Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0557
TitelBrief von: Litt (Bonn) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthälths; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1950
Zeitbis1950
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Das ist recht, dass Sie sich zu einem so ausführlichen Bericht aufgerafft haben. Die Hemmungen. von denen Sie mir schreiben, sind mir von manchem Mitmenschen her wohl bekannt. Eben deshalb hatte ich zu dem Rippenstoß entschlossen, den Sie mir hoffentlich nicht übel genommen haben. Nehmen Sie nun zunächst meinen Glückwunsch zur neuen Behausung entgegen. Ich weissdas, was Sie nunmehr geniessen, um so mehr zu schätzen, als wir, immer wieder um Hoffnung betrogen, immer noch in unserer Spelunke sitzen. Jetzt geht die Rede von einem zu erbauenden Universitätshause, aber ich hüte mich, darauf zu viel zu geben. Der "Bundeshauptstadt" ist natürlich ihre Universität zu uninteressant geworden, als dass sie sich um die Unterbringung ihrer Professoren zu kümmern brauchte. - Um Kündigung brauchen Sie sich, meine ich, keine Sorgen zu machen. Je länger Sie dort tätig sind, um so weniger wird man Sie entbehren können und wollen. Wenn Sie übrigens wünschen, dass ich mich an den niedersächsischen Stellen über Sie äussere; sprechen Sie es unverhohlen. Ich kenne Borinski persönlich. Soll er nicht in Göttingen eine Tätigkeit übernehmen? Und könnte dann nicht Goerde in Betracht kommen? Ich freue mich, dass Sie in Pelham und Lindau Ermutigendes und Erfrischendes erlebt haben. Aussprachen in so gemischten Arbeitskreisen sind manchmal erheblich erquicklicher als Fachdiskussionen. Wie unzufrieden bin ich manchmal mit der menschlichen und geistigen Haltung meiner Kollegen! Alles das, was uns an der westdeutschen Haltung ärgert und empört, tritt in Professorenkreisen ungemildert, manchmal durch traditionellen Dünkel verstärkt, zu Tage. Es ist ein Unglück, dass offenbar der Respekt vor dem Herrn Professor eben so wenig gelitten hat wie derjenige vor dem Herrn General. Unglaublich, mit welcher Zähigkeit sich solche Schätzungen behaupten. Nur aus diesem Grunde ist es möglich, dass diejenigen, die allen Grund hätten, den Mund zu halten, sich mit solcher Dreistigkeit hervortragen. Kennen Sie die neueste Probe: Carl Schmitt "Ex salms". Es besagt alles, das diese scheinheilig - verlogene Schrift von der "Frankf. Allg. Zeitung" mit Enthusiasmus begrüsst worden ist, wobei der grausame Verfolger Schmitts, E. Spranger, einen tüchtigen Jagdhieb abbekommt. Es wird bald so weit sein, dass unsereiner um Verzeihung bitten muss. Schade, dass ich Ihrem ethischen Kursus nicht unsichtbar beiwohnen kann! Ich freue mich auf die Lektüre. Steger schickte mir eine ausgezeichnete Arbeit über Philosophie und Leben. Ein Jammer, dass es gegenwärtig so schwer hält, Derartiges zum Druck zu bringen, zumal wenn der Autor noch keinen Namen hat! Ja, Kippenbergs Tod hat mich sehr bewegt, obwohl ich nicht sagen kann, dass ich mit dieser merkwürdig schwankenden Persönlichkeit durch wirkliche Freundschaft verknüpft gewesen wäre. Es ist bezeichnend, dass alle, die ihm nahestanden, gewisse Vorbehalte nicht unterdrücken können. Niemals werde ich vergessen, dass sein Haus mir in der schlimmsten Nazizeit eine Stütze der Entlastung und Erquickung gewesen ist. Er war schon längere Zeit leidend, ich glaube an Kreislaufstörungen, und war wohl schliesslich einfach aufgebraucht. Für mich ist jetzt das Alter gekommen, in dem ich die Menschen meiner Generation rechts und links dahinsinken sehe, der Leipziger Kreis schwindet zusehends dahin! Wie vergnügt waren wir bis 1943 im Hotel Sedan zusammen! Es wird wirklich abendlich. Die Befürchtungen, die Sie an die Remilitarisierung knüpfen, teile ich durchaus. Man hört ja schon im Geist die Reden, die dann erschallen werden und denen der begeisterte Widerhall nicht fehlen wird. Etwas anders als Sie denke ich über die Frage, ob wir uns, wie die Dinge liegen, von der Verteidigung (so lange es sich nur um eine solche handelt!) ausschliessen können. Ich höre genug, übergenug aus der Ostzone, was die Grösse der von dort her drohenden Gefahr drastisch illustriert. Lasen Sie Orwell 1984? Als Zukunftsvision lehrreich. Brecht war übrigens Studienkamerad von mir. Ich war jetzt wiederholt mit ihm zusammen. Als Student ein ungebändigtes Füllen, heute der abgeklärte Alte. Zum Schluss noch die Meldung, dass Rudolf seinen Referendar gemacht hat. Meine Frau ist wieder daheim, in ihrem Befinden gebessert, aber nicht eigentlich aufgehellt. Wir haben eine vortreffliche Haushälterin ergattert. Ich selbst bin ständig im Trab. Eigentlich müssten wir doch einmal in einer der unzähligen Tagungen zusammentreffen! Hoffen wir darauf. Wir grüssen Sie mit Weib und Kind in alter Freundschaft. Ihr Th. Litt Haben Sie in Leipzig einmal meinen Schüler Ernst Werner kennengelernt? (Klass. Philologie) Mit dem würden Sie sich in Ihrer politischen Empörung finden! Er schäumt.; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn