhaften Augenblick
der Geschichte zutrifft. Wenn man das hört
und liesst, was so im Allgemeinen <über> die
Möglichkeiten und Aufgaben deutscher Erzie-
hung gesagt und geschrieben wird, dann
vernimmt man zwar meist den einleiten-
den Hinweis auf die ungeheure Wandlung der
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Zeit und die dadurch geforderte Umgestaltung
der Erziehung – aber wenn man dann zu-
sieht, was im Fortgang über die Gestalt der Er-
ziehung, der neuen, gesagt wird, dann stösst
man auf lauter alte Bekannte. Und das
nicht etwa bloss insofern, als die pädag. Re-
formgedanken aus der Zeit nach dem ersten
Weltkrieg hervorgeholt werden. Die Grund-
begriffe der damaligen Reform waren ja ihrer-
seits auch schon kein vollkommen originales
Gewächs. Sie entstammten zum grossen Teil
der letzten wirklich grossen und schöpferichen
Bildungs
Erziehungsbewegung, die unser Volk erlebt
hat: sie enstammten derHumanitätsbe-
wegung eines Herder, Goethe, W. v. Humboldt.
Persönlichkeit. Wilhelm Meister
Individualität, Universalität, Totalität, Bil-
dung, harmonische Ausbildung aller Kräf-
te +) – das waren die allen Formeln, in denen man
die Aufgabe der Erziehung zusammenzu-
fassen suchte. Nicht nur das ganze 19. Jhdt.,
auch diese Reform hat im Grunde vom Erbe un-
seres klassischen Zeitalters gelehrt. Und wenn
die Reformbewegung schliesslich an den
harten Realitäten des politisch-wirtschaftlichen
Lebens gescheitert ist, so lag dies sicherlich z.T.
daran, dass die Grundbegriffe und Grundten-
denzen dieser Reform einer Vorstellungswelt ent-
stammteen, die mit der wirklichen Lage des
+ Neigung, Anlage, Begabung als Grundlage!
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damaligen Deutschland nicht überein-
stimmte. Es ist längst gesehen worden, dass
die pädagogische Ideenwelt unseres klassi-
schen Zeitalters eine ganz bestimmte sozio-
logische Situation zur Voraussetzung hatte:
die Situation eines Bürgertums, dass, durch
den absolutischen Staat von der aktiven Teil-
nahme am öffentlichen ausgeschlossen, seine
produktive Kräfte im Raum einer sich selbst
gehörenden Innerlichkeit, d.h. einer echten
„Bildungs“-Sphäre, auszuleben nicht bloss
Wilhelm Meister!
die Möglichkeit hatte, sondern den Drang
verspürte. Aber von dieser soziologischen
Situation, wie immer man sie bewerten
mag, war in dem Daseinskampf, den der
erste Weltkrieg heraufbeschworen hatte, keine
Rede mehr. Ein unendlich , harte
krisenhafte angespannte Zeit forderte jeden
Einzelnen mit Leib und Seele für sich und
liess für ein sich selbst genügendes „Bildungs“-
Streben keinen Raum. >...> schwärmerisch-
enthusiastische Pädagogik konnte deshalb
nicht durchdringen, weil sie, obwohl ständig
von Arbeit redend, im Grunde doch der harten
Arbeit dieses eisernen Zeitalters in romantischer
Flucht aus dem Wege ging.
Es bedarf keiner dass alles
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das, was zur Charakteristik jenes Zeitalters ge-
sagt ist, für das gegenwärtige in vielfacher
Potenzierung zutrifft. Wenn also auch heute
noch die geläufigen Dormeln des Humanitäts-
zeitalters herangezogen werden, um die Aufga-
ben gegenwärtiger Erziehung zu bestimmen, +)
so ist der Abstand zwischen der erziehrisch
zu bewältigenden Realität und der pädago-
gischen Begriffsbildung um so grösser gewor-
den.
