Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Kollege!
Durch die Übersendung Ihres neuen Werks haben Sie mir eine große Freude bereitet. Gilt doch auch nicht der geringere Teil meiner Lebensarbeit dem gleichen Werk, dem Sie so ausführliche, gediegene und immer - auch für den Kenner - lehrreiche Betrachtungen widmen. Die Lektüre Ihres Werks war für mich um so mehr ein Genuß, als auch ich, wenn auch in anderer methodischer Weise, bemüht bin, das "Fertige", das "Begriffspalast"artige der Hegel'schen Philosophie zu überwinden. Freilich konnte mir bei meiner Sicht auf das Werden und Sichverwandeln des Hegel'schen Denkens jenes Fertige nie so sicher, konsequent und philosophisch ertragreich Gegenstand werden, wie es bei Ihnen geschieht. Aber auch bei Ihrer Darstellung und Deutung habe ich oft bemerken zu können geglaubt, wie Sie gerade durch die mit scharfen Alternativen operierende Hegelkritik Positionen <...ließen> und gegen Hegel behaupten, die meines Erachtens echt oder wohlverstanden Hegelisch sind. Dies gilt insbesondere auch für die Alternative Weltgeist - Moralität. Ich glaube, Belegstellen genug dafür beibringen zu können, daß es bei Hegel unumgänglich notwendig ist, daß das im Staat lebende, wissend, wollend und handelnde Individuum "auch etwas von den Erleuchtungen in sich aufzunehmen und für das Handeln fruchtbar zu machen ist, durch die der absolute Geist die Späre des objektiven Geistes erhellt" (S.157). Vgl. . Ohne diese Voraussetzung würde auch mir in der Tat das "Weltgeistdenken" Hegel nachzuvollziehen unmöglich sein. Hinsichtlich der Rechtsphilosophie, dem anderen Bereich des objektiven Geistes, meine ich, müßte man Hegel immer zu gute halten, daß sie auch eine aktuell-politische Schrift ist.
Dem Hegelphilologen werden Sie es sicher zu gute halten, wenn er Bedenken hat, daß hie und da ungesicherte, unverbürgte Sätze verwendet werden, wie diejenigen S.131 obe es sind. Sie stammen ja aus den nach vielfach korrupten zusätzen von Gaus. und dem philologisch vorgebenden Hegelinterpreten werden Sie nicht <....gen>, wenn er bemängelt, daß manchmal Ausdrücke und Wendungen als Beleg und Beweis fungieren, die aus den Zusammenhängen herausgenommen sind, in denen sie anders als von Ihnen akzentuiert erscheinen, z.B. im Kapitel über die Göttlichkeit des Staats. Doch dies sind nebensächliche Einwände, angesichts der Sie Hegel selber auf Ihrer Seite haben, indem er mit Luther sagt, daß es gegenüber dem Buchstaben auf einen halben Bauernschuh nicht ankäme. Was aber den Geist betrifft, mit dem Sie das Unvergeßliche und Denkwürdige Hegels herausgestellt haben, so stimme ich mit Ihnen in herzlicher Freude überein.
Mit nochmaligem Dank und besten Grüßen
Ihr sehr ergebener
Johannes Hoffmeister; von: Hoffmeister, Johannes an: Litt; Ort: Bonn |