Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Als gegenwärtigem Vorsitzenden unserer Sektion liegt es mir ob, Ihnen das der Sektion zur Verfügung gestellte Ministerialschreiben vom 1.Okt. Ihrem Wunsche gemäß wieder zuzustellen und gleichzeitig unsern verbindlichsten Dank hinzuzufügen.
Ich ergreife gern die Gelegenheit, über die auf dieser Basis sich bietende Grundlage einer Ueberwindung der schwebenden Differenzen mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, nachdem der Herr Dekan es bereits übernommen hat, auch seinerseits eine Verständigung in die Wege zu leiten. Eine solche scheint uns sehr wohl möglich, ohne daß dabei den unaufgebbaren Interessen einer der beiden Parteien zu nahe getreten wird.
Zur Freigabe der eigentlich philosophischen Vorlesungen würden wir uns freilich keinesfalls entschließen können, vor allem nicht im Hinblick auf unsere Privatdozenten, deren ohnehin recht schwierige Lage, in die sie durch den Krieg geraten sind, durch das Dazwischentreten einer neuen Kraft, mit der sie bei ihrer Habilitation schlechterdings nicht hatten rechnen können, noch ungemein erschwert würde. Das würde ohne Frage eine Verletzung ihrer berechtigten Interessen bedeuten, fü die wir die Verantwortung nicht übernehmen könnten. -
Andererseits war es unsere Absicht nicht eigentlich gewesen, Ihre Vorlesungstätigkeit in dem Sinne auf "ausgesprochen pädagogische Themata" zu beschränken, daß Ihnen dadurch die philosophische Begründung und Vertiefung Ihrer Pädagogik abgeschnitten würde, die auch wir vielmehr für durchaus unentbehrlich halten. Nur auf die Ankündigung rein philosophischer Vorlesungen bezog sich unsere Stellungnahme, bei der wir auch heute unverändert beharren müssen. -
Nach Ihren eigenen wiederholten Erklärungen, auch gegenüber dem Herrn Dekan, liegt es nun aber offenbar auch garnicht in Ihrer Absicht, in weiterem Maßstabe in das Gebiet der Philosophie hinüberzugreifen, als es Ihnen "zur Vorbereitung und zum Aufbau Ihrer rein pädagogischen Vorlesungen erforderlich erscheint". Den beiderseitigen Wünschen scheint demnach am einfachsten in der Weise Rechnung getragen zu werden, - und in diesem Sinne hatten wir auch dem Herrn Dekan unsern Vorschlag unterbreitet, - daß Sie in der Ankündigung Ihrer Vorlesungen die rein pädagogische Abzweckung mit hinreichender Deutlichkeit und Bestimmtheit hervortreten lassen, so daß der von Ihnen ja nicht beabsichtigte Wettbewerb mit den eigentlich philosophischen Vorlesungen der anderen Herrn Dozenten bestimmt genug ausgeschlossen ist. Darauf freilich würden wir aus den angefügten Gründen entscheidenden Wert legen und bestehen müssen. - Wenn nun , um Ihnen auf's Aeußerste entgegenzukommen, die Sektion sich dazu verstehen könnte (was ich nicht einmal für sehr wahrscheinlich halte), Ihrem ausgesprochenen Wunsche, gelegentlich auch Vorlesungen über Kulturphilosophie anzukündigen, nicht entgegenzutreten, so wäre sie doch keinesfalls in der Lage, eine Ausdeutung dieses Gebietes oder dessen der "Pädagogik" im weiteren Sinne anzuerkennen, welche die Anzeige von Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" oder "Einleitung (bezw. Einführung) in die Philosophie" in sich schlösse. Vielmehr würden solche Themata, selbst mit Zusätzen pädagogischer oder kulturphilosophischer Art, nach meiner Überzeugung ausgesprochener Maßen dem Gebiete angehören, das bereits jenseits der in Ihrem eigenen Erklärungen, wie auch in dem Ministerialschreiben bezeichneten Grenzen liegt, und auf dem wir einen Wettbewerb mit den anderen Herrn Dozenten der Philosophie unter allen Umständen vermieden zu sehen wünschen müßten, wenn wir nicht beständige und berechtigte Verstimmungen schwerwiegender Art heraufbeschwören wollen. -
Da wir auf Wunsch der Herrn Privatdozenten ohnehin beschlossen haben, die gemeinschaftlichen Sitzungen zur Vereinbarung der zu haltenden Vorlesungen wieder einzuführen, so wird sich dort ja leicht Gelegenheit bieten, für alle Ankündigungen eine Formulierung zu finden, bei der Niemand zu kurz kommt. Ich schließe mich daher der auch in dem Ministerialschreiben ausgesprochenen Hoffnung vollinhaltlich an, daß sich auf dieser Unterlage jederzeit eine Verständigung mit den anderen Herrn wird erzielen lassen, und gebe mich der Ueberzeugung hin, daß sich nach Ueberwindung der gegenwärtigen Mißhelligkeiten in fortschreitendem Maße ein ersprießliches und erfreuliches kollegiales Zusammenwirken entwickeln wird.
In vorzüglicher Hochschätzung
Ihr ergebener
M. Wentscher.; von: Wentscher, M. an: Litt; Ort: Bonn |