Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr freundliches Glückwunschschreiben. Die Feier meines 60. Geburtstages kommt auch mir immer wieder in den Sinn, wenn wieder einmal ein Jahr abgelaufen ist. Soeben schrieb ich an an meinen ersten Famulus, Herrn Wetzel, der damals zusammen mit Ihnen und Jónasson als erster zum Gratulieren antrat. Dem Armen ist es auch übel ergangen. Er ist trotz meiner verzweifelten Bemühungen aus dm Amte entlassen worden, weil er unter schwerstem Druck, entgegen der Herzensmeinung, der Partei beigetreten ist.
Herzlich leid tut es mir, daß Sie so schwer abgearbeitet sind. Der Zustand permanenter Hetze ist auch mir nur zu vertraut, aber ich kann nicht sagen, daß er mir bisher gesundheitlich geschadet hätte. Ein alter Gaul trabt weiter, so lange er im Geschirr ist. Der schwedische Aufenthalt war nicht zum wenigsten deshalb so wohltuend, weil er mir in der Tat die Möglichkeit gab, mein Hegelbuch ein gute Stück zu fördern. Jetzt natürlich ruht die Arbeit wieder. Aber ich hoffe es doch im Laufe des nächsten Jahres vollenden zu können.
Es freut mich sehr, daß Sie in der Volkshochschule die Früchte Ihrer Arbeit sehen können. Vorträge in auswärtigen Volkshochschulen bestätigen durchaus Ihre Feststellung: der Unterschied der allgemeinen Teilnahme ist außerordentlich groß, und das muß doch wohl an der Gründlichkeit der Arbeit liegen, die durchweg geleistet wird. Trotz allem glaube ich, daß die Volkshochschule im zukünftigen Bau des deutschen Bildungswesens eine sehr wichtige Stelle auszufüllen hat - um so mehr, je mehr die unerträgliche Inflation des Studiums zurückgeht, die ich für ein deutsches Unglück halte.
Also auch Sie machen Erfahrungen darüber, wie es einem ergeht, wenn man "anstößt". Lassen Sie sich zum Troste sagen: wer bei uns in pädagogischen Dingen wirkliche Überzeugungen verteten will, kommt nicht darum herum. Es ist nur so, daß wenn man in mein Alter gekommen ist, man nicht mehr so heftigem Widerspruch begegnet wie als "junger Mann". Mit meinen Gegnern vom Weimarer Kongreß 1926 habe ich mich später recht gut vertragen. Freuen Sie sich also schon auf den Frieden des Patriarchenalters!
Kroner habe ich mein Buch nicht zugeschickt. Er ist nach Wiederherstellung der Verbindung so wortkarg gewesen, daß ich nicht den Eindruck hatte, er lege großen Wert auf den Meinungsaustausch. Ihre Sorgen um die östlichen Freunde sind nur zu begründet. Reble steht unmittelbar vor der Entlassung, und es ist furchtbar schwer, hier für ihn ein Unterkommen zu finden. Alle Stellen sind besetzt, und neue werden nicht gegründet. Leisegang hat an der Freien Universität Berlin eine Professur erhalten, hat aber alles in Jena aufgeben müssen. Der ist auch von dieser Zeit geschüttelt worden! An die ganze Ostzone und speziell an die Universität Leipzig kann ich nur mit wirklicher Seelenqual denken. Ich habe dort 27 Jahre gearbeitet, da verwächst man doch mit dem Ort und seinen Kultureinrichtungen. Sie müßten das Gelichter kennen, das dort jetzt in "Kultur" macht! Bei uns erscheinen mehr und mehr Flüchtlinge aus der Ostzone, die schauderöse Dinge zu berichten haben. In Leipzig sind 34 Studenten verhaftet worden.
Könnte man nur mit dem inneren Zustand der Dinge hier wirklich zufrieden sein! Aber auch hier ist vieles faul. Ich kann jetzt die Empörung verstehen, mit der Sie seiner Zeit von Ihrer Begegnung mit Rothacker in Tübingen oder Stuttgart berichteten. Er kämpft jetzt für die Wiedereinsetzung von Naumann mit Mitteln, die ich nur für demagogisch im übelsten Sinne halten kann. Von Einsicht in den wirklichen Verlauf der Dinge ist keine Rede. Ich fürchte, da wird es auch noch für mich unerwünschte Auseinandersetzungen geben. Bis jetzt habe ich mich zurückgehalten, da ich nicht als Neuankömmling gleich hervortreten will. Aber auf die Dauer halte ich das nicht aus. Es betrübt mich immer wieder, wenn ich sehen muß, wie wenig Philosophen in ihrer menschlichen Haltung den inneren Anforderungen der von ihnen vertretenen Sache entsprechen. Überhaupt muß ich immer wieder feststellen: das Gros der Universitätslehrer hat nicht erfaßt, was die Stunde von ihm fordert. Eine große Gelegenheit wird ungenutzt vorübergehen. Dabei hat man eine Jugend vor sich, mit der weiterzukommen wäre.
Nun nehmen Sie mit Ihrer lieben Frau und dem kleinen Sausewind Beate unser herzlichen Wünsche für 1949 entgegen! Hoffentlich geht es besser aus, als es einstweilen den Anschein hat.
Ihr
gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn |