Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Bei der Beschreibung des Tabus, das Sie im Zustande des Briefschreibens für Ihre Familie darstellen, musste ich an meinen guten Vater denken, bei dem es sich genau so verhielt, nur dass das Tabu sich auch auf das korrigieren französischer Aufsätze (er war Neusprachler) ausdehnte. Meine Mutter und ich - wir schlichen auf den Zehen, wenn wir uns dem Allerheiligsten näherten. Glücklicher Weise bin ich robuster veranlagt. Neuerdings lässt mein Sohn mit Vorliebe Schallplatten ablaufen, wenn ich am Schreibtisch meditiere. Und es geht auch so!
Aber vor allem einmal herzlichen Dank für Ihre freundlichen Wünsche und den eingehenden Bericht. Es ist immer hübsch, wenn an meinem Geburtstag die Rapporte der mir am nächsten stehenden alten Schüler einlaufen. Von der Hetze, in der Ihr Dasein verläuft, höre ich mit Bedauern. Ich kann Ihr Unbehagen um so besser verstehen, als mein Leben auch noch immer sehr <...tig> ist. Offenbar ist das heute die normale Lebensverfassung. Und für diese tragen zuletzt nicht einzelne Menschen, sondern die Formen unseres mehr und mehr "verwalteten" Daseins die Verantwortung. Wenn Sie übrigens meinen, ich sei jetzt der Parteien Gunst und Hass entrückt, so irren Sie sich. Wer sich zu schwebenden Fragen noch so allgemeiner Art zu äussern wagt, darf sicher sein, dass er von irgend einer Seite angefallen wird. Gerade jetzt schwebt im Anschluss an eine Ungarnkundgebeung, bei der ich die Ansprache hielt, eine Auseinandersetzung mit dem Asta, deren Ausgang noch nicht vorauszusehen ist. Das Benehmen eines Teils dieser jungen Herren erinnert mich bedenklich an die Jahre 1932/33.
Dass es mit Ihren persönlichen Aussichten so trübe bestellt ist, tut mir sehr leid. Dieser Konfessionalismus ist eine wahre Pest des deutschen Lebens. Es ist bezeichnend, dass die Angelsachsen, die in dieser Hinsicht so viel unbefangener denken, ihn einfach nicht begreifen können. Alles, was die Nazi-Zeit an Annäherungen gebracht hatte, ist völlig vergessen. Ach ja, unsere lieben "Volksgenossen" machen es uns nicht leicht, mit ihnen zusammenzuleben. Steger berichtet Erschütterndes über nazistische Überbleibsel, denen er in der Schule begegnet.
Um so mehr wünsche ich Ihnen, dass die Sache mit Mannheim klappt. Ende Januar bin ich in Bremen. Vielleicht höre ich dann von Dr. Schulz Näheres. Mich gutachterlich über Sie zu äussern wird mir natürlich ein Vergnügen sein.
Beate wünsche ich viel Glück für das Sichtummeln in der neuen Schularena. Dass Ihre arme Frau so überspannt ist, ist schlimm. Auch das ist heute das Los vieler Hausfrauen! Meine arme Frau würde der Führung eines Haushalts längst nicht mehr gewachsen sein. Glücklicher Weise haben wir eine gute Haushälterin, die uns der Himmel erhalten möge.
Und nun wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben ein Jahr des guten Vorankommens. Hoffentlich beschert es uns eine abermalige Begegnung!
Ihr Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn |