Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0646
TitelBrief von: Kühn, Johannes (Dresden) an: Litt
Enthälths; Brief 2 Blatt 20,9 x 27 cm
Zeitvon1943
Zeitbis1943
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Kollege, meine letzte kleine Sendung mit einem Brief zu begleiten war mir nicht möglich, und leider kam ich auch in der ganzen Folgezeit nicht dazu. Dabei lag mir zweierlei am Herzen. Erstens wünschte ich Ihnen zu danken für die Freundlichkeit der Zusendung Ihrer Herderschrift. Ich weis nicht, ob ich es aussprechen darf, dass ich selten eine Schrift mit so vollständiger Zustimmung gelesen habe, ohne Differenz in irgend einem wesentlichen Punkte, ja auch nur auf irgend einer Seite. Ich las im Winter gerade über die Geschichte der Geschichtsphilosophie, und die Fragen waren mir also nicht ganz fern. Ich fasse ihn durchaus ebenso auf. Das wunderbare ist nur, dass aus Ihrer Hand, die eminent dialektisch und elegant ist, der alte Herder, der von beiden das Gegenteil war (, quellend, trunken, ) dennoch leibhaftig hervorsteigt! Die andere Aufgabe, die ich mir schon lange vorgesetzt hatte, war auf Ihre Schrift über den Deutschen Geist und das Christentum zu antworten. Aber ich sah immer deutlicher, dass sich das mit wenigen Worten nicht machen lässt und dass ich etwa eben solch eine Schrift schreiben müsste. Dann entstand plötzlich - als Vortrag in kleinerem Kreise - der Schreibmaschinenaufsatz über das Zeitalter der "Kirche" und die Metaphysik des 1. Jahrtausends vor Chr. Ich hatte das Gefühl, dass er in gewissem Sinn eine Antwort auf Ihre Schrift enthält. Deshalb erlaube ich mir, trotz aller seiner grotesken Unvollkommenheiten ihn Ihnen zu schicken. Ich kann diese Dinge nur im allergrössten historischen Mantel ansehen und spüre, dass sich ein grosser "Ring" schliessen will - gewiß nicht (insofern ist das Bild falsch) um wieder von vorn anzufangen, sondern ins Ungewisse hinein. Und gewiss nicht zu meiner Freude, denn es bedeutet die Krise der Krisen: dunkle Kämpfe um ein neues Kapitel Weltgeschichte. Unter solchen Umständen frage ich mich, ob wir, die wir Nachkommen von Christen, aber keine aktiven Christen, die wir christlich temperiert, aber nicht christlich gehärtet, universal und damit auch christlich, aber eben nicht spezifisch christlich sind, kurz die wir das Christentum eben tolerieren <...> es unter Ausschluss von Anderem zu bekennen, ob wir das Recht haben, das Christentum zu verteidigen, bzw. ob wir das mit Aussicht auf Wirkung überhaupt können. Unsere Stellung zum Christentum ist ja doch etwa die, dass wir das Christentum nicht mehr bekämpfen wie die Aufklärer (und nicht blos sie), weil wir über seine Mythologie hinausgewachsen sind. Wir haben von ihm noch den Duft, den tragen wir mit uns, denn er ist edel und zart, den Geist überkommt es dabei wie Erinnerung und das Gewissen wie Rührung. Aber könnten wir die Pflanze wachsen machen, aus der schliesslich dieser Duft stieg? Und ist dieser Duft überhaupt - Christentum? Und macht er die Massen satt, ja verstehen sie überhaupt etwas von ihm? Die Massen, die ihrer geistigen Stellung nach noch nicht einmal an die Aufklärung richtig herangekommen sind, geschweige dass sie sie überwunden hätten! Ich glaube, besser wie mancher zu verstehen, was die europäische Kultur (nämlöich was sich davon bisher abgespielt hat) dem Christentum verdankt. Aber auch dies meine ich zu wissen: dass das Verhältnis der jeweils aktiven Teile Europas zum Christentum immer das eines Ringens gewesen ist: etwa das Jakobs mit dem Engel - nämlich um ihm seine Stärke abzunehmen! Statisch wird das Verhältnis nur in denjenigen Teilen, die aus der Reihe der Kämpfer austreten und sich dem offnen. Die anderen ringen mit dem Christentum, so lange sie darin auf etwas stossen, das ihnen neu, amregend, verlockend, herausfordernd ist. Wenn sie nichts mehr darin finden, dann - erübrigt sich der Kampf, aber auch das Christentum. Ich schreibe solche Sätze wahrlich nicht mit Vergnügen nieder. Wenn ich recht habe damit, dass auch die asiatischen Religionen in eine (wenn auch wohl geringere) Krise eingetreten sind und dass sich über alle religiösen Continente Ausgleichsfäden schwingen, so bedeutet das, dass die spezifischen Landschaften der Religion sich verwischen, dürr werden, dass ein spiritualisierter Synkretismus sich über die grossen aktiven Teile der Welt zu verbreiten beginnt, während die Massen allenthalben entfesselt sind, den "Dom" verlassen haben und für den "Duft" kein Verständnis besitzen. Wenn die Lage der Welt wirklich so ähnlich ist - ist das nicht die reinste Einladung für hypertrophe Regierungsgewalten? Ich darf nicht versuchen, auf bestimmte Thesen Ihrer Schrift einzugehen, denn dann käme ein Buch heraus. Nicht etwa bestreite ich irgend etwas Wesentliches von dem was Sie ausführen, ich sehe es nur in anderen Zusammenhängen, unterirdischer, gefährlicher, spüre Naturgewalten, die den Geist, der sich in der "Beherrschung" der äusseren Natur verausgabt hat, umwerfen möchten, weil sie den Respekt vor seinen Waffen verloren haben. Und sind sie scharf genug? Und ich spüre auch etwas Neues, in Generationen, vielleicht Jahrhunderten; aber seine Konturen kann ich auch nicht sehen. Verzeihen Sie diese ganze Sprache. Eine andere würde Bogen füllen. - Ich hatte das Vergnügen, bei Gelegenheit eines Vortrags, den ich, in Meissen glaube ich, zu halten hatte, Ihren Sohn kennen zu lernen. Leider nur ganz kurz. Mit den besten Empfehlungen bleibe ich Ihr Ihnen erehrbietig ergebener Johannes Kühn.; von: Kühn, Johannes an: Litt; Ort: Dresden