Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor:
Zunächst habe ich mich eines Auftrags zu entledigen. sie werden kürzlich eine Einladung unseres Oberbürgermeisters zum Beitritt zu einem in Gründung befindlichen Wissenschaftlichen Beirat für die neu zu errichtende Universität regensburg erhalten haben. Der Universitätsbeauftragte Dr. Schmiedel hat mich im Auftrag des z.Zt. im Krankenhaus liegenden OB gebeten, diese Einladung nach Kräften bei Ihnen zu unterstützen. Ich habe dies gern zugesagt, zugleich aber darauf hingewiesen, daß eine entsprechende Zusage von Ihnen bei Ihrem hohen Alter und Ihren vielseitigen Verpflichtungen wahrscheinlich nur schwer zu erhalten wäre. Mir wurde daraufhin zugesichert, daß man Ihre Zeit und Arbeitskraft nicht übermäßig zu strapazieren beabsichtige, sondern sich in etwa mit vierteljährigen Zusammenkünften begnügen würde. Wenn Sie also inzwischen nicht bereits eine Absage erteilt haben sollten, so möchte auch ich mir die Bitte des OB an Sie zueigen machen. Die Aufgabe des Wissenschaftlichen Beirats soll vor allem darin bestehen, eine geistige Konzeption für die neue Universität Regensburg, an deren tatsächlicher Errichtung nach der gegenwärtigen Konstellation im Bayr. Landtag kaum mehr zu zweifeln ist, auszuarbeiten. Wie wichtig es aber ist, daß an dieser Aufgabe die richtigen Männer - d.h. diejenigen, die eine genaue Vorstellung von der Zielsetzung einer Universität in unserer veränderten Zeitlage besitzen - mitwirken, brauch ich Ihnen nach Ihrem diesbezüglichen Regensburger Vortrag nicht besonders zu betonen. Auch hier spukt ja noch immer trotz ihrer warnenden Analyse die zwar wohlgemeinte, aber überholte Idee einer Universität "im Sinne Humboldts". Wer wäre, um solche schon im Ansatz verfehlte Konzeption zu verhüten und demgegenüber für einen nach Situationsgerechten und sachlichen Maßstäben erfolgenden Aufbau der Universität Sorge zu tragen, mehr am Platze als Sie! Wenn Sie also diesen Auftrag auch nur einigermaßen mit Ihren sonstigen Verplichtungen vereinbaren können, dann lassen Sie, bitt, auch mich an die Seite der Bittsteller treten! Der OB wußte bei seiner Wahl sehr wohl, wie wertvoll, ja unersetzlich für diese Aufgabe gerade ein Mann von Ihrer wissenschaftlichen Klarsicht und Ihrem Ansehen ihm sein mußte. Tatsächlich wüßte ich auch schwerlich irgendeinen anderen zu benennen, der im Falle Ihrer Ablehnung an Ihre Stelle treten sollte, denn von den aktiven Professoren der anderen Universitäten - Prof. Clemen z.B. - würde sich wohl kaum einer dafür zur Verfügung stellen, weil die ablehnende Haltung gegen eine Universitätsneugründung in Regensburg, z.T. aus unsachlichen und animosen Gründen, noch zu stark verbreitet ist.
Dann habe ich Ihnen noch sehr herzlich für die Übersendung Ihrer erweiterten Broschüre über die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes zu danken. Ich habe die von Ihnen bezeichneten Partien der Schrift mit größtem Interesse nachgelesen und daraus zu meiner Genugtuung ersehen, daß auch Sie "die Rettung vor dem drohenden Untergang" nur in der Eliminierung der Waffen aus dem politischen Kampfe verbürgt sehen. Umso unverständlicher ist mir nun freilich, wie auch Sie trotzdem zu den Befürwortern einer weiteren Ausdehnung der Atomrüstung gehören können! So unverbrüchlich ich mich nach wie vor zu Ihren wissenschaftlichen Grundüberzeugungen bekenne, so wenig vermag ich Ihnen zu meinem Schmerze in dieser politischen Entscheidung zu folgen. Mir ist das Gespräch, das wir darüber bei unserer letzten Zusammenkunft und in früheren Begegnungen schon wiederholt führten, noch lange nachgegangen, und ich darf sagen, daß kein Problem so wie dieses mich immer von neuem in Atem hält. Aber je länger und intensiver ich darüber nachdenke, umso weniger kann ich in meiner entschiedenen Gegnerschaft gegen eine solche Lösung unserer politischen Schwierigkeiten irre werden. Es sind ja keineswegs nur gutgläubige und weltfremde Pazifisten oder heimatlose Linke, die sich gegen eine solche trügerische Politik militärischer Stärke, die auf eine nachträgliche Rechtfertigung von Hitlers Gewaltpolitik gegen den Bolschewismus hinausläuft, wehren, sondern - wie auch das kürzlich veröffentlichte Memorandum von 8 führenden protestantischen Persönlichkeiten beweist - sehr ernst zu nehmende und geistig hochstehende Leute aus allen Lagern. In der Tat: zu glauben, daß nur von der Gewalt noch etwas gegen den Kommunismus zu hoffen ist, kommt nicht nur einer Bankrotterklärung der menschlichen Vernunft gleich, sondern heißt die einzig wahre Hoffnung aufgeben, auf die unsere Kultur noch bauen kann - die Überzeugung, daß die Geschichte nicht vom Potentiel dr Waffen, sondern letztlich von der Kraft des Geistes bestimmt wird. Ein Krieg mit Atomwaffen würde keine geistige Entscheidung mehr herbeiführen, sondern, wie Sie auch selbst sagen nur in der Selbstvernichtung der Kulturmenschheit enden. Meine denkende Vernunft und mein sittliches Gefühl aber sträuben sich aufs leidenschaftlichste dagegen, zu einem selbst herbeigeführten Ende der Menschheitsgeschichte beizutragen. Kürzlich hielt hier der CDU Abgeordnete Frh. v. Guttenberg einen sehr bemerkenswerten Vortrag, der in der These gipfelte, daß es zwischen Osten und Westen schlechterdings keine Möglichkeiten der Koexistenz geben könne und folglich alles darauf ankomme, daß wir, "wenn Chrutschow bis einen Meter vor den Abgrund träte, nicht 5 Meter davor stehen blieben". Würden auch Sie einer solchen Politik des Alles -aufs-Spielsetzen zustimmen? Auch ich erkenne an, daß der Gegensatz zwischen Freiheit und Totalitärer Herrschaft unüberbrückbar ist, aber ich kann mich nicht dazu verstehen, daß er mit atomaren Waffen ausgefochten und entschieden werden muß. Das Rußland Chrutschows ist, wie alle Kenner der Verhältnisse es uns versichern, nicht mehr das Rußland Stalins, und so sehr dieses System nach wie vor auf die Diktatur eines Mannes und einer Partei gegründet ist, so wenig dürfen wir uns der Tatsache verschließen, daß es wie alles Geschichtliche Wandlungen unterliegt, von denen wir nicht wissen, wohin sie führen werden: zum Rückfall in einen verschärften Totalitarismus oder verbunden mit einer wirtschaftlichen Saturierung zu fortschreitenderer Liberalisierung. In der Geschichte sind alle Möglichkeiten offen - auch die beispielsweise, daß Chrutschow vor seinem übermächtigen Gegner im eigenen Lager - China - seine Zuflucht in einem starken Anschluß an Europa sucht. Hier kommt also alles darauf an, daß man in einem panischen Kurzschluß das Heil nicht in einem Fait accompli sucht, sondern sich elastisch auf die jeweilige Situation einstellt. Im Zeitalter des Atoms gibt es keine Gewaltlösungen mehr, und Bereitschaft zum Untergang ist keine akzeptable politische Alternative.
Ich mußte diesen Brief in aller Eile schreiben, weil wir in Kürze unsere aus dem Semester heimkehrende Tochter vom Bahnhof abholen müssen. Daher die vielen Tippfehler, die ich Sie zu entschuldigen bitte. Unsere Tochter fährt während der Semesterferien wieder zu einer Familie nach London und tritt im Herbst eine zehnmonatige Lehrpraktikantentätigkeit in Frankreich an. Ist es nicht großartig, wie unsere jungen Leute heute ihren Horizont im Ausland erweitern können?!
Übrigens schrieb mir Min.Dir. Dr. Sattler, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, aus eigener Initiative, daß er durchaus noch an meiner Verwendung in seinem Amtsbereich stark interessiert sei, leider nur gegenwärtig keine freie Stelle für mich habe. Ob ich freilich noch irgendwelche Hoffnungen auf solche unverbindlichen Erklärungen setzen soll, erscheint mir sehr fraglich.; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Regensburg |