Von diesen allgemeinen Überlegeungen
her bestimmt sich, wie mir scheint, die
Sonderstellung, die die Berufsschule
und die auf sie sich beziehende Gedan-
kenwelt im Rahmen der gesamten Erzie-
hungswirklichkeit einnimmt. Sie ist, so wa-
ge ich zu behaupten, diejenige Schulform,
die durch die Eigenart der ihr gestellten
Aufgabe am wirksamsten vor der Gefahr
geschützt ist, in den Bann einer wirklich-
keitsfremden pädagogischen Ideenwelt zu
geraten. Sie geniesst jetzt gleichsam die
Vorteile, die sich aus einer früheren Be-
nachteiligung ergaben. Die Anfänge der
Berufsschule verweisen uns in einen Be-
zirk, der der Welt der humanistischen Päda-
gik ausserordentlich ferne lag. Es waren rein
+) Gutachten zur Schulreform: „Vom Bildungsziel“.
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praktische Bedürfnisse, die sie ins Leben rie-
fen, es war der Gesichtspunkt der äusseren
Nützlichkeit, der über ihr waltete. Daraus
ergab sich der engste, durch keinerlei Ideennebel
getriebene Zusammenhang mit der ealität
des Arbeitslebens der Nation. Es ist das ein
Zusammenhang, der in gewisser Art bis
heute fortdauert, weil er vom Wesen der Be-
rufsschule unabtrennbar ist. Das liegt
nicht bloss daran, dass es gerade der Gedanke
des erufs ist, um den sich die Arbeit dieser
Schule konzentriert. Dies allein würde nicht
genügen, um den besagten Zusammenhang
zu gewährleisten. Das zu beweisen genügt der
Hinweis auf eine an der Schule, von der man
mit Recht gesagt hat, dass sie sich auch mehr
und mehr zur „Berufsschule“ entwickle:
nämlich die Universität. Von ihr kann
leider nicht gesagt werden, dass es ihr durch-
weg gelungen sei, die Verbindung zwischen ihren
eigenen unterrichtlichen Bemühungen und
denjenigen Berufen, für die sie vorzubilden
hat, in befriedigender Weise herzustellen.
Hier klaffen vielfach grosse Abstände. +) Warum
ist es in der Berufsschule anders? Weil sie
nicht nur überhaupt beruflich zu schulen
hat, sondern weil es ganz bestimmte Berufe,
Berufe von einer charakteristischen Eigenart
sind, denen sie pädagogisch zu dienen hat.
+) Der Student, anders als der Berufsschüler, steht ja
noch nicht im Beruf.
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Die weitaus grössere Zahl Berufe, mit denen
sie zu tun hat, sind ihrem Inhalt und ihrer
Struktur nach bestimmt durch die Gliederung
des Wirtschaftslebens und durch das Leistungs-
gefüge der Technik. Wirtschaft und Technik
aber haben es an sich, dass sie jede Tätig-
keit, die mit ihnen zusammenhängt, in
eine bestimmte Richtung dirigiert und in
eine bestimmte Form bringen.
Wirtschaft und Technik hängen nicht
nur insofern zusammen, als die Wirt-
schaft die technischen Erfindungen ausbeu-
tet; sie haben auch dies miteinander ge-
meinsam, dass sie in besonders hohem
Masse sachgebunden sind. Jede höhere
menschl. Tätigkeit ist insofern sachgebun-
den, als sie an eine Ordnung (eine Idee)
sich halten muss. Aber Sachbindung in der
Technik beruht auf der strengen und un-
durchbrechlichen Gesetzlichkeit der Natur (Ver-
mittlung durch Naturwissenschaft); die
Sachbindungen der Wirtschaft auf dem, was
man zeitweilig geradezu die „Naturgesetze
des Wirtschaftslebens“ genannt hat, d.h. auf
dem der Waarenaustausch („Markt“) be-
herrschenden Zusammenhange. Beide
Ordnungen zu erkennen und auf Grund
dieser Erkenntnis in sie tätig einzugreifen
ist Sache der ratio, des rationalen Denkens.
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Sachbedingte „Planung“
Es handelt sich hier um die rationalisier-
barsten Sektoren des menschlichen Daseins.
Damit hängt es wiederum zusammen, dass
gerade diese Gebiete des geschichtlichen Lebens
hinsichtlich des Tempos ihre Entwicklung
in vorderster Linie stehen. Ist Haben sie sich
erst einmal von den Fesseln des Traditionalis-
mus befreit, so kennt ihr „Fortschritt“ keine
Schranken mehr. Sie reissen den Menschen,
der sich ihnen erst einmal geöffnet hat, un-
aufhaltsam mit sich fort.
Mit der rationellen Sachgebundenheit
hängt noch ein weiterer Grundzug zusam-
men: ihr Auswachsen zu immer grös-
seren sachgebundenen Systemen, die im-
mer grössere Menschenzahlen in die mit
ihnen gegebenen Ordnungen hineinzwin-
gen. +) Vgl. als Gegenpol die Sachgebunden-
heit des Künstlers, der immer als Indivi-
duum ein individuelles Werk schafft. Ih-
re Systeme dagegen setzen sich über den
Kopf der Einzelnen hinweg als Arbeitsganze
durch. Deshalb verbinden sich so wohl mit
der Wirtschaft als auch mit der Technik
jene Form der Menschen Zusammenfas-
sung und Gliederung, die wir „Organisa-
tion“ nennen, d. i. das arbeitsteilige Zu-
sammenwirken beider nach einem über-
geordneten Gesamtplan. („Kollektiv“) Das hat zur Wir-
+) Massenproduktion. Ford.
Quer durch Nationen und Zeitalter! Ameika, Rußland, Asien
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kung, zum „Apparat“ der Technik, zum
„Apparat“ der Wirtschaft gleichsam ein aus
lebendigen Menschen zusammengesetzter
Apparat hinzutritt, dessen Konstruktion nicht
im Hinblick auf den Menschen selbst, sondern
nach Massgabe der in jenen beiden Apparaten
enthaltenen Sachforderungen eingerichtet ist.
Das ist die so oft charakterisierte, so oft be-
klagte „Verapparatisierung“ unseres Lebens,
die organisatorische Durchbildung und Ver-
festigung unseres gemeinsamen Lebens -
ein Prozess, der immer grössere Dimensio-
nen annimmt und aus innerer Notwen-
digkeit unaufhaltsam fortschreitet. , „Die
totale Revolution in der Gesellschaft durch das Fliess-
band“. (Frankf. Hefte)
Mit welcher Schonungslosigkeit aber dieser aus
Menschen gebildete Apparat den Menschen in sich
erlebt der Mensch
hineinschlingt, <.....> sich vor allem in Folgen-
er
dem.So und so oft wird der Mensch durch wirtschaft-
liche Notwendigkeiten gezwungen, nicht nur
überhaupt in diesem Apparat eine „Stelle“ zu
suchen, sondern auch eine solche Stelle einzu-
nehmen, die seiner Neigung und Begabung
nicht entspricht. Das leidige Kapitel „Berufs-
Wahl“. Hier erreicht dann die Überwältigung
durch den Apparat ihr Maximum. +)
Eigentümlichkeit der Berufsschule aber ist es,
dass die Menchen, die sie zu erziehen hat,
u. Universität
+) BD. In der „Berufsschule“ / ist es vielfach ähnlich,
nur dass hier soziale Vorurteile, Ratlosigkeit usw.
die verfehlte Berufswahl bewirken.
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bereits in diesem Apparat an ihrem Platze
stehen und dass es ihre Aufgabe ist, sie in
dieser Situation pädagogisch zu betreuen.
Macht man sich diese Situation klar, so
sieht man, dass die Brufsschule an dem-
jenigen Punkt des pädagogischen Feldes
postiert ist, der der den Gegenpol zur Idee
der humanen Persönlichkeit bildet. Sie hat
den Menschen zu erziehen, der nicht, von
seiner Begabung geleitet, im Raume freier
Geistigkeit an seiner personellen Bildung
arbeitet, sondern erbarmungslos in das System
der wirtschaftlich-technischen Arbeitsord-
nung eingespannt, ja eingepresst ist. Es
ist ihr Realismus, dass sie über diese Vorge-
gebenheit ihrer ganzen Erziehungsarbeit
nicht hinwegsehen und hinweggehen
kann.
Wer noch irgendwie im Banne der Hu-
manitätspädagogik lebt, der kann garnicht
anders, als in den geschilderten Umständen
einen Sachverhalt erblicken, gegen den
sich d. echte Erzeihungsgedanke durchzu-
setzen hat – eine Hemmung und ein Hindernis
jeder höheren pädagog. Bestrebung. Es
muss ihm scheinen, als ob d. Mensch nur
in so weit Selbst. Persönlichkeit werden könne,
wie es ihm gelinge, sich dem Zwang und
Druck des Apparates zu entwinden. Es treten
als dann Berufsbildung und Menschenbil-
dung nicht nur ausserein auseinander,
sondern gegeneinander, Vgl. die modernen
Philosophen über den Gegensatz von „Selbst-
sein“, „Existenz“ einerseits und Anteil an dem
Apparat andererseits. Die „Menge“, die „Masse“.
das „Man“ als Gegenmacht des Selbstwerdens.
Organisation als Robotertum. (Goethe gegen
Newton u. Maschine!)
Angenommen, diese Auffassung wäre
im Recht, so müsste unsere Lage sub specie
das Problem der Menschenbildung als voll-
kommen hoffnungslos bezeichnet werden.
das
Denn dass wir uns dem Schicksal der fort-
schreitenden organisatorischen Verfestigung +)
entziehen könnten aufhalten könnten oder
dass wir uns persönlich in irgend einer
+) Weltwirtschaft, Welttechnik, Weltorganisation!
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Form aus ihr herausziehen oder von ihr
<..lvieren> könnten, das ist ausgeschlossen.
Jeder Versuch eines Abbaus dieser Organi-
sation, ja auch jeder Versuch einer Verzögerung
dieses „Fortschritts“ wäre Selbstmord, wäre das
Todesurteil für Millionen. Wir haben nur
die Wahl, entweder das Menschenleben auf
unserem Plan der immer mehr im Sinne
einer Arbeitseinheit durchzuor-
ganisieren oder unterzugehen. (E. Jüngers
„Arbeiten“ ist in dieser Hinsicht unwirderleg-
lich) Die Frage ist also nur, ob dies nur
um den Preis unseres Menschentums möglich
ist, oder ob dies Menschentum auch bei An-
erkennung jener Notwendigkeit, bei williger
Einstellung in dies. gewaltige Gefüge ge-
rettet werden kann.
Vor diese Frage findet sich jede Päda-
gogik gestellt, die der Gegenwart und Zu-
kunft unerschrocken ins Gesicht schaut.
Nur scheint, dass heute die Meisten von
denen, die über diese Probleme nachden-
ken und die über die prakt. Gestaltung
der Erziehungswirklichkeit zu entscheiden
haben, sich nicht entschliessen können,
dieser harten Notwendigkeit ohne Ausflüch-
te ins Gesicht zu sehen und ihre Massnah-
men darnach einzurichten. Die Berufsschule
aber ist die besondere Schulform, die durch
ihre Aufgabe an jeder Verschleierung ver-
11a
2.S.11:
Früher konnte es heissen: wenn auch die
Berufsschule durch die Eigenart ihres Unter-
richtsinhalt v. d. Möglichkeit ausgeschlos-
sen ist, ihre Zöglinge zu echter Bildung zu
führen, so schliesst das nicht aus, das die
andern Schulformen, die es mit anderen
Inhalten zu tun haben, ihre Zöglinge zu
echter Bildung führen. Heute kann es
nicht mehr . Denn heute ist der
Lebensgehalt, und die Lebensdauer, aus
denen die Berufsschule ihren Unterrichtsge-
halt entnimmt, für alle ohne Unter-
schied bestimmend, nicht zu umgehen-
de Lebensmacht geworden. Heute heisst
die Alternative: entweder Bildung in-
nerhalb dieser Ordnung oder überhaupt
keine Bildung. Es gibt kein Jenseits dieser
Ordnung, in das sich der Bildungsdrang
flüchten könnte.
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hindert wird, die ihr ins Gesicht sehen muss,
weil sie in der Altagsarbeit das aufgezeig-
te Problem wieder und wieder erlebt. Sie
ihre Zöglinge eingespannt in das Ar-
beitsleben, sieht die leiblichen und seeli-
schen Wirkungen dieses Dienstes, erlebt tau-
sendfältig die Schwierigkeiten und Hemmun-
gen, von denen andere Bildungsinstitutionen
weniger oder nichts merken, und muss
sich doch immer wieder fragen, ob und
wie diese in den Berufszwang Eingestellten
Menschen werden bzw. bleiben können.
Sie kann sich m. e. W. nichts vormachen.
Das bewirkt eine wohltuende Nüchtern-
heit und Ehrlichkeit, die man anderwärts
schmerzlich vermisst: von der Volksschule
bus zur Hochschule.
Wenn ich mich frage, wer unter den modernen
Denkern bereit ist, sich die Unausweichlichkeit
dieser neuen Situation unverhohlen einzuge-
stehen und aus ihr die gebotenen Folge-
rungen zu ziehen, dann fällt mein Auge vor
allem auf einen: R. Guardini; „Das Ende
der Neuzeit“. Abschied v. Ideal der individu-
ellen „Persönlichkeit“. „Gesetz der Normung“.
eine wahrhaft asketische Strenge der For-
derung, die an den Menschen der werdenden
Zeit gerichtet wird. Ich glaube, dass Vieles
von den Verzichten, die ihm hierzugemutet
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werden, unvermeidlich sein wird.
Aufgabe: den Menschen in das Arbeitssystem
hineinbildn und ihn gleichzeitig davor bewah-
ren, dass sein Menschentum in ihm auf- und
untergeht. Bejahung und Gegenwehr in ei-
nem! Eine höchst spannungshaltige Aufgabe –
das Gegenteil der humanistischen „Harmonie“.
In der erzieherischen Aufgabe der Berufssch.
tritt die universale pädag. Problem in mus-
terhafter Klarheit hervor.
Das Ganze dieser Aufgabe glieder sich,
grundsätzlich betrachtet, in folgender
Weise:
Der Zögling muss dazu erzogen werden,
diejenige Leistung, die ihm an der Stelle,
die er im Arbeitsgefüge der Nation einnimmt,
abverlangt wird sachgerecht, geissenhaft
und pünktlich zu vollbringen. Das ist
die Erziehung zur Berufstüchtigkeit,
die für die Berufsschule alle zeit selbst-
verständlich gewesen ist. Von ihr hängt
die Zukunft unseres Volkes ab.
Der Zögling muss es lernen, das Arbeits-
gefüge, in dem er als Berufstätiger mit-
ten inne steht, wenigstens in seinen
Grundzügen zu überschauen. Das ist zu-
nächst einmal deshalb nötig, weil er
nur so den Sinn seiner eigenen, oft so
streng spezialisierten Arbeit verstehen
kann. Ich verkenne nicht die Schwierig-
keit der damit gestellten Aufgabe. Denn
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dies Arbeitsgefüge erweist sich schon dann
als höchst kompliziert und voraussetzungs-
voll, wenn man noch innerhalb des Teil-
gebiets der Wirtschaft dem der Be-
ruf angehört. Aber dies Teilgebiet ist ja
seinerseits wieder eingeordnet in das Ge-
nicht bloss
samtgefüge der nationalen der nationalen
Arbeit, sondern der gesamten Weltproduk-
tion und Weltwirtschaft. Das ist es ja gerade,
was die hierher gehörigen Vorgänge so schwer
durchschauen und beherrschbar macht,
dass hier alles mit allem zusammenhängt, +)
dass es keine isolierbare Provinz mehr gibt.
Die entscheidenden Vorgänge haben plane-
tarischen Charakter angenommen. Dies
aber muss der Zögling erkennen lernen,
sonst ist er diesen Prozessen wie ein ahnungs-
und wehrloses Opfer ausgeliefert. er sieht
das Ganze in der Perspektive seines Berufs,
aber er sieht es doch als Ganzes.
Er soll aber dieses Ganze auch deshalb
übersehen., damit er das Recht, die Notwen-
digkeit und die Grösse der menschlichen
Gesamtleistung, die in dem Aufbau die-
ses erdumspannenden Systems liegt,
erkennen und würdigen lernt. Das ist des-
halb notwendig, weil dieses System biswei-
len unter empfindlichen Störungen leidet –
+) und doch die Enge des Horizonts, innerhalb dessen
der Einzelne arbeitet.
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denn so kompliziert es ist, so verletzlich und
störbar ist es – und wie das Missbehagen über
diese Störungen leicht den Blick für diese Grösse
. Dann hört man auf jene Mensch wider den Schöpfergott. +)
Dem gegenüber heisst es dem Menschen das
gute Gewissen erhalten, ja uch den Stolz
auf diese gigantische Leistung bewahren.
Der Zögling soll aber auch deshalb das
Ganze in seinem Grundgefüge durchschauen.
damit er die Härten, die es mit sich bringt,
und die er auch in seinem eigenen Leben
manchmal schmerzlich verspürt, in ihrer
Sachbedingtheit und Unvermeidlichkeit
verstehen. Wir sind damit an der Stelle an-
gelangt, an der der Gegensatz gegen die
Pädagogik der Humanität am stärksten
hervortritt. Sie träumte doch im Grunde von
einer dem Menschenleben im Kleinen wie
im Grossen erreichbaren Harmonie und Form-
vollendung. Das Disharmonische galt ihr
als Abzug am eigentlich Menschlichen. Für
das Fortleben dieser Meinung zeugt die
pädagogische Verbreitung des Begriffs der „Ganz-
+) Klages, Heidegger, Reisner. „Dämonie“!
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heit.“ M E ist die Berufsschule diejenige
Schulreform, deren Vertreter in erster Linie beru-
fen sind, zu erkennen, das der Glaube an eine
Harmonie des menschlichen Seins 1) mit
dem Wesen des Menschen überhaupt, 2) mit
und besonders mit der Gestaltung der mensch-
lichen Dinge in unseren Tagen unvereinbar
ist. Der Mensch ist durchaus nicht das auf
Harmonie angelegte und der Harmonie fü-
gige Wesen. Das lehrt der Vergleich mit dem
Tier. Das Tier ist, weil in sich ruhend, geschlos-
sene Ganzheit. Es ist ganz und gar das, was
es nach dem Gebot der Gattung sein soll. Der
Mensch als Träger des Geistes ruht nur im
eigenen Mittelpunkt, ist über sich hinaus
das „Andere“
(plus !) schafft sich die künstliche Welt
der Kultur; er ist mit einem Worte – „frei“
(Der „Freigelassene der Schöpfung“) +) Freiheit aber
ist auch Freiheit zu Fehltritt, Entzweiung, Ri-
valität, Disharmonie. Und gerade im Ver-
hältnis zu dem Riesensystem der Weltproduk-
tion und Weltwirtschaft muss er erfahren,
dass seine eigene Schöpfung sich auch wiedr
ihn kehren kann, weil sie gleichsam eigenes
Leben gewinnt. Das muss der Zögling schon
dann erfahren, wenn er bei der Berufswahl auch
wider Neigung und Begabung zu han-
deln genötigt ist. Schon dann soll er verste-
hen, dass es nicht Torheit, Bosheit oder Graussam-
keit der Menschen ist, die ihn gerade in diesen
+) Bildung ist nie blosses „Wachstum“. Der Widerstand
des „Anderen“ ist nötig!
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Beruf hineindrängt, sondern dass im Bau
des ganzen Wirtschaftssystems Notwendigkeiten –
Zwänge enthalten sind, denen sich niemand
entziehen kann. Das ist der Preis, den der Mensch
dafür zahlen muss, das er aus sich das
System der „objektiven“, d.h. der zu Über-
lieferungen und Institutionen verfestigten
Kultur gegenüberstellen. Es ist dem Wesen
der Sache nach ausgeschlossen, dass die
Auseinandersetzung mit diesem System
stets die Form einer „harmonischen“ Begeg-
nung, einer „ganzheitlichen“ Versöhnung
trage. Der Zögling der Berufsschule bekommt
das besonders früh und schmerzlich zu
spüren. Und darum muss d. Berufsschüler
besonders früh sich mit Wesen und Ursache
dieser Unstimmigkeiten vertraut machen.
Noch aber fehlt der letzte und wesent-
lichere Grund, der es wünschenswert macht,
dass der Zöglich nicht bloss innerhalb des
Arbeitsgefüges seinen Platz ausfüllen
lernt, sondern auch sich denkend über das-
selbe zu erheben die Fähigkeit gewinnt.
Nur so wird er sehend für die Gefahren, die
seinem Menschentum kraft dieses seines
Einbezogenseins drohen. Und damit kommt
nun dasjenige Anliegen zur Sprache, dem die
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Nicht nur das „Glück“, auch das „Selbst“ ist bedroht
Humanitätsbewegung einen allerdings
einseitigen und übersteigerten Ausdruck
gegeben hat. Ohne Zweifel ist das Ideal der
Humanität geboren aus dem Grundgefühl,
dass die objektiv Kultur für das Selbstwerden
des Menschen Bedingung un dGefahr
zugleich ist. Simmel „Bergiff und Tragödie
der Kultur“. Die humanistische „Persön-
lichkeit“ ist gedacht als der Mensch, der
dieser Gefahr entrückt ist. Aber sie droht in
Wahrheit unaufhörlich, sie wird mit dm
Vorrücken der Kultur immer mächtiger und
sie ist am wirksamsten gerade in denjeni-
gen Gebieten, von denen her die Aufgabe der
Berufsschule sich bestimmt: Technik und
Wirtschaft. In ihrer objektiven Verfestigung
wirken zusammen: ihre vitale Unentbehr-
lichkeit und Unentrinnbarkeit, die ration-
nale Bestimmtheit ihrer Ordnungen, die
reale Macht ihrer Selbstdurchsetzung –
dazu aber das Fehlen einer Verfahren. Vergleich
mit dem „studium generale“ der Univer-
sität. Hauptsache ist die Durchdringung der
Kernfächer selbst! Die spezialisierte Be-
rufstätigkeit selbst soll von der Einsicht
durchdrungen werden, nicht soll die Einsicht
aussen angeleimt werden. „Gegenwarts-
kunde“, „Bürgerkunde“ werden nur dann
in die Tiefe wirken, wenn die fachliche Unter-
weisung ihnen in die Hände arbeitet.
zu S. 16-18. Das objektive System bedroht
nicht bloss das Lebensbehagen, das „Glück“ des
Menschen. Es bedroht auch das „Selbst“. Und die
letztere Bedrohung ist bisweilen gerade dann
am stärksten, wenn der Mensch sich (als „Funk-
tionär“) ganz und gar an das System hin-
gibt, also sich in seinem persönli-
chen Glücksverlangen garnicht beeinträchtigt
fühlt. Die Dahingabe des Selbst an das „Kol-
lektiv“, das Ziel der totalitären Lebensordnun-
gen! (Orwell 1984) Der Automatismus wird
freigesetzt.
V 0020b
1
Berufsschule.
Verschiedenes Tempo. Verschiedene Bedin-
gungen. Erziehung besonders langsam.
Tradition. Abseits.
So besonders heute. Klassische Bildungs-
idee. So schon nach 1918. An Realitäten
gescheitert. Soziologische Vorausset-
zungen. So erst recht heute.
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Sonderstellung der Berufsschule. Ihr
früherer Nachteil wird Vorzug. Nicht
nur Bindung an „Beruf“ – auch an Tech-
nik und Wirtschaft. (Vergleich mit Uni-
versität) Zusammenhang beider. Höchst
sachgebunden. Naturgesetzlichkeit und
„Gesetze“ des Wirtschaftslebens. Ratio-
nalität. „Planung“. „Fortschritt“. Fort-
schreitende Ausdehung. Gegenpol: Kunst
„Organisation“. „Kollektiv“. Auch Men-
schen werden „Apparat“. Fließband.
Widerspruch zu „Anlage“ und „Nei-
gung“. Zöglinge der B.-Sch. stehen
schon im Apparat.
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B.-Sch. ist Gegenpol zu „Humanität“.
Der eingespannte Mensch. Entziehen?
Vgl. Existenzphilosophie. Dann wäre La-
ge hoffnungslos. Unentrinnbarkeit! „Pla-
netarisch“. E. Jünger. Ist Menschentum
zu retten? Ins Gesicht sehen, wie Guar-
dini. Dies die Sache der B.-Sch. Ihre
Erfahrungen.
Die spannungshaltige Aufgabe:
1) Erziehung zur Leistungstüchtigkeit
2) Das Arbeitsgefüge überschauen. Sinn
der eigenen Arbeit. Schwierig. Enge des
Horizonts. Fließband. Allverbundenheit.
Planetarisch. Perspektive des Berufs.
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2a) Recht, Notwendigkeit und Größe sehen.
Verletzlich. Wider die Bußprediger.
Gutes Gewissen!
3) Die Härten verstehen. Keine „Harmo-
nie“. Wider die Humanitätspädagogik.
Keine „Ganzheit“. Vgl. das Tier! Bild-
dung ist nicht Wachstum. Das „Andere“.
Eigenleben des „Anderen“. So bei Berufs
wahl. Die kulturelle Objektivierung.
4) Die Gefahr für das Selbst sehen!
Hier das Recht des Humanitätsgedankens.
„Tragödie der Kultur“. Gerade in Technik
und Wirtschaft. Ihre Härte und Zwangs-
läufigkeit. Ihre Unentrinnbarkeit. Vor
allem: Fehlen der Selbststeuerung. Neu-
tralität. Ambivalenz. Fest und doch
ziellos. Automatismen rasen los. „Dä-
monie“. Einzelmensch und Gemeinschaft
werden mitgerissen. Der Apparat regiert
Ziele kann nur der wollende Mensch set-
zen. Die Maschine soll von einem Maschi-
nenteil regiert werden. Notwendigkeit
und Freiheit. Deshalb: überschauen!
Nicht bloß der isolierte Einzelne. Die
Willensgemeinschaft. Unterschied des
wirtschaftlichen und des politischen
„Apparats“. Sinn der Demokratie im Ge-
gensatz zur Diktatur. Sehende Menschen.
Schwierigkeiten der Durchführung. Sache
der praktischen Erprobung. Gegen addi-
tives Verfahren. Vgl. „studium genera-
le“! Immer vom Fach aus |