Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Sehr verehrter Herr Kollege!
Auf Ihre Anfrage vom 17. Februar erlaube ich mir Folgendes zu erwidern.
Ich bin mit dem Verfasser der mir zugesandten Ausarbeitung einig in der Überzeugung, dass unser Bildungswesen einen Stand erreicht hat, der die beratende Mitarbeit der in dem vorgeschlagenen Institut zu pflegenden Wissenschaften unerlässlich macht. Ich teile seine Meinung, dass diese Wissenschaften bisher bei uns ungebührlich vernachlässigt worden sind.
Nicht ganz einig bin ich mit ihm in der Bestimmung der Funktion, die die fraglichen Wissenschaften im Verhältnis zum Bildungswesen auszuüben hätten. Ihre Kompetenz wird m.E. überschätzt, wenn man ihnen die "Grundlagen für eine künftige Kulturpolitik" abfordert. Die Tendenzen, die in der Kulturpolitik eines Staates u. Volkes leben, können durch die empirische Wissenschaft auf die Möglichkeiten und Bedingungen ihrer Verwirklichung hin geprüft werden. Nicht aber können sie, scheint mir, an ihnen ihre "Grundlagen" haben. Leitende Wertbestimmungen sind wissenschaftlich weder zu begründen noch zu widerlegen. Und doch sind gerade sie es, die den Geist des Bildungswesens primär bestimmen.
Mit diesem Einwand hängt ein zweiter engstens zusammen. Herr Becker erhofft die Zusammenstimmung der in dem Institut zu pflegenden Wissenschaften von der Begegnung in den gemeinsam zu lösenden Aufgaben. M.E. bedarf es überall da, wo es gilt, die nach Inhalt und Methode differierenden Disziplinen zu erspriesslicher Zusammenarbeit zu vereinigen, jener die Sonderwissenschaften übergreifenden Betrachtung, die allein die Philosophie zu leisten vermag. Sie allein kann als "Wissenschaftstheorie" zwischen den kooperierenden Betrachtungsweisen das rechte Verhältnis herstellen. Ganz besonders ist ihre Beteiligung dann erforderlich, wenn, wie im vorliegenden Falle, die zu Rate zu ziehenden Wissenschaften sich mit einem von Wertbestimmungen geleiteten Wollen zusammenfinden sollen.
Aber das sind Einwände, die nicht gegen die Idee des in Vorschlag gebrachten Instituts sprechen, sondern nur die innere Gliederung und Zusammenordnung der beteiligten Wissenschaften betreffen. Ihnen würde Rechnung getragen werden, wenn zu den Arbeiten des Instituts ein philosophischer Denker herangezogen würde, der die Klarheit des wissenschaftstheoretischen Urteils mit dem Blick für Wesen und Notwendigkeit empirischer Tatsachenforschung vereinigt.
Mit den besten kollegialen Grüssen
Ihr Th. Litt; von: Litt an: Zweigert,; Ort: Bonn |