Bemerkungen | Dokumentenabschrift: gehört zu Zuschriften veranlaßt durch den Angriff von L. Würtenberg gegen Litt im Philologenblatt.
Sehr geehrter Herr Professor!
Sie haben im deutschen Philologenblatt vom 16.1.1929 Seite 37/38 zwei Sätze von mir aus einem Aufsatz, den "Die Schule" von Dr. A. Messer im Novemberheft 1928 Seite ,161/62 brachte, herausgehoben und sie als Beweis von "grosswortiger Phraseologie" bezeichnet. Wenn Sie auch anscheinend das Schullandheim als solches nicht angreifen wollen, wie die Worte "die Sache selbst in Ehren" andeuten, so muss ich doch im Namen der Schullandheimbewegung Ihren ausserordentlich scharfen Angriff mit allem Nachdruck zurückweisen.
In dem ersten der von Ihnen herausgezogenen Sätze liegt die Hauptaufgabe des Landheims. Der Lehrer will das Kind nicht nur nach der Seite der Erkenntnis hin fördern, sondern will es in seiner Totalität erfassen. Ob es das Landheim erreicht, habe ich nicht gesagt, es ist nur Ziel. Und dass es eine der wichtigsten Aufgaben des heutigen Schulwesens ist, bei Wahrung des geistigen Besitzstandes stärker gesundheitsfördernd und erziehend zu wirken, ist die Überzeugung eines sehr weiten Kreises von Lehrern und Eltern.
Wenn Sie den anderen Satz, dass vom Schullandheim ein gewaltiger Lebensstrom ausgehen kann, beanstanden, so ist zu sagen, dass diese Erwartung von der Zukunft natürlich erst bewiesen werden muss, und dass es demzufolge vielleicht richtiger gewesen wäre, wenn dieser Satz weggeblieben wäre. Es ist aber zu bedenken, dass mein Aufsatz nicht eine wissenschaftliche Abhandlung darstellen sollte, sondern dem Charakter der Zeitschrift entsprechend eine Aufforderung zur Mitarbeit an Lehrer und Eltern sein sollte. Ausserdem ist zu bemerken, dass die gesamte Landheimbewegung auf einer Opferwilligkeit und einer Gläubigkeit beruht, wie sie nach meiner Kenntnis im pädagogischen Leben selten hervorgetreten ist. Wie Ihnen wohl bekannt ist, ist die gesamte Bewegung freiwillig durch opferbereite Lehrer und Eltern entstanden. Der Fernerstehende macht sich wahrscheinlich keinen Begriff, welche Opfer gebracht werden müssen, um ein Landheim zu erwerben und zu unterhalten, zumal da eine Hilfe von Behörden in nennenswerter Weise bisher nicht vorhanden gewesen ist. Solche Opfer, dass z.B. eine Hamburger Volksschule 14000 freiwillige Arbeitsstunden von Lehrern und Eltern zum Bau eines Landheimes aufbringt, dass andere Lehrer seit Jahren jeden Sonntag und alle Ferien freiwillig preisgeben, um das Heim in Stand zu bringen, werden nicht in die Welt hinaus posaunt. Um so schmerzlicher ist es, wenn einem dann doch "Schwelgen in anspruchsvollen Redensarten" und "Mund aufreissen (hiatus)" vorgeworfen wird. Die ganze Landheimbewegung ist erst 1925 an die Öffentlichkeit gekommen, nachdem schon 120 Heime in aller Stille geschaffen waren.
Bedauerlich ist es, dass die Landheimbewegung von führenden Pädagogen wenig anerkannt wird. Bisher ist mir nur bekannt, dass die Herren Professoren Kerschensteiner - München und W. Stählin - Münster die Bedeutung des Schullandheims öffentlich anerkannt haben. Nach meiner Meinung ist es eine schöne Aufgabe der Männer, die in führenden Stellen der Pädagogik stehen, das Keimen und Wachsen von Reformbestrebungen zu schützen, statt mit harten Worten die Versuche der "beamteten Erzieherschaft" zu bekämpfen. Wir Landheimfreunde wissen ganz genau, dass der Bewegung viele Mängel anhaften und dass noch viele Fragen zu lösen sind; wir werden unsere Kräfte trotz der Angriffe weiter anspannen, um die Ziele, die wir uns gesteckt haben, zu erreichen.
In vorzüglicher Hochachtung bin ich
Ihr ergebenster
gez. Dr. Nicolai
NB. Der Leiter des praktisch-pädagogischen Seminars der Universität Leipzig, Herr Professor Dr. Boehm, hat sich kürzlich ebenfalls mit sehr großer Wärme für die Landheimbewegung eingesetzt.; von: Nicolai an: Litt; Ort: Buchholz |