Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0579
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Regensburg) an: Litt
Enthältms; Brief 2 Blatt A4 - Durchschlag
Zeitvon1957
Zeitbis1957
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Heute wurde ich am Radio Zeuge Ihres zündenden Festvortrags zum Tag der deutschen Einheit und dies veranlaßt mich, den - wie Sie mir glauben dürfen - nur aus Arbeitsbedrängnis so lange vernachlässigten brieflichen Kontakt mit Ihnen wiederaufzunehmen. Welcher Teil Ihrer Rede am stärksten meiner eigenen Überzeugung entsprach, werden Sie sich unschwer denken können: die heute so notwendige Widerlegung des historischen Fatalismus und der damit verbundene Aufruf zum Mut der persönlichen Entscheidung. Darüber hinaus ist mir Ihre Rede zum Anlaß geworden, noch einmal mein persönliches Verhältnis zum 17. Juni gründlich zu überprüfen. Bisher ist es mir nämlich, wie ich Ihnen offen gestehen muß, schwer gefallen, zu diesem Ereignis das gleiche uneingeschränkt positiver Verhältnis zu gewinnen wie zum 20. Juli. So sehr ich mich inzwischen auch nach glaubwürdigen Berichten davon überzeugen lassen mußte, daß es sich beim 17. Juni nicht um eine von westlichen Agenten angestachelte und gesteuerte Unternehmung, sondern tatsächlich um einen spontanen Akt der Erhebung gehandelt hat, so wird meine Bewunderung hierfür doch von der Unzulänglichkeit der Mittel und der von vornherein klar abzusehenden Erfolglosigkeit der Aktion beeinträchtigt. Gewiß kann ein Zustand eintreten, in dem der Grad der Unterdrückung für die davon Gequälten so unerträglich wird, daß sie sich, ohne nach dem Ausgang zu fragen, in einer offenen Erhebung Luft verschaffen müssen, wie das ganz eindeutig bei dem tragischen Aufstand der Ungarn der Fall war. Aber wenn ein solcher Akt nicht völlig wirkungslos verpuffen und zu nutzlosem Blutvergießen sowie zu einer nur noch vollständigeren Unterdrückung führen soll, so darf doch die Frage nach den möglichen Folgen - wie Sie selbst in Ihren Ausführungen über das Risiko der geschichtlichen Entscheidung dargelegt haben - nicht gänzlich außer Betracht bleiben. M.a.W. es hat der ganzen Aktion doch offensichtlich an einer verantwortlichen Führung und einem planemden Willen gefehlt, was sie in die Nähe einer blinden Verzweiflungstat rückt. Um dieses Eingeständnis kommt man wohl kaum herum, auch wenn man ebensoweit wie Sie davon entfernt ist, geschichtliches Handeln allein nach seinem Erfolg zu beurteilen. Selbstverständlich wird dadurch mein Solidaritätsempfinden für unsere unterdrückten Brüder in der Ostzone, die für uns die ganze Last des verlorenen Krieges tragen, nicht etwa geschmälert, sondern nur gesteigert. So las ich mit Erschrecken und Trauer von der Verhaftung und Einkerkerung unseres ehemaligen Kommilitonen Schmutzler, der mir als besonders sympathischer Studiengenosse noch in bester Erinnerung ist. Die Ohnmacht, irgendetwas für seine Befreiung tun zu können, ist schrecklich. Sollten Sie aber im Besitz der Anschrift seiner Familie sein, darf ich um deren Mitteilung bitten, um wenigstens durch Paketsendungen etwas zur Erleichterung ihrer materiellen Lage beitragen zu können. Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen auch für die Übersendung Ihrer Broschüre über "Das Selbstverständnis des gegenwärtigen Zeitalters" meinen aufrichtigsten Dank sagen. Sie hat mich durch ihre erleuchtende Gedankenführung sehr gefesselt und war mir als Vergleich zu einem Referat, das Prof. Weinstock über ein ähnliches Thema auf meine Einladung gerade bei uns gehalten hatte, besonders interessant. Prof. Weinstock steht Ihnen ja in seiner Sicht der gegenwärtigen Probleme sehr nahe, auch wenn er weniger systematischer Philosoph als deutender Phänomenologe ist. Auf jeden Fall istz er aber nicht nur ein scharfer Kopf, sondern auch eine originelle und bedeutende Persönlichkeit. Unsere Begegnung führte denn auch zu einem so fruchtbaren Dialog, daß dieser, wie ich hoffe, fortan nicht abreißen wird. Auch er zeigte sich von unserem persönlichen Austausch so beeindruckt, daß er völlig von sich aus einen mir dann im Durchschlag übermittelten Brief nach Mannheim richtete, in dem er mich in äußerst schmeichelhaften Äußerungen über meinen Charakter und meine Befähigung als Leiter für die dortige Volkshochschule empfahl. Auch diese spontane Empfehlung hat aber neben einer Reihe von anderen hervorragenden Referenzen kein positives Ergebnis für mich erbracht, weil man sich in Mannheim aus lokalen Rücksichten inzwischen zu einer provisorischen Behelfslösung entschlossen hat. Nach dem monatelangen Hinauszögern der Entscheidung und Berichten über die klimatischen Verhältnisse in Mannheim war mir aber inzwischen selbst die Lust an dieser Stelle vergangen, so daß ich der Sache nicht weiter nachtrauere. Dagegen wäre ich gern einem Angebot zur Übernahme der Leiterstelle der Hildesheimer Volkshochschule gefolgt, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen nicht eine entscheidende Verschlechterung meiner hiesigen Besoldung bedeutet hätten. Neuerdings hat nun der Bayer. Landtag oder genauer gesagt: der Haushaltsausschuß dieses Gremiums meine Verbeamtung, wie mir gesagt wurde, endgültig beschlossen, nachdem er sie der Staatsregierung bereits im Vorjahr leider erfolglos "empfohlen" hatte. Wenn ich auch auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen hinsichtlich der Durchführung noch skeptisch bin, so besteht doch diesmal begründetere Hoffnung darauf. Das aber würde mir für künftige Bewerbungen eine günstigere Ausgangsposition verschaffen, denn meine Bemühungen um eine regionale Veränderung und den Übertritt in die hauptamtliche Erwachsenenbildung werde ich natürlich trotzdem fortsetzen. Außerdem hat man mich für die Berufung ins Kuratorium der in Bayern unter heftigen Geburtswehen entstandenen Akademie für politische Bildung vorgeschlagen, wodurch ich mit der Zeit vielleicht in eine Dozentur für Sozialphilosophie überwechseln kann. So beginnt sich der Horizont für mich, wenn nicht alles täuscht, nach jahrelanger Enttäuschung entwas zu lichten. Die geschäftsführende Leitung der Regensburger Volkshochschule will ich übrigens mit Ablauf dieses Semesters nach zehneinhalbjähriger ehrenamtlicher Tätigkeit endgültig niederlegen, weil ich sie mit Rücksicht auf die steigende Arbeitslast in meinem Hauptamt und auf meine Gesundheit nicht länger ausüben kann. Auf die Dauer ist es für mich einfach untragbar, meine gesamte Kraft und Freizeit für ein Nebenamt zu opfern, das nach seinem Arbeitsumfang und seiner Verantwortung selbst eine hauptamtliche Kraft verlangt. Nach Entlastung von dieser Bürde werde ich dann hoffentlich auch selbst endlich einmal wieder zu eigenen Arbeiten kommen. Beate hat sich nach ihrem Übertritt in ein Jungengymnasium, wo sie wesentlich bessere und verständnisvollere Lehrer bekam, zu einer recht erfreulichen Schülerin entwickelt, die Freude am Lernen hat und namentlich im Deutschen, wo sie durchweg nur Einser oder Zweier schreibt, sowie in den Sprachen gute Leistungen erzielt. In den Ferien wird sie voraussichtlich auf dem Wege des Schüleraustausches bei einer Arztfamilie in Genf weilen, um dort ihre französischen Sprachkenntnisse zu erweitern. Meine Frau befindet sich gottlob im allgemeinen bei guter Gesundheit, wenn sie auch zuweilen sehr über die Last der eintönigen Hausarbeit klagt. Zu einem Mädchen aber reiht es leider nicht, wenn wir uns nicht allzu viele Verzichte auferlegen wollen. In Anbetracht der späten Stunde möchte ich damit für heute schließen, nicht aber, ohne Ihnen, Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin und Ihrem Sohn zuvor meine besten Wünsche für Ihr Wohlergehen und Ihre Gesundheit ausgesprochen zu haben.; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Regensburg