Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0622
TitelBrief von: Magier ?, Ernst (Hamburg) an: Litt
Enthälths; Brief Doppelblatt 22 x 28,3 cm
Zeitvon1929
Zeitbis1929
BemerkungenDokumentenabschrift: gehört zu Zuschriften veranlaßt durch den Angriff von L. Würtenberg gegen Litt im Philologenblatt. Hochverehrter Herr Professor. Ich bitte Sie, diesen ungerufenen Brief nicht als Aufdringlichkeit zu empfinden. Er entsteht ein wenig impulsiv, ich gebe das zu, nachdem ich Ihre "Entgegenung" gelesen habe. (D. Phil. Bl. 3). Die Beschäftigung mit der gedruckten Pädagogik lag mir (wie vielen anderen Lehrern) ganz und gar fern, während der letzten Jahre aber kam die steigende Flut hier und da auch zu den Unbeteiligten. Ich darf nicht sagen, daß ich in dieser Flut schwimmen könnte, nicht mehr, als daß ich eben von ihr benetzt bin. Was ich las, vom Zufall mir in die Hand gegeben, erfüllte mich mit Befremden und <...>, nach der Laune der Stunde mit Erleichterung u. Heiterkeit. Am Ende aber kommt es zu dem unerfreulichen Zustand, der alle theoretisierende Pädagogik als ein einziges Ärgernis betrachtet. Sie werden mit Recht sagen, daß diese Auffassung unsinnig, einseitig, verdorben sei. Habe ich das Unglück gehabt, immer an die falschen Leute gekommen zu sein, oder ist die Masse der Schlechten so groß, daß man ohne Mühe nicht an das Wertvolle gelangen kann? So war Ihr Aufsatz für mich die erste Stimme, aus welcher Klarheit und entschiedene Vernunft spricht, der erste Blick, der die Wirklichkeit unverfälsht sieht. Sie werden verstehen, wie sehr ich aufhorchte bei einem so ungewöhnlichen Klang und <...> es vielleicht begreiflich finden, daß ein befreites Gemüt den Wunsch der Mitteilung nicht unterdrücken mag. Ihre Sätze sind die Wahrheit und das redliche Wort oft eine Wohltat. Sie sprechen vom Qualm der Phrasen; oft <...> nicht manchmal der Faulheitsgeruch von etwas Schlimmeren? Warum <... ... ...> nach der Lektüre pädagogischer Tagesschriften oft der Ekel bis zur Kehle? Ist es allein das erbärmliche zum pädagogischen Rotwelch entartete Deutsch, der kindische Aberglaube an ihre Methoden, die gespreizte Wichtigtuerei, die Kritiklosigkeit gegen die Wirklichkeit? Ist nicht, was uns mit Widerwillen erfüllt, der peinliche Eindruck der Unredlichkeit? Die Absicht, sich um jeden Preis hervorzutuen, aufzufallen, und sei es durch Narrheit? Wenn ein Praktiker Kenntniß nimmt von den Forderungen und angeblichen Erfolgen der gedruckten Pädagogik. so wird er bei eingem Selbstbewußtsein und einiger Urteilskraft den Fehler nicht in sich selbst finden können. Ist er einsichtig, so wird er sich längst an die schmerzliche Pflicht täglicher Rechenschaft gewöhnt haben und wissen, daß der Wirkungsgrad der Pädagogik wirklich niederschmetternd ist. Sehen denn nicht alle Vernünftigen, daß die Hälfte aller Abiturienten - eigentlich - nicht reif ist und niemals reif werden wird. Und er oft eine fast verzweifelte Frage: warum ändern wir das nicht? Geben wir uns nicht eine verbissene Mühe, den Schüler der Oberklasse dahin zu bringen, daß er seine Kräfte fühlen soll, indem er sie gebraucht. Sind wir nicht weit entfernt von aller <...> Pädagogik, versuchen wir nicht, durch menschliches Beispiel zu wirken, Straffheit mit Heiterkeit, Genauigkeit mit Gefälligkeit zu verbinden. Und können wir , wenn wir nicht borniert sind oder nicht lügen, anders urteilen als Sie: - Niederschmetterndes Ergebnis - Der theoretisierende Pädagoge wird aus Liebe zur Herrlichkeit des Begriffs zum Optimisten, aber der Skeptiker bringt sich durch seine ablehnende Kritik in die Verlegenheit des Unglücklicheren, der die neuen Kleider des Kaisers nicht sehen kann. Mit dem Ausdruck meiner ehrerbietigsten Hochachtung bin ich Ihr ergebener Ernst Magier; von: Magier ?, Ernst an: Litt; Ort: Hamburg