Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0628
TitelBrief von: Kommerell oder Rommerell (Tübingen) an: Litt
Enthältms; Brief Doppelblatt 16,5 x 21,1 cm; Briefkopf: Rektorat der Oberrealschule Tübingen
Zeitvon1929
Zeitbis1929
BemerkungenDokumentenabschrift: gehört zu Zuschriften veranlaßt durch den Angriff von L. Würtenberg gegen Litt im Philologenblatt. Sehr verehrter Herr Professor, Mit aufrichtiger Freude und mit grosser innerer Befriedigung habe ich aus der Einsendung von Würtenberg in Nr. 1 des Dtsch. Phil. Bl. ersehen, dass Sie in Ihren Vorträgen in Düsseldorf offenbar mit einer erfrischenden Deutlichkeit sich über den heillosen Unfug geäussert haben, der von mancher Seite mit der "Erziehungsschule", "Arbeitsschule", "Erlebnisschule" getrieben wird, und ebenso über die masslose Ueberschätzung der geistigen Reife unserer Schüler. Sie haben damit gewiss vielen Lehrern aus der Seele gesprochen, und wir, die wir auf Ihrer Seite stehen, würden es sehr begrüssen, wenn Ihre Vorträge der Allgemeinheit zugänglich gemacht würden. Wir Aelteren, die wir aus eigener, langjähriger Erfahrung wissen, wie wenig wir an eigentlicher Erziehungsarbeit haben leisten können, und die wir froh sind, wenn wir wenigstens im Unterricht einige Erfolge sehen, würden in Ihnen einen wertvollen Bundegenossen begrüssen. Sie haben vollkommen recht: wenn man so liest, welch tiefgreifende erzieherische Einwirkungen andere von sich ausgehen lassen, welch glänzende Erfolge sie "erzielen", so hat man das drückende Gefühl, doch ein rechter Stümper zu sein, wobei uns nur der Trost bleibt, dass es vielleicht mit jenen Erfolgen doch nicht gar so weit her sein könnte. Es ist vielleicht ganz gut, dass Würtenberg seinem bedrängten Erzieherherz Luft gemacht hat; am Ende kommt dadurch die Frage in Fluss, ob wir nicht besser daran täten, uns dem Unterricht als unserer Hauptaufgabe zuzuwenden, und die Erziehung denen zu überlassen, denen sie zukommt, nämlich den Eltern. Ich habe kürzlich auch einige Ausführungen veröffentlicht, die sich in diesem Sinne bewegen, und aus denen Sie vielleicht gerne ersehen, dass Sie mit Ihren Anschauungen doch nicht so allein stehen, wie es nach W.s Artikel scheinen könnte. der kleine Aufsatz erhebt keinerlei Anspruch auf systematischen Aufbau, noch weniger natürlich auf erschöpfende Behandlung; es ist mehr eine lose Aneinanderreihung, entstanden aus einem Vortrag, den ich in einem Elternabend gehalten habe. Vielleicht freut es Sie, auch noch einen etwas derben Ausspruch eines lange verstorbenen schwäbischen Pädagogen zu hören, der viele Jahre eine Lehrerbildungsanstalt geleitet hat. Der sagte mir einmal, als wir uns (schon vor Jahrzehnten) über solche Fragen unterhielten: "Wisset Se, dia, wo so viel vom Erziehe schwäzet, dees send dia, wo nix schaffe möget." Eine Uebertragung ins Hochdeutsche wird wohl nicht nötig sein; der Ausspruch ist zwar etwas drastisch, dürfte aber doch auf eine gewisse Sorte von "Erziehern" zutreffen. Mit vorzüglicher Hochachtung grüsst Sie ganz ergebenst Ihr Oberstudiendirektor Dr. gez. <.ommerell>; von: Kommerell oder Rommerell an: Litt; Ort: Tübingen