Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter, lieber Herr Professor!
Endlich finde ich einmal eine freie Stunde, um Ihnen nach langer Zeit wieder von uns zu berichten. Zunächst aber möchte ich Ihnen meinen herzlichsten Dank abstatten einmal für Ihren freundlichen Gruß aus Stockholm und Ihre gütigen Weihnachtswünsche, nicht minder aber auch für die Übersendung Ihrer beiden neuen Publikationen "Denken und Sein" und "Mensch und Welt". Wie sehr Sie mich mit alledem erfreut haben, brauche ich wohl nicht hervorzuheben. Ich hätte mich auch längst darauf gerