Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Die Lektüre Ihres Vortrages war mir eine aufrichtige Freude. Sie war es deshalb, weil ich die Auflehnung gegen die etitertialistische Verdüsterung des Lebenshorizonts für unbedingt geboten ansehe. Sie war es auch deshalb, weil Sie die Tonart, in der man solche Lebensfragen vor einem gemischten Zuhörerkreis behandeln muss, sehr glücklich getroffen haben. Ich bin überzeugt, dass die Ergriffenheit, von der der Berichterstatter spricht, echt war. Es ist eine wirkliche Laienpredigt. Man muss gegenüber den Theologen, die dergleichen als Monopol beanspruchen, Recht und Sinn dieser freien Anrede an die Seelen unerbittlich festhalten. Übrigens hätten Sie als dichterischen Zeugen auch H. Hesse anführen können (noch neuerdings in "Letzte Prosa") Th. Mann hat in "Tonio Kröger" den Zauber eines glücklichen Erwachens beglückend dargestellt. Schleiermacher spricht vom "Silberblick", der auch dem mittelmässigen Leben einmal beschieden ist. Zu kritischen Anmerkungen - sachlichen oder formalen - sehe ich keinen Anlass. So etwas will und soll einfach dankbar genossen sein. Übrigens habe ich gestern einmal in Ihr Handwerk gepfuscht: bei einer Wochenendveranstaltung vor holländischen und deutschen Teilnehmern - darunter ein Volkshochschulleiter, der Sie aus Pelham kennt und Ihrer gerne gedachte: Dr. Nordhock aus Eerbeek. Erst ein Vortrag über "Völkerbegegnung" und dann eine dreistündige, in jeder Hinsicht sympathische Diskussion mit Ausblicken auf die konkrete Lage. - Sie fragen nach Druckmöglichkei. Mir fällt nur die "Sammlung" ein. Es käme auf einen Versuch an. - Ja, die Dozentennot! Ich merke immer mehr, wie sehr sie auch an der Hochschule grassiert. Wie klein ist doch die Zahl der Hochschullehrer, die den Studenten das zu geben wissen, was sie menschlich und beruflich nötig haben. Freilich - allzu gross ist auch die Zahl der Studenten, denen auch der beste Hochschuldozent nicht helfen kann, weil sie einfach nicht auf die Hochschule gehören. Es gibt betrübend viel echte "Unbildung" in unseren Hörsälen. Oft frage ich mich, ob wir eine konstitutive Niveausenkung vor uns haben - zum mindestens bei den künftigen Lehrern. Natürlich ist immer eine Minorität da, mit der man gerne arbeitet - aber sie ertrinkt in der Mittelmässigkeit. So muss es kommen, wenn man die Tore der Hochschule so weit aufmacht. (München 12000! Studierende; das ist heller Wahnsinn).
Sehr betrübt sind wir, dass Ihnen Beate von neuem Sorgen macht! Dass sie kein Heimweh hat, ist doch wohl deshalb zu begrüssen, weil das der Kurwirkung zu gute kommt.
Nun zu dem Kapitel Reise! Ich vermute, dass Sie bis gegen Ende August nicht daheim sind. Ich könnte aber nur auf der Hinreise über Regensburg fahren, denn auf der Rückreise will ich Spranger in Tübingen besuchen. Sind Sie um den 18. August herum in Oberbayern, so bitte ich Sie, zu erwägen, ob wir uns nicht in München treffen könnten. Für einen Abstecher in die Berge fehlt mir leider die Zeit, zumal da ich in München verschiedene Besuche zu machen habe. Hoffentlich lässt sich die Sache so oder so einrichten.
Viel traurige Nachrichten aus der Ostzone! Steger siecht dahin, und man kann nicht helfen. In Hannover sind an der betr. Stelle 8000 Flüchtlings-Lehrer registriert! Und Steger gehört nicht zur Klasse der "politischen Flüchtlinge".
Die armen Kroners! Er wird auch sonst nicht viel Freude an der Heimkehr haben. Hoffentlich können wir und demnächst über diese Dinge mündlich aussprechen.
Mit meiner Frau geht es einigermassen. Aber ganz wird sie sich nicht mehr wiederfinden.
Seien Sie mit Ihrer lieben Frau herzlich gegrüsst
von Ihren Litten.; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn |