Bemerkungen | Dokumentenabschrift: V 0014
Radio 1929
Titelblatt
Die Bedeutung des Berufs im modernen Leben
(Radio 1929)
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Bei Betrachtg. dieses wie jedes Lebensproblems: sich frei
machen v. d. Meinung, die heutige Situation sei „selbst-
verständlich“. Zur Distanzgewinnung ist nötig: histori-
sche Ausschau auf anders geartete Epochen! Ich greife he-
raus: die antike und die christl. Gedankenwelt.
Antike: der wertvolle Mensch ist beruflos im Unterschied
vom „Banausen“. Voraussetzg. ist die ökonom.-polit. Situa-
tion: Arbeit am Staat (unbezahlt) und „Musse“. Beruf
u. Vollmenschentum geschieden. ()
Wendg. d. d. Christentum. Im Urchristentum: Gleich-
gültigkeit gegen d. irdische Leben (Weltende) und so auch
den Beruf, da das Lebenszentrum ausserhalb dieser Welt
Es verlegt das Zentrum aus dieser Welt heraus, was al-
ler irdisch. Tätigkeit und so auch d. Beruf eine un-
tergeordnete Stellg. verleiht! Dabei Variationen: d.
Urchristentum ist ganz gleichgültig, weil das Welt-
ende nahe. Auf Gottes Geheiss im Berufe bleiben, aber
ihm keinerlei Wert billigen! In d. Folge erhält sich d.
„vocatio“!
Glaube an die göttliche Stiftung des Berufs, aber die
relative Wertung steigt um so mehr, je mehr d. Chris-
tentum sich als „Kirche“ in d. Welt einrichtet. Das Mit-
telalter! Die „Welt“ als Unterbau der „Gnade“; der
Organismus der Gesellschaft als gottgewollter Arbeits-
zusammenhang. Ständisch-architekton. Aufbau.
Jeder soll „in seinem Stande bleiben“. Das Luthertum
accentuiert den Gegensatz schärfer, sieht die Arbeit des
Berufs mehr als Strafe, behält aber d. Gedanken an
Gottgewolltes bei.
Wesentlich an alledem: weil d. Glaube sein Zentrum
ausserhalb dies. „Welt“ hat, kann er die Unzuträglich-
keiten dieser Welt gleichsam von oben her mit Sinn
bestrahlen und rechtfertigen; auch die geringste Berufs-
arbeit ist gottgewollt und kann als Gottesdienst ge-
weiht werden. Welche Sinnerfüllung! Gläubige Bejahung.
Keine Berufs-Wahl! „Traditionalismus“.
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Wandlg. unausbleiblich, sobald der weltüberwin-
dende Glaube schwindet: Man sucht den Sinn in der
Welt selbst! Die „Aufklärung“ bereitet diese Wendung vor.
Statt Glaube: Denken; statt gemeinschaftl. Traditionen: in-
„Wahl“!
dividuelle Entscheidung und Kritik. Dieselbe geistige
Bewegg. aber wandelt nun auch die Gestalt d. Welt
selbst, und zwar so, dass es dem selbständ. Denken im-
mer schwerer wird, in ihr selbst befriedigenden „Sinn“ zu
finden. Auflösung der ständisch-organ. Ordnung; freie
indirek. Entscheidung in d. Berufswahl. Das moderne
rationalisierte Wirtschaftsleben; die kapitalist. Welt
und ihre Produktionsformen samt gesellschaft. Korre-
laten (Klassen!)
Worauf beruht die neue Berufssituation? Der Mensch,
gelöst von einem selbstverständl. Glauben, der alles Leben
u. d. Tradition u. d. Gemeinschaft
sinnvoll macht, sucht in individ. Entscheidung
seinen Platz im Leben auf Grund von Neigung und Be-
gabung. Dieses „Leben“ steht ihm gegenüber als rattiona
ler Aufbau v. wirtschaftlich bedingten Posten u. „Stellen“.
Um leben zu können, muss er eine dies. Stellen aus-
füllen; aber in ihr auch Lebenssinn u. Glück.
(so selbst die dogmatisch gebundenen Kreise, die auch
nicht mehr mittelalterl.-„organisch“ denken!)
Was wäre nötig, damit diese Situation sich befriedi-
gend gestaltete? Eine Relative Harmonie zwischen
Verdienstbedürfnis des Einzelnen und Ergie-
„Der rechte Mann an d. rechten Platz“.
bigkeit des Systems, zwischen Neigung und Begabg.
hier, geforderter Leistung dort. Eine solche Har-
monie wäre ein reines Wunder. Das Arbeitssystem
uns. Gesellschaft ist weitgehend erstarrt, gebunden
durch unabänderl. Notwendigkeiten d. natürl. Aus-
stattung v. Land u. Volk, der wirtschaftl. Produktions-
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verhältnisse, der technischen Möglichkeiten, durch die
Einfüigung in d. System d. Weltwirtschaft. Diesem starren,
schwer und langsam sich wandelnden System steht
die unberechenbare Vielgestalt des Menschentums
gegenüber. Dort sind so und so viel Hand- u. Kopf-
arbeiter, Entwerfende u. Ausführende, Forscher, Erfin-
der, Künstler, Staatsmänner, gebende u. ungeben-
de Arbeiter gefordert – hier treten die unberechenba-
ren Anlagen d. Menschen gegenüber. Woher sollte die
Harmonie kommen? Warnung vor dem Optimis-
Reform v. Staat u. Gesellschaft
mus derer, die durch Erziehung und Beratung dies
Missverhältnis tilgen wollen! Bald fehlt „der rechte „Platz“
bald der „rechte Mann“!
Und zwar gilt dies nicht nur f. d. Handarbeiten-
de Bevölkerg., die d. Zwang des spezialisierten in-
dustriellen Systems am härtesten empfindet. Die
„Tragödie “ wirkt auch in Wissenschaft,
stastmänn. u. verwaltender Tätigkeit; Wirtschafts-
führung! – So ist „Beruf“ nicht mehr = „Berufung“.
Sinnentleert!
Milderung durch die „mehrfache Plastizität“ der
Menschen. Seltenheit der völlig eindeutigen Be-
gabungen.
Dazu aber die menschlichen Hilfen. Aufgaben
der Erziehung. Sie waltet als Mittlerin zwischen
der menschl. Subjektivität und jenen objektiven
Forderungen. Nicht bloss „vom Kinde aus“. Die mehr-
fache Plastizität mit dem Berufssystem zusam-
menbringen. Zumal Aufgaben aller Formen be-
ruflicher u. fachl. Schulen (wozu in gewissem Sinne
auch d. Universität gehört) Fernerhin: die Berufsbe-
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ratung, die gleichfalls Mittlerin ist zw. gesellschaftl.
System u. persönl. Wünschen. Ihre psycholog. Schwie-
rigkeiten! Ferner: Aufgabe aller führenden Wirt-
schaftsmächte (wozu auch d. Staat gehört), sowohl d.
Arbeitgeber als d. Arbeitnehmer: Vermenschlichung
der Härten des Berufssystems. Aus alledem soll
ein neues Berufsethos wachsen. Grundlage: die
Einsicht in die niemals völlig aufhebbare
Spannung zw. d. Wunsch des Herzens und dem
Gebot d. gesellschaftl. Lage; der Wille, im Rahmen
des Möglichen den Gegensatz zu mildern; die
Bereitschaft, den niemals zu tilgenden Beisatz
tragischer Gegensätzlichkeit mit Heroismus zu
tragen. Insofern ist „Beruf“ Ausdruck d. s inneren
Nöte
Schwierigkeiten jeder gereiften Kultur. „Herois-
mus des Dienstes“ |