Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Zuschrift veranlaßt durch einen Leserbrief Litt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23.04.1958: Politisierung der Hochschulen.
Sehr geehrter Herr Professor!
Ihr Artikel "Politisierung der Hochschule" in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 94 vom 23.4.58 hat es mir angetan. Ich sehe durchaus diese Gefahr auch, von der Sie reden. Vielleicht mag sich die Prophezeiung, die Sie in Ihrem letzten Abschnitt ausprachen, auch schon erfüllt haben, daß Sie nämlich sehr "unwissenschaftliche" Antworten auf Ihren Artikel erhalten haben. Aber nun erlauben Sie mir doch noch folgende Fragen, deren Beantwortung trotz Ihres Artikels aussteht:
1.) Warum lassen sich Hunderte von Wissenschaftlern in die "Luft aufgewühlter Massenversammlungen" hinein? Woher kommt es, daß sich die für Sachlichkeit auszeichnenden Wissenschaftler nicht mehr zurückhalten lassen und solche von Ihnen gerügten "Grenzüberschreitungen" en masse durchführen? M.a.W.: Wenn schon die sog. sachlichen Leute durch Grenzüberschreitung "unsachlich" werden, muß das nicht unbedingt an den Leuten liegen, dann kann dies jedenfalls genau so an der Ungeheuerlichkeit des Problems liegen, daß sogar selbst die Sachlichsten nicht mehr an sich halten können. Mir scheint, da´diese Grenzüberschreitung der Wissenschaftler eine Art Verzweifelungsakt ist, der damit nicht erledigt werden kann, daß man sie in ihre Domäne zurückverweist, sonder der einfach als ein letzter Aufschrei gehört werden will. Wer dies nicht tut, vergeht sich gegen Grundregeln der Tiefen- und Massenpsychologie und wird die Konsequenzen einmal tragen müssen.
2.) Letzte Woche las ich das Buch Robert Juncks: Heller als tausend Sonnen. Das Problem Ihres Artikels ist dort durch die geschichtlichen Tatsachen unüberhörbar gestellt: Auch dort wird beides gesehen, die Politisierung der Hochschule und der schwache Versuch der Wissenschaft, in die Sphäre der Politik hinüber zu gleiten. Aber gerade durch die Geschichte der Atomwissenschaftler wird sehr deutlich, daß die beiden Gebiete "Wissenschaft" und "Politik" nicht mehr so deutlich zu trennen sind, wie das früher vielleicht einmal - wenigstens praktisch - möglich gewesen sein mag. Wir Pfarrer stehen ja auch in dem verdacht, daß wir in alle gebiete unsere Nase hineinhängen. Gewiß tun wir's leider oft unsachlich. Aber wir versuchen immerhin noch uns eine ganzheitliche Schau der Dinge zu erhalten im Zeitalter des Spezialistentums, weil auch unser Herr sich nicht auf die Domäne "Religion" beschränken läßt. - Wenn sich nun das Gewissen der Wissenschaftler einfach nicht mehr auf deren ureigensten Bereich einschränken läßt, sollten wir darin einen Aufstand des Guten im Menschen erblicken, der noch "über den Zaun hinüber" nach seinem Bruder Abel fragt, der nicht nur nach der causa seines Forschungsgegenstandes fragt, sondern auch nach der "Verwendbarkeit", dem "telos" seiner Arbeit. Wir sollten und müßten uns über solche Grenzüberschreitungen freuen, auch wenn die Folgen nicht leicht anzusehen sind. Das Thema "thron und Altar" des Mittelalters scheint sich mit der Abwandlung "Thron und Wissenschaft" oder "thron und Universität jetzt wiederholen. So wenig sich der Streit damals durch eine klare Grenzziehung beenden ließ, sondern nur durch die - vorübergehende - Dominierung des Throns, so wenig läßt sich eine Lösung durch klare Grenzziehungen heutzutage erreichen.
Ich danke Ihnen für Ihre zeit, die Sie zum Lesen aufgewandt haben. Ich will Sie gewiß nicht zu einer persönlichen Antwort oder Stellungnahme verleiten, - ich weiß wie wenig Zeit wir alle haben; ich wollte Sie nur bitten, nach anderen Lösungsmöglichkeiten ausschau zu halten, denn Ihre empfohlene "Zurückhaltung" ist keine Lösung.
Mit sehr freundlichen Grüßen
Ihr ergebener
gez. Pf. J. Klöß; von: Klöß, Joachim an: Litt; Ort: Göppingen ? |