Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0563
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Regensburg) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4 - Durchschlag
Zeitvon1951
Zeitbis1951
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter, lieber Herr Professor! Nun wird Sie wohl leider mein Geburtstagsgruß doch nicht mehr rechtzeitig erreichen, aber Sie werden gewiß verstehen, daß ich mich gestern, am ersten Weihnachtstag, nicht gut meiner Familie entziehen konnte, nachdem meine beiden "Frauen" sich ohnehin schon nicht ganz zu Unrecht über stiefväterliche Behandlung durch mich beklagen. So lassen Sie mich Ihnen also heute meine ehrerbietigsten und wärmsten Glückwünsche zu Ihrem Ehrentag darbringen! Über die Gefühle der Dankbarkeit und verehrung, die mich dabei bewegen, brauche ich mich zu Ihnen nicht näher aussprechen, da Sie dieser, wie ich hoffen darf, auch ohne ausdrückliches Benennen gewiß sind. In einer Zeit, die an echten und gehaltvollen menschlichen Begegnungen sehr arm geworden ist, empfinde ich doppelt dankbar und beglückt den unverlierbaren Gewinn, den ich aus dem Umgang mit Ihnen gezogen habe. Sie haben bewußt darauf verzichtet, eine "Schule" im Sinne persönlicher Gefolgschaft und der Verpflichtung auf ein bestimmtes weltanschauliches System zu bilden, sondern Sie haben immer nur durch die Kraft der Sache auf uns gewirkt und uns allein zum Dienst an der Wahrheit erzogen. Aber gerade dieser Verzicht auf persönliche Wirkung und dogmatische Bindung hat uns stärker als alles andere an Sie gebunden. Denn die Sauberkeit und Unbestechlichkeit des Denkens, zu der Sie uns erzogen und die Sie uns vorgelebt haben, hat sich als charakterprägende Macht ersten Ranges erwiesen. Durch sie wird das Leben zwar keineswegs leichter und bequemer, sondern im Gegenteil ernster und härter, dafür aber auch frei von trügerischen Illusionen, mit denen man ihm für gewöhlich auszuweichen versucht. So fühlt sich jeder, der einmal durch Ihre Schule gegangen ist, bei aller hohen Verehrung für Ihre Person mit Ihnen in erster Linie durch die Kraft einer Idee verbunden und brauchte damit in der Beziehung zu Ihnen niemals seine Freiheit aufzugeben, sondern gewann sie erst wahrhaft durch Sie. Bindung in voller Freiheit-, und Freiheit durch Bindung: war nicht dies von jeher das letzte Ethos jeder "idealistischen" Philosophie und ihrer heute so oft verkannten Autonomie! Ich jedenfalls habe dies immer als den tiefsten - ausgesprochenen oder unausgesprochenen - Gehalt unserer Gemeinschaft verspürt und daraus meine besten Impulse geschöpft. Wie dankbar war ich, daß wir uns in diesem Jahr wenigstens an einem Tage sehen und sprechen konnten! Von dem Tag in München haben meine Frau und ich noch lange nachher gezehrt, und wir bedauerten nur sehr, daß wir keinen Apparat mit uns hatten, um das von einem eigentümlichen Zufall regierte historische Zusammentreffen von Ihnen und Prof. Kroner am Holzkirchner Bahnhof auf die Platte zu bannen. Hoffentlich hat nun auch der anschließende Erholungsaufenthalt in Bad Gastein die gewünschten Wirkungen für Sie gehabt? Wir haben uns in Kreuth sehr gut erholt und kehrten sehr befriedigt von unserem Sommerurlaub zurück. Leider verflüchtigten sich nur die erfrischenden Wirkungen unter dem Einfluß der dann folgenden vehementen Arbeitsbeanspruchung ziemlich rasch. Der jetzt abgelaufene Lehrabschnitt war besonders anstrengend für mich, da ich fast allabendlich wenn nicht durch Abhaltung eigener Kurse, dann durch Besuch und Visitation fremder engagiert war und auf diese Weise kaum jemals in den Genuß ausreichenden Nachtschlafs kam. Dafür brachte mir aber diesmal meine eigene Arbeitsgemeinschaft mit dem Thema "Charakter und Schicksal" besonderen Gewinn und Befriedigung ein. In bewußter Anknüpfung an das heute besonders starke Interesse für psychologische Fragestellungen habe ich in ihr sozusagen "ab ovo" eine elementare Menschenkunde systematisch entwickelt, in deren Rahmen ich alle zentralen Fragen - wie Selbsterkenntnis und Fremderkenntnis, Aufbau der menschlichen Persönlichkeit, Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch, Leibe-Seele-Problem, Vererbung, Anlage und Umwelt, angeborener oder erworbener Charakter, Problem der Willensfreiheit usw. - eingehend behandelt habe. Daß der Hauptakzent dabei selbstverständlich auf der philosophischen Anthropologie lag, brauche ich nicht eigens hervorzuheben. Ebenso werden Sie sich denken können, wie sehr mir dabei wieder Ihre verschiedenen philosophischen Schriften zugute gekommen sind, deren einschlägige Partien ich bei dieser Gelegenheit immer wieder zu Rate gezogen habe. Von der psychologischen Literatur war dagegen wirklich ertragreich allein das neue Werk von Lersch "Der Aufbau der Person" (letzte Auflage 1951!), in dem die Psychologie den philosophischen Horizont wiedergewonnen hat, in dem die Lehre von der Seele und dem seelischen Leben ursprünglich stand. Durch die in ihm entwickelten konkreten psychologischen Analysen fühlte ich mich insofern wirklich bereichert, als sie sich nicht in Widerspruch zu den Einsichten der philosophischen Anthropologie verwickeln. Übrigens war der Zulauf zu meiner Arbeitsgemeinschaft diesmal so stark, daß ich viele Anwärter nicht mehr annehmen konnte, um den Kreis nicht über 40 Teilnehmer zu erweitern. So gewinne ich allmählich auch in Regensburg mehr und mehr Boden, aber richtig heimisch fühlen klnnen meine Frau und ich uns hier doch nicht, denn solange man nicht katholisch wird und den heimischen Dialekt beherrschen lernt, wird man hier doch immer als Fremder betrachtet. Aus diesem Grunde habe ich mich jetzt auch um die vakante Stelle des Volkshochschuldirektors in Lübeck beworben, aber obwohl ich dafür recht gute Voraussetzungen - wie gutes akademisches Examen, politische Unbescholtenheit, Herkunft aus dem norddeutschen Raum, 5jährige Praxis als Dozent, geschäftsführender Leiter einer Volkshochschule und als Verwaltungsmann - mitbringe, verbinde ich damit doch wenig Hoffnung, da bei solchen Stellenvergebungen doch zuletzt nur die persönlichen Beziehungen den Ausschlag zu geben pflegen. In Remscheid lagen kürzlich bei der Vergebung des gleichen Postens nicht weniger als 120 Bewerbungen vor! Meine Frau hat im letzten Lehrabschnitt nach langer Zeit auch wieder einen Englisch-Kurs in der Volkshochschule übernommen, der ihr viel Freude bereitet und außerdem ein kleines Nadelgeld verschafft hat. Da sie sich außerdem regelmäßig in meine eigene Arbeitsgemeinschaft (wo sie mir eine unentbehrliche Kritikerin geworden ist!) und auch in andere Veranstaltungen, die ich pflichtgemäß besuchen muß, begleitet hat, so war auch sie in den letzten Monaten übermäßig beansprucht. Die Leidtragende dabei war in erster Linie unsere Tochter, die sich denn auch zuweilen bitter darüber beklagt. Glücklicherweise ist diese recht erholt und fast vollständig genesen von ihrem Heilstättenaufenthalt zurückgekehrt. Da sie aber 8 Wochen verspätet in ihre neue Klasse kam, muß sie sich mächtig anstrengen, um den Vorsprung der anderen aufzuholen. Im Lateinischen bin ich ihr dabei behilflich und erfahre dabei die Freude, meine eigenen, in der Jugend erworbenen Sprachkenntnisse wieder aufzufrischen. Wieviel Befriedigung gewährt doch das zweite Lernen, hinter dem der lästige Schulzwang nicht mehr steht! Heute sind Schulen und Universitäten ja leider fast ausschließlich von rein quantitativen Wissensmaßstäben beherrscht. Damit hätte ich wohl das Wichtigste über uns berichtet. Die größte Freude würden Sie uns freilich damit machen, wenn Sie sich im neuen Jahr recht bald wieder einmal persönlich von unserem Leben in Regensburg überzeugen würden! Wie wäre es denn wieder einmal mit einem Vortrag? Dank eiserner Sparpolitik ist unsere Kapitaldecke augenblicklich breit genug, daß wir und das zum mindesten in Verbindung mit einer anderen auf dem Wege liegenden Volkshochschule oder wissenschaftlichen Gesellschaft wieder einmal leisten könnten!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Regensburg