Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor V 0013
TitelDie Autonomie der Pädagogik
Enthälta) hs; Doppelblatt + 2 Blatt 14,2 x 21,7 cm = Titelseite + S. 1-6 b) hs; 1 Blatt 10,5 x 14,8 cm = S. 1-2 c) gedruckte Einladungskarte (Stockholms högskola humanistiska fakultet - 3.9.1948)
Zeitvon1948
Zeitbis1948
BemerkungenDokumentenabschrift: V 0013 a Stockholm 1948 Titelblatt Die Autonomie der Pädagogik (Stockholm 1948) 1 Die Autonomie der Pädagogik. Thema so alt wie die wissenschaftliche Päda- gik. Ihr Aufkommen in Epochen unsicher werden der Tradition. Sophistik Klassisches Beispiel. Comenius auf dem Hintergrunde des 30 jähr. Krieges. Jahr- hundert der Aufklärung als eminent pädago- gisches Jahrhundert. Alsdann: Erziehung die Hoffnung des Menschengeschlechts! Aber das kann sie nur als „autonome“ sein. Emile als extre- Fichtes Nationalerziehung. mes Paradigma. Herbarts Pädagogik. Zu besonderer Lebhaftigkeit erwacht die Frage, wenn ausserpädagogische Mächte die Erziehung regieren wollen. Das gibt der Frage für uns Deutsche ihre Aktualität. Jüngste Vergangenheit und Ge- I gegenwart. a) Das Nazi-Regime im Verhältnis zur Erziehung. Nordische „Weltanschauung“ als Grund- lage. Aber wer bestimmt den Inhalt einer Welt- anschauung? Die politischen Machthaber, und zwar mit allen Mitteln. b) Und heute? Siehe auf den deutschen Osten? Massgebend ist „die Gesellschaft“. Aber was bestimmt die Richtung der Gesellschaft? Der ökonomische Prozess gemäss dem dialekti- schen Materialismus. Und wer verhilft dieser Lehre zur Herrschaft und Durchsetzung? +) Wieder die politischen Machthaber. Abermals diktiert der Staat eine „Weltanschauung“. +) Man behauptet ihre wissenschaftl. Unwi- derlelichkeit! Beides Beispiele für die „Heternomie“ der Pädagogik. Eben deshalb das Problem bei uns so aktuell. Hier ist Autonomie ein Ersehntes, Gefordertes, also nur positiv getönt. II Dazu aber eine zweite Eigentümlichkeit der deut- schen Lage. Die Erschütterung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Das Wanken aller geistig- sittlichen Traditionen. Die Auflösung der Normen. Drohen des Nihilismus. + Der Boden auch der Erzie- + Streit der Gruppen und Doktrinen 2 hung wankt. In ruhigen Verhältnissen fragt die pädag. Wissenschaft nach Organisation, Methode, Psychologie, der Jugendlichen usw., während das Wozu selbst- verständlich ist. Zu Zeiten der Auflösung tritt die Frage das „Menschenbild“ des Wozu gebieterisch in den Vordergrund, und wieder heisst es: das autonome Gewissen des Pädagogen ist die einzige Instanz, die innerhalb dieses Wirr- sals die Entscheidung treffen kann. Alle ausserpä- dagogische Mächte sind unfähig, Direktiven zu geben. Hier ist Autonomie auch Not, Ratlosigkeit. also auch negativ getönt! Wie steht es, wissenschaftlich gesehen, mit der be- sagten „Autonomie“? Es ist Sache der pädag. Wissen- schaft, selbst ihre Kompetenzen zu prüfen. Eine kul- turphilosophische Untersuchung über die Frage: wel- ches ist die Funktion der Erziehung im entfal- teten Ganzen des Kulturlebens? Wie weit kann ihr auf Grund dieser Analyse „Autonomie“ zuge- billigt werden? Wo die Pädagogik sich völlig auf eigenen Boden glaubt stellen zu sollen und können, da treten zwei Eigentümlichkeiten beherrschend her- Emile! Aber auch Herbart u. schon Comenius! vor: 1) Die völlige Isolierung des erzieherischen Vorgangs. Wie unter der Glasglocke. 2) Die Auf- stellung von allgemeingültigen Normen und Regeln. Anfänge bei Comenius. Durchführung im „natürlichen System“ der Aufklärung und bei Herbat und den Herbartianern. ZurKritik von 1) Kants Bild von Taube und Luftwiderstand. Das kulturelle Medium, die Atmosphäre als Bedingung der erzieherischen Begegnung. Der „objektive Geist“. Paradigma 3 ist die Sprache. Sprache als „Welt“-bild. Dazu die Sume der kulturellen Überlieferung. Das Diapason des Zeitgeistes. Die „Kulturgüter“ als Lehrgehalt. Die Werte Gesellschaft, Staat. Normen als Direktiven. Selbst im Zustande der Auf- Kein Vacuum! lösung bleiben Reste des Normbewusstseins erhalten. Darin liegt auch Kritik von 2). Diese Kulturgehalte existieren nur als historisch Konkretisierte (Der Irr- tum der Aufklärung!) Paradigma die Sprache. So auch der ganze „objektiveGeist“. +) Die Mannigfal- tigkeit der völkischen und zeitlichen Gestalten. Die von Herder bis Hegel erarbeitete Einsicht in die Selbstindividualisierung des Geistes. So lebt alle Erziehung in der Atmosphäre einer historisch konkretisierten Kulturganzheit. +) Selbst in der Auflösung leben staatl. u. gesellsch. Tendenzen fort (Deutsche Erfahrung) Histor. Kontinuität auch i. Umschwung Ist damit der Gedanke der „Autonomie“, ist damit auch der Gedanke einer selbständi- gen Erziehungswissenschaft aufgegeben? Zur Antwort auf das Zweite: es ist die kul- tur-, genauer die Erziehungswissenschaft selbst, die uns über die vorher entwickelten Struktur- zusammenhänge aufklärt – wie denn auch jene Erziehungslehre, die den Erzeihungsvorgang isoliert und uniformiert, nur auf dem Hin- tergrunde einer allgemeinen Kulturtheorie, nur eben einer fehlgehenden, bestimmt. Jede Erzie- hungslehre hat, ob sie es weis oder nicht, einen sol- chen Hintergrund. 4 Dieselbe Kulturtheorie aber, die uns von künstlicher Isolierung des Erziehungsvorgangs abhält, bewahrt uns auch davor, den Erzeiher zum sklavischen Voll- strecker ausserpädagogischer Mächte zu erniedri- gen. Und zwar durch folgende Überlegungen. Das Leben des Einzelnen im Medium der Kultur. Kein Papagei. Kein passives Übernehmen. Siehe das Sprachleben. Neuerzeugen und Weiterbilden. Abstufungen vom genialen Sprachschöpfer bis zum Anonymus. So auch Brauch, Sitte Aufnahme v. Külturgütern. So auch Staat und „Gesellschaft“. Kein Determinismus. So selbst im Bereich ausserpädagogischen Lebens. Unbewusste. Gesteigert in Leben der Erziehung. Sie ist be- Verteilt auf 2 Generationen! wusstes und gewolltes Fortzeugen durch Übertra- gung auf das junge Geschlecht. Geöffnet einer Zukunft, die durch die Jugend gestaltet werden soll, An dieser Zukunftswilligkeit muss der Erzieher teil haben, +) auch in seinem eigenen Verhältnis zu den Kulturgehalten, die er werdende Seelen hinein- senken soll. Und das heisst: das ihn umgehende Diapason ist nicht diregierende Macht. Er hat das Überkommene zu verlebendigen 1) in eigener Neuerzeugung 2) in der Form der Verpflanzung in junge Seelen. Ad 1: nur wenn er selbst die Gehalte seiner Zeit echt und stark erlebt, kann er sehen, ob, in welcher Auswahl und wie sie in jugendlichen Seelen hinübergepflanzt werden können. Was dem Erzieher selbst tot, äusserlich übernommen ist, das wird er nicht sub specie dieser Frage beurteilen und unterscheiden kön- nen. So auch das „Klassische“! Zwei Stufen der Verle- bendigung. +) Sein Doppelverhältnis a) zu den Bildungsgehalten b) zu den werdenden Seelen. Er sieht beide in Ver- schränkung. (Gefahr der einseitigen Sicht. Trichter und Saugpumpe) Autonomie nur, wo Gleichgewicht besteht! 5 Was ist das spezifisch Pädagogische an dieser Haltung? Einerseits: der Jugend den Weg in die gegebene Kultur bahnen Andererseits: sie nicht so auf bestimmte Inhalte dieser Kultur festlegen, dass sie vor der Zeit die Fähigkeit künftiger Selbstbestimmung einbüsst. Die Ge- fahr, dass dies geschehe, droht vor allem von einer Seite her: von denen, die die Gewalt haben oder wenigstens anstreben: von den politischen Par- teien. Die Autonomie der Pädagogik ist von dieser Seite her im heutigen Staatsleben am stärk- sten bedroht. Dem gegenüber ist die pädag. Auf- gabe: die Jugend in die Wirklichkeit des Staa- tes einführen, den Willen für die Arbeit am Staat mobilisieren („staatsbürgerliche Erziehung“), aber sie in keiner Weise auf eine der hadernden Meinungen und Bestrebungen, die um den Staat ringen, vor der Zeit festlegen. Einen Pri- mat der Politik von der Pädagogik muss das erzieherische Gewissen unter allen Umstän- den ablehnen. Auch dies ein , dessen Dringlichkeit gerade wir Deutsche im Kampf der Parteien aufs stärkste erleben. So ist also die päd. Autonomie nicht eine Autonomie im luftleeren Raum eine hermetisch abgeschlossene Erziehungswelt, sondern im Medi- um einer konkreten, historisch gewordenen, einma- ligen Kulturlage. Innerhalb ihrer, in ihrer Aner- 6 kennung, muss sie unbedingt festgehalten wer- den. Schwerer, als unter Voraussetzung einer abso- luten u. abstrakten Autonomie. Konkretisierung dieser Autonomie in den ver- schiedenen heute lebenden Völkern. Der junge Lehrer in Deutschland und in Schweden. Beide haben das zu bestehen, was ihrer Lage als Glück, Förderung und Gefährdung innewohnt. Der deutsche Lehrer: alle Irrtumsmöglichkeiten Nöte, Zweifel und Misserfolge, die eine so von Zwei- fel unsicher, schwankende und tastende Zeit mit sich bringt – aber auch alles Glück der Verant- wortung, die der Aufbau einer neu zu gestaltenden Welt mit sich bringt. Der schwedische Lehrer: alle Förderungen und Sicherungen, die das Leben <...> Wirken in einer gesicherten Staats- u. Gesellschafts- ordnung und einer unangefochtenen Kultur- tradition mit sich bringt – aber auch die Gefahr sich fügen in das Vorhandene, weil es ist; einer vorschnellen Beruhigung bei der Vortreff- lichkeit des Beruhenden und Überkommenen und des Erlahmens der selbständigen Kritik. Jener; der deutsche, ist zu mahnen, dass er seine in reine Willkür verfalle; utopische Phantastik Autonomie nicht radikalistisch übertrete, dieser dass er sie nicht <.....tistisch> vergessen u. sich in das Vorhandene füge, weil es so ist, wie es ist. Diese Verschiedenheit: ein Ausdruck der Polyphonie des europäischen Gesamtlebens. Besuch im Auslande ermöglicht es, die Poly- phonie zu vernehmen. Wunsch, dass Schweden auch nach Deutschland kommen, um den deutschen Beitrag zur Polyphonie zu vernehmen. V 0013 b Stockholm 1948 1 Thema alt. Sophistik. Aufklärung. Emile.“ Herbart. Aktuell für Deutsche I a) Nazi b) Ostzone. „Heteronomie“.! Hier: Forderung. II. Erschütterung der deutschen Lage. „Menschen- bild“. Hier: Not. Antwort der pädag. Wissenschaft. A Form der völligen Autonomie: a) Isolie- rung. Glasglocke. Dazu: b) Allgemeingül- tige Normen. „Natürliches System“. Her- bart. Kritik: a) Kants Bild von der Taube. Das Medium der Kultur. Die Sprache als „Welt- bild“. Kulturgüter. Werte u. Normen. Selbst in der Auflösung. b) Das Medium existiert nur in geschichtl. Konkretion. (Irrtum der Aufklärung) Spra- che. „Objektiver Geist“. Volk und Epoche. Staat und Gesellschaft. Histor. Kontinui- tät selbst in der Auflösung. B. Autonomie aufgegeben? Mitsamt Erzeihungswissenschaft? Erziehungswissenschaft gibt durch Strukturanalyse die Antwort. Falsche u. richtige Strukturanalyse. 2 Weder Isolierung noch sklavische Abhängig- keit! Der Einzelne im Medium der Kultur. Spre- Nicht: Papagei chenlernen. Neuerzeugen und Weiterbilden. So alle Kulturgehalte, Werte, Normen. Kein Determinismus v. Staat und Gesellschaft. O unbewusst im ausserpädagogischen Leben. Gesteigert und bewusst im pädago- gischen. 2 Generationen. Das Doppelver- hältnis des Erziehers. Verschränkung und Gefahr der Einseitigkeit. Echtes Erleben der Gehalte und Hineindenken in junge Seelen. Nichts fertig übernehmen, auch nicht das „Klassische“. Zwei Stufen der Verlebendigung. Dies die echte Autonomie. Jugend einführen und Zukunft offenhalten. Ge- fahr droht vor allem von Poltik und Par- teien. Aufgabe „staatsbürgerlicher Er- ziehung“. Kein Primat der Politik! Also: Autonomie im Medium der historischen Lage. Mannigfaltigkeit in der heutigen Völkerwelt. D. junge Lehrer in Deutschland und Schweden. Gefahren beider. Europäische Polyphonie.