Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor V 0015
TitelDie Bedeutung des Menschenbildes für die moderne Gesellschafts- u. Wirtschaftsordnung
Enthälta) hs; 2 Doppelblätter + 1 Blatt 10,4 x 14,8 cm = Titelseite + S. 1-6 b) hs; 1 Blatt 10,4 x 14,8 cm = S. 1-2
Zeitvon1956
Zeitbis1956
Bemerkungenauf alter Verzeichnungskarte: Die Bedeutung des Menschenbildes für die moderne Gesellschafts- u. Wirtschaftsordnung. Köln 1956 (in: Das Problem der Menschenbildung ehedem und heute 1951); Dokumentenabschrift: V 0015a Köln 1956 Titelblatt Die Bedeutung des Menschenbildes für die moderne Gesellschafts- u. Wirtschaftsordnung. Köln 1956 1 Das mir gestellte Thema enthält einen Begriff, der um seiner Mehrdeutigkeit wil- len näher ausgelegt zu werden verlangt. Es ist der Begriff „das Menschenbild“. Er kann verstanden werden als das Bild des Menschen, wie er „ist“, und als das Bild des Menschen, wie er „sein soll“. Ohne zwei- fel liegt es uns Deutschen näher, ihn in dem zweitgenannten sinne zu verstehen, Das Bild wird gedacht als „Leitbild“, als das dem Menschen als Vollendung seiner selbst vor- schwebenden „Ideal“. Und ganz besonders dann sich diese Auslegung in den Vorder- grund, wenn der Begriff im Zusammenhang des erzieherischen Denkens auftaucht. Es ist eine weitverbreitete Pädagogenmeinung, dass überhaupt nur dann erzogen werden könne, wenn dem Erzieher ein solches Leit- bild des zu erziehenden Menschen vor Au- gen stehe. Und je bestimmter dieses Leit- bild sich herausarbeitet, um so schärfer tritt auch der Gegensatz gegen das, was der Mensch tatsächlich ist, hervor. Das Leitbild formiert sich geradezu in der Negation des- sen, was der Mensch tatsächlich ist, aber nicht sein sollte. Wie wenig selbstverständlich diese her- 2 vorhebende Accentuierung dessen, was „sein soll“ tatsächlich ist, das ist mir nie so deutlich geworden wie in den zahlreichen Unterredungen und Verhandlungen, die in der Nachkriegszeit die deutschen und die angelsächsischen Vertreter von Theorie und Praxis der Erziehung zusammen- geführt haben. Das angelsächsische Aus- gehen von dem was „ist“. Empiristische Denk- gewöhnung und zutrauen zu der Güte des Gegebenen. Kein antithetisch auf- gestelltes Leitbild. „Anpassung“ (ad- justment“) Grund dieser Verschiedenheit: das deutsche Schicksal. Fichte. Aber schon vorher: Humanitätsbewegung. Das Humanittätsideal ist geboren in der Auf- lehnung wider den Geist oder viel mehr Ungeist der Epoche. Es gewinnt geradezu seine Profilierung durch Negation des Seienden. Von Winckelmann bis Hölder- lin u. Pestalozzi: das geteilte gespaltene Menschentum. Humboldts Grundbegriffe als Antithetische Begriffe. Schon bei Herder, Schiller: d. Fluch der Arbeitsteilung. 3 Schon damals, in den Anfängen der „in- dustriellen Gesellschaft“. Schillers Hoffnung auf neue, höhere „Humanität“. Unsere tiefere Einsicht: ein unabwendbares u. unaufhaltsam fortschreitendes Schicksal. Das „Seiende“ setzt sich unwiderstehlich gegen das „Seinsollende“, d. i. das „hu- mane“ Leitbild durch! Die zunehmende Divergenz zwischen der Faktizität der gesellsch.-wirtsch. Entwicklung und dem immer noch festgehaltenen „hu- manen“ Leitbild. Doppelte Buchfüh- rung. Fortlebend im heutigen Litera- tentum. „Doppelleben.“ Seit St. George. Allerdings: umfasst diese Darstel- lung die ganze heutige Welt? Genauer gesagt: die Gesamtheit derjenigen Völ- ker, die die moderne arbeitsteilige industrie- lle Ordnung zur Perfektion emporentwik- kelt haben? Empfindet man allent- halben den Widerspruch zwischen den An- forderungen dieser Produktionsordnung und den Ansprüchen, die der Mensch als Mensch zu stellen hat? Die Antwort gibt der Blick auf den Osten, genauer: auf die den Osten beherrschende Ideologie. Auch die marxis- 4 tisch-leninistische Doktrin ist in ihrer Art eine Antwort auf die Frage nach dem Verhält- „Menschenbild“. nis zwischen Seiendem und Seinsollenden. Aber sie statuiert nicht eine Antithese zwi- schen Seiendem und Seinsollendem – nein, in ihr heisst es: wenn du die im Seienden „Naturgesetze der Gesellschaft“. selbst waltende Grundbewegung richtig erfassest und dich einsichtig und bereit- willig in sie einstellst, besser: mit ihr iden- tifizierst, dann tust du das, was sein soll. sollende Das Seiende zusammen mit dem richtig erfassten Seienden. Was nicht sein soll, das ist die Abweichung von dem Zuge die es Seienden. Daher liquidieren! So entsteht die höchst optimistische Theorie des universalen „Fortschritts“. Enthu- siastische Bejahung des Produktionsge- füges der „industrielen Gesellschaft“. Mo- dell des universalen „Fortschritts“. Das Men- schenbild ist das des „fortschrittlichen“ Funk- tionärs im „Kollektiv“. Seine Einfügung ist = „Humanität“! Zitat Lange. Die Lage des östlichen Erziehers. Zweifelfrei. Das Unterlegenheitsgefühl des westli- chen Erzeihers. Mangel an Einheit. Un- gewissheit. Antwort: Uniformität des „Menschen- 5 bildes“ nur durch Zwang. Die Alterna- tive. Totalitarismus und Demokratie. +) Einigkeit in der Anerkennung der Span- nung v. Arbeitsordnung und Menschen- tum. Ablehnung des universalen „Fort- schritts“. Darüber hinaus: Auseinander- gehen zur Mehrheit der „Menschenbilder“. Christlich – human - freidenkerisch. Das Christliche geteilt in katholisch und Evangelisch. Demokratie als Bejahung einer Vielfalt. „Humanität“ heute = To- leranz in positivem Sinne. Abgesehen vom Menschenbild der klass. Humanitätsbewegung. Statt Harmonie fortdauernde unaufhebbare Spannung. Statt Einheit des Menschenbildes Mehrheit = „Leitbilder“ der Menschenbilder. Unser geistiges Schick- sal, dem sich auch der Erzieher nicht entziehen kann. Schwieriger, aber auch. +) Der Westen: „Ich wählte die Freiheit“. Wie weit darin noch Einheit des Menschenbil- des? Einigkeit in Anerkennung d. Spannung v. Arbeitsordnung u. Menschentum. Nur wenn sie gesehen wird, ist Freiheit möglich. Nur so: Wachsamkeit (die auch d. östl. Ideolo- gie eingeschläfert wird) 6 reicher. Preis der Freiheit V 0015b 1 “Menschenbild” doppeldeutig. Dem Deutschen, zumal dem Erzieher = Leit- bild. Gegensatz gegen das „Seiende“. Erfahrung mit Angelsachsen. „An- passung“. Grund das deutsche Schicksal. Fich- te. So schon Humanitätsbewegung. Negation des Seienden. Zerteiltes Men- schentum! Humboldt. Schon damals. Schillers Hoffnung. Unsere tiefere Ein- sicht. Das „Seiende“ gegen das „Leitbild“. Der sachbedingte „Fortschritt“. Divergenz. Heute: „Doppelleben“. So die ganze heutige Welt? Die öst- liche Ideologie. Auch hier ein „Menschen- bidl“! „Seiendes“ und „Seinsollendes“ in eins gedacht. „Naturgesetze der Gesellschaft.“ Sich einstellen! Nichtseinsollend ist die Abweichung. Daher: liquidieren! Theorie des universalen „Fortschritt“. Bejahung der technisch- industriellen Entwicklung. Modell des universalen „Fortschritts“. Das Menschenbild: der „Funk- tionär“ im „Kollektiv“. Einfügung =“Hu- manität“. Zitat Lange. Sicherheit des 2 östlichen Erziehers. Zweifelsfrei. Neid des westlichen Erziehers: Resig- nation. Kein einheitliches Leitbild! Antwort: heute nur Schein der Ein- heit durch Suggestion und Zwang! Die Alternative. Totalitarismus und Demo- kratie. Westen: „Ich wählte die Freiheit.“ Wie weit Einheit des „Menschenbildes“? Anerkennung der Spannung. Nur so Wahrung der Freiheit. Wachsamkeit! Aber Freiheit wofür? Nicht für den universa- len Fortschritt. Auseinandergehen zur Mehrheit der Menschenbilder. Demo- kratie als Bejahung der Mehrheit. „Humanität“ heute = Toleranz. Abgehen vom klassischen Menschen- bild. a) Unaufhebbare Spannung statt Harmonie b) Mehrheit der Leitbilder statt Einheit. Unser geistiges Schicksal. Schwieriger, aber auch reicher. +) Auch für den Erzieher. Preis der Freiheit. +) weil wahrhaftiger.