Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0549
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Eichhofen) an: Litt
Enthältms; Brief 2 Blatt A4
Zeitvon1949
Zeitbis1949
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Wieder ist eine sehr lange Frist verstrichen, seit ich Ihnen zum letzten Mal schrieb. Aber nachdem Sie ja wissen, wie sehr ich durch mein doppeltes Amt als Referent der Regierung und als geschäftsführender Leiter der Volkshochschule angespannt bin, darf ich wohl im vorhinein Ihrer Absolution gewiß sein. Auch heute habe ich es nur einer vorübergehenden Erkrankung, und zwar durch eine Infektion an meinem Amputationsstumpf verursachten Heunfähigkeit, und einer damit verbundenen Einkehr in Eichhofen zu verdanken, daß ich mir wieder einmal den Luxus des Briefeschreibens erlauben darf. Diese Gelegenheit aber will ich nicht vorübergehen lassen, ohne Ihnen wieder einmal ein Zeichen meines Gedenkens zu geben. Die spärlichen Berichte, die Sie von Zeit zu Zeit von mir erhalten, stehen ja ohnenhin - das müssen Sie mir wirklich glauben - in gar keinem Verhältnis zu der Intensität meiner inneren Verbundenheit mit Ihnen. Ihr Geist und Ihre Menschlichkeit sind fortdauernd gegenwärtig in unserem Heuse, und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in der einen oder anderen Form bei uns die Rede von Ihnen ist. Erinnerungen an die Leipziger Jahre und an Ihren vorjährigen Besuch in Eichhofen wechseln sich dabei mit ausmalenden Vorstellungen Ihrer gegenwärtigen Wirksamkeit in Bonn ab. Besonders erfreut es uns aber immer wieder, wenn uns Ihr Name irgendwo in der Zeitung begegnet und uns Kunde von Ihrem wachsenden Einfluß gibt. Leider entspricht dieser ja immer noch lange nicht der Bedeutung Ihrer Persönlichkeit und Ihres Wekes, aber nachdem Sie lange genug im Schatten anderer kunjunktureifriger Geister gestanden haben, die sich in den Vordergrund zu drängen verstanden, beginnt die Öffentlichkeit ja jetzt endlich etwas mehr Notiz von Ihrem Wirken zu nehmen. So las ich mit herzlicher Genugtuung die warme und verständnisvolle Würdigung, die G. R. Hocke Ihren beiden neuen geschichtsphilosophischen Veröffentlichungen in der "Neuen Zeitung" gewidmet hat. Noch mehr erfrischte mich Ihr eigener, in der gleichen Zeitung abgedruckte Artikel "Rechtsbewußtsein, gestern und heute", den ich mit lebhaftester Zustimmung gelesen habe. Es war wirklich notwendig, die darin enthaltenen schlichten Wahrheiten einmal in der von Ihnen gewählten unverhohlenen Klarheit auszusprechen, nachdem dies noch kaum jemand in übertriebener Schonung unseres schon wieder recht hochgezüchteten nationalen Ressentiments wagt. Ich selbst habe unterdessen von Ihren mir freundlichst übersandten Schriften wenigstens die Broschüre über "Die Frage nach dem Sinn der Geschichte" gründlich studiert und mich an Ihrem tiefen Gehalt, wie an Ihrer strengen philosophischen Gedankenführung herzlich erfreut. Gerade in letzter Beziehung schien sie mir eine ähnliche, ebenfalls kürzlich erschienene Schrift von Heimsoeth "Geschichtsphilosophie", der es stellenweise doch sehr an philosophischer Schärfe und Begrifflichkeit mangelte, vorteilhaft zu übertreffen. Sehr bezeichnend war mir übrigens, daß Heimsoeth im Gegensatz zu Ihnen an keiner Stelle seiner Schrift auch nur im geringsten Bezug auf die fundamentalen geschichtlichen Erfahrungen unserer jüngsten Vergangenheit nimmt, sondern sie "vornehm" ignoriert oder sie, ohne sie direkt bei Namen zu nennen, durchaus in die üblichen Erscheinungen des Geschichtsverlaufs einzugliedern versucht. Wenn er ferner in einer Anmerkung Max Wundts Studie "Aufstieg und Niedergang der Völker, Gedanken über eine Weltgeschichte auf russischer Grundlage" als "schönen Entwurf einer neuen geschichtsphilosophischen Sicht" preist, so spürt man bei ihm ebenso wie bei Rothacker, der in seiner kürzlich erschienenen "Kulturanthropologie" (in der ich beim Durchblättern nicht eine einzige gehaltvolle philosophische Erkenntnis entdecken konnte) nur Autoren wie L. F. Claus, A. Gehlen und H. Naumann zitiert, welches Bemühen hier im Untergrund am Werke ist: die posthume Rechtfertigung der eigenen Anpassung an die Parolen des dritten Reichs! Doch zurück von diesen traurigen Erscheinungen, über die sich noch des längeren und breiteren reden ließe, zu Ihren eigenen Publikationen! Als nächste werde ich mir davon die Anthropologie zu gründlichem Studium vornehmen. Bei begonnener Lektüre erfreute es mich sehr, daß Sie die im ersten Manuskript etwas lakonisch und insofern leicht mißverständlichbehandelte Stelle, wo von der "Anlage" des Menschen die Rede ist, jetzt breiter ausgeführt und zudem durch eine besondere Anmerkung von allen möglichen Mißverständnissen gereinigt haben. Darf ich mir schmeicheln, durch meinen damaligen Hinweis vielleicht einen kleinen Anteil daran zu haben? Im übrigen habe ich durchaus den Eindruck, daß diese Arbeit in der Tat in der neuen überarbeiteten und vielfach erweiterten Form noch wesentlich an gedanklicher Intensität und sprachlichem Ausdruck gewonnen hat, obwohl sie mir bereits damals im Manuskript zu den hervorragendsten Änderungen Ihres Geistes zu gehören schien. Ich habe vor, diese Schrift in den nächsten Wochen gemeinsam mit Hermann Nohls pädagogischer Menschenkunde "Charakter und Schicksal" zu lesen und dann im Herbstabschnitt unserer Volkshochschule selbst eine anthropologische Vorlesung mit Aussprachegemeinschaft abzuhalten. Für den jetzt laufenden Lehrabschnitt habe ich aus einem besonderen Grunde keine eigene Veranstaltung übernommen. Ich habe nämlich das Glück gehabt, als Teilnehmer an einer dreimonatigen Studienreise einiger deutscher Volksbildner nach Amerika ausersehen zu werden und sollte bereits dreimal dazu starten. Zweimal mußte der vorgesehene Termin ohne mein Verschulden wegen irgendwelcher Schwierigkeiten wieder abgesetzt werden, während er jetzt, am 12. März wegen meiner schon erwähnten Erkrankung nicht in Kraft treten konnte. Nun soll die Reise angeblich Ende März oder Anfang April vonstatten gehen, aber ich bin noch skeptisch, nachdem bisher ein solcher Unstern über der Sache stand. Immerhin besitze ich aber bereits Paß und Visum, und so hoffe ich doch, daß noch etwas daraus wird. Die vorgesehene Route führt über New York, Detroit, Milwaukee, Minneapolis, Denver bis nach San Franzisko, also ziemlich quer durch die Staaten. Ich denke schon, daß man dabei allerhand Sehenswertes vor die Augen bekommen wird, und wenn ich dabei auch für unsere spezielle geistige Problematik vermutlich nicht sehr viel gewinnen werde, so dürfte sich doch die damit verbundene Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises unbedingt fruchtbar auf meine Arbeit auswirken. Besonders begrüße ich es natürlich auch, daß mir diese Reise Gelegenheit gibt, mit Prof. Kroner und Frau ein Wiedersehen zu feiern und womöglich mit seinen beiden Kollegen Tillich und Niebuhr sowie vielleicht noch mit manch anderem emigrierten deutschen Gelehrten Beziehungen anzuknüpfen. Sollten Sie etwa noch an irgend jemand Grüße nach drüben aufzutragen haben, darf ich Sie bitten, mir dies noch rechtzeitig mitzuteilen. Ansonsten läuft bei uns alles seinen alten Gang. Meine Arbeit gewährt mir nach wie vor trotz mancher verwaltungsmäßigen Belastung hinreichende Befriedigung. Unvollkommenheiten sind freilich immer in Kauf zu nehmen. Als solche empfinde ich es besonders, daß ich so gut wie gar nicht mehr zu eigenen wissenschaftlichen Arbeiten komme. Auch die allgemeine Resonanz wäre natürlich in einer anderen geistigen Atmosphäre erheblich größer, aber es bleibt ja nach wie vor mein Ziel und Traum, eine hauptberufliche pädagogische Wirksamkeit in der Stellung eines Heimvolkshochschulleiters zu gewinnen. gegenwärtig muß man ja - besonders in meiner Eigenschaft als rechtlich völlig schutzloser "Evakuierter" - froh sein, wenn man überhaupt irgendwo eine auskömmliche berufliche Exitenz hat. Immerhin darf ich ohne Selbstüberheblichkeit sagen, daß ich mir in der bayrischen Volksbildung einen Namen gemacht habe und Anerkennung genieße. So hat mich der Landesverband erst kürzlich wieder an die Spitze einer mehrköpfigen Kommission zur Ausarbeitung eines bayer. Volksbildungsgesetzes gestellt. Der Entwurf wurde von mir nach gründlicher Beratung mit den übrigen Mitgliedern fertiggestellt und wird, wenn er in dieser Form vom Landtag genehmigt wird, den Volkshochschulen die längst ersehnte rechtliche Anerkennung und wirtschaftliche Sicherung bringen. Da in ihm ferner auch die Errichtung planmäßiger Volksbildungsreferate an den Kreisregierungen dem Staat zur Pflicht gemacht wird, dürfte mit seiner Annahme auch endlich meine eigene Tätigkeit an der hiesigen Regierung in den Beamtenrang erhoben werden. Zur Eröffnung unseres gegenwärtigen Lehrabschnitts hatten wir diesmal Prof. Franz Schnabel als Festredner hier, der über "Das Problem des modernen Nationalstaates, gestern und heute" sprach. leider konnte ich der am vergangenen Sonntag stattgehabten Feier aber selbst nicht beiwohnen, da ich damals bereits an meiner Verwundung laborierte. Nun habe ich mir als besonders schönen Plan ausgedacht, als nächsten Festredner zur Eröffnung unseres Herbstlehrabschnittes - am 2. Oktober - Sie , sehr verehrter Herr Professor, zu uns zu bitten! Wenn Sie sich mit einem kleineren Honorar begnügen würden, werden wir die Reisekosten dafür schon aufbringen, und es wäre doch insofern recht gelegen, weil Sie das dann vielleicht mit einem mehrtätgigen Besuch bei uns in Eichhofen verbinden könnten! Als besonders für den Anlaß und für unsere Hörerschaft geeignetes Thema hatte ich mir einen Abschnitt aus Ihren "Wegen und Irrwegen der Geschichtsauffassung", und zwar das Kapitel über die geschichtliche Verantwortung des Einzelnen, gedacht. Sollte Ihnen der Vorschlag aber vielleicht terminlich nicht passen, so gäbe es auch noch eine zweite Möglichkeit zu einem Vortrag in Regensburg mit vorangehendem oder anschließendem Besuch in Eichhofen. Im August beabsichtigen wir nämlich anläßlich des Goethe-Geburtstages eine besondere Goethe-Woche durchzuführen, auf der heimische und auswärtige Vertreter des Geisteslebens über die Persönlichkeit und das Werk des Dichters in ihren Beziehungen zum geistigen Leben der Gegenwart sprechen sollen. Auch zu dieser Veranstaltung wäre uns Ihre Mitwirkung mit einem entsprechenden Thema natürlich äußerst willkommen, und die Wahl steht also bei Ihnen, für welche der beiden Vorschläge Sie sich entscheiden wollen. Ich mache Ihnen nur deswegen bereits jetzt Mitteilung davon, weil Sie ja bei Ihrer vielseitigen Beanspruchung auch auf lange Sicht disponieren müssen. Wir, d.h. speziall meine Frau und ich, würden uns jedenfalls ungemein freuen, Sie wieder einmal bei uns haben zu dürfen, und mir persönlich würde es ein großer Genuß sein, Sie nach so langer Zeit wieder einmal auf dem Vortragspult zu erleben. Während dieses letzten Absatzes wurde ich mehrfach im Schreiben unterbrochen, einmal auf längere Zeit durch einen enthusiastischen philosophierenden Adlaten, der mir einen recht problematischen Aufsatz von sich über den Existentialismus vorlas, und dann durch ein Ferngespräch der Militärregierung München, in dem mir mein neuer Abreisetermin für den 22. März mitgeteilt wurde. Nun bin ich ja wirklich gespannt, ob die Sache diesmal klappt! Der neue Termin paßt mir jedenfalls insofern sehr viel besser, als dann meine Frau wieder von der Messe zurück ist. Ja, das habe ich noch gar nicht erwähnt: meine Frau ist am vergangenen Sonntag nach Leipzig gefahren, obwohl so gut wie keine Aussicht mehr besteht, noch irgendetwas von unseren Sachen von dort herauszubekommen. Aber sie wollte diese vielleicht letzte Gelegenheit benutzen, um noch einmal in unserer Wohnung nach dem Rechten zu sehen und gleichzeitig einige Leipziger Freunde mit etlichen nahrhaften Gaben zu versorgen. Zu diesen letzten zählen auch Stegers in Grimma, für die der Großteil der mitgenomenen Sachen bestimmt war. Es war uns eine besondere Freude, gerade diesen notleidenden Freunden wieder einmal etwas zukommen lassen zu können, nachdem die Paketbeförderung in die Ostzone ja seit längerem gänzlich unterbunden ist. Ich kann nur hoffen, daß meine Frau alles unbeanstandet über die Grenze mitbekommen und auch sonst keine Schwierigkeiten drüben hat. In Leipzig ist ja nun, wie ich irgendwo gelesen habe, in der Tat jener berüchtigte Zahnarzt Dr. Ley zu Ihrem Nachfolger ernannt worden. Die Verhältnisse entwickeln sich immer eindeutiger dort, und man kann nur herzlich froh sein, Daß Sie dem allen entronnen sind! War Ihnen eigentlich der ehemalige Vorsitzende des dortigen Asta, namens Natonek, der vor einiger Zeit zu 25jähriger Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt worden ist? Ich finde es empörend, daß hierauf nicht ein flammender Protest aller deutschen Universitäten und Landtage erfolgt ist, der dem tief zu beklagenden jungen Mann wenigstens das Gefühl hätten geben können, daß sein Kampf für die Freiheit auf vorgeschobenem Posten nicht ohne Widerhall im deutschen Volke geblieben wäre. Aber wo sich das nationale Solidaritätsgefühl nun wirklich einmal mit Recht regen sollte, da stößt man nur auf Gleichgültigkeit und Stumpfheit. Kürzlich las ich bei Solon eine sehr bemerkenswerte Sentenz: "Was ist der beste Staat? Wo die Nichtbetroffenen über ein Unrecht ebenso empört sind wie die Betroffenen." Damit nun aber für heute Ihnen, Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin und Ihrem Sohn herzlichste Wünsche und Grüße! In unverändert dankbarer und verehrender Gesinnung! Ihr sehr ergebener; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen