Bemerkungen | Dokumentenabschrift: gehört zu Zuschriften veranlaßt durch den Angriff von L. Würtenberg gegen Litt im Philologenblatt.
Sehr geehrter Herr Professor.
Als nach dem Kriegsende die Schul"reform" und damit eine geistige Niedelage begann, habe ich in Aufsätzen auf die Gefahren hingewiesen. Da man jung war, mußte man von Zeit zu Zeit zur Feder greifen, aus Idealismus polemisch werden, um das empörte Blut und den beleidigten Intellekt zu beruhigen. Leider wird man bei 24/26 Wochenstunden, bei mehr als doppelt überfüllten Klassen und tägkicher durch eine Pädagogik, deren Chaotik auszukosten unsereiner wahrscheinlich in stärkerem Maße das Unglück hatte als Sie sehr geehrter Herr Professor, der Sie das Glück besitzen in höherer Region atmen, arbeiten und schaffen zu können, - vorzeitig müde. Man durchschaute Ahnungslosigkeit und politische Gebundenheit der Behöreden, sah Vorleger destructiven Dilettantismus unter dem Namen Kulturkunde lancieren, Sprachwissenschaft und Pädagogik zu Mägden Merkurs, Studienräte zu Knechten der Konjunktur werden und Altarsekundaner die heute den Faust "erlebten", morgen im Erholungsheim (unsere Schule rühmt sich, das größte und modernste Heim Deutschlands zu besitzen) die Umwelt "verarbeiten" und zwischendurch an der Hand "tiefschürfender" Lehrbücher die "Struktur" des französischen Geistes ergründen. Man erkannte bald: Seitdem die höhere Schule keinen anderen Ehrgeiz mehr besitzt als möglichst viele geistig Minderbemittelte auf die Universitäten und die VolksschullehrerAkademien zu schicken, hat sie ihre Tradition verloren, ihre Privilegien kampflos <..irellierenden> pädagogischen Jakobinertume ausgeliefert und damit aufgehört, reine Kulturwerte bewahrende und Kulturwerte in höchsten Sinne schaffende Institution zu sein. Man wundert sich nicht mehr, wenn das Abiturium bei einem Unterricht, dessen Maximen trotz allen <...> materialistischen Massenutilitarismus entstammen, für den das Leben zwischen business und Zirkusspiel zu pendalen scheint, allgemach zur aufgeschminkten Farce wurde hinter der die trostlose Realität verborgen bleibt. Mag die "Entwicklung" der höheren Schule in den letzten 10 Jahren vom Standpunkt eines Tertianers oder allenfalls eines Sportlehrers glorreich zu nennen sein, ein Historiker, der die Gradunterschiede des Geistes zu wahren, Talmi von Echtem zu unterscheiden weiß und nicht gewillt ist, jeden neuen Mißerfolg mit der Ausflucht "Das Experiment sei immerhin sehr interessant gewesen", zu vertuschen, sondern versuchen würde, die geschäftigen Pygmaen von heute mit den Maßen dessen zu werten, was seit Goethes und Humboldts Tagen bis zu Jakob Burckhardt Deutsche Bildung hieß, wird sicherlich zu einem anderen Ergebnis kommen.
Diese subjektiven Feststellungen, denen leider objektive Wahrheiten entsprechen, mußte ich, sehr geehrter Herr Proffessor, vorausschicken, um Sie über den Anlaß dieser Zeilen aufzuklären. Ichschreibe sie, nachdem ich heute morgen das Philologenblatt, das sonst nicht gerade meine Lektüre zu sein pflegt, gelesen habe. Nehmen Sie sie nicht entgegen, als Zeichen meines Unmuts, daß irgend Jemand sich darin gefiel, blechernes Kampfgeräusch zu machen und ein zerbrechliches Pfeilchen gegen Sie zu senden, sonder als Zeichen aufrichtiger Freude über die Erkenntnis, daß die apathische Hoffnungslosigkeit im Elfenbaumturm vielleicht nicht ewig währen wird und vor allem als spontanen Ausdruck der Verwunderung unverhofft einen Gelehrten, der an prominenter Stelle steht, als Bekenner gegen diese, unsere Zeit zu haben. Ich möchte wünschen, daß recht viele Jahre, geehrter Herr Professor, sagen werden, wie sehr sie sich gefreut haben, als sie Ihre wärmenden und weisenden Worte hörten und Ihnen ihre Genugtuung bezeugen, die sie empfunden haben als sie an einem Orte, an dem allzu häufig kleine Eitelkeiten irrlichterieren und auf Abwege locken, endlich wieder einmal ein Fanal des Geistes leuchten sehen. Ich werde mich bemühen, mir umgehend Ihren Düsseldorfer Vortrag zu verschaffen.
In größter Wertschätzung
mit Ergebenheit
Hermann Lüders.
P.S. Ich erlaube mir, zwei Aufsätze, die ich noch zur Hand habe, beizufügen. Ich würde mich freuen, wenn die Grundauffassung Ihren Beifall finden würde.; von: Lüders, Hermann an: Litt; Ort: Hamburg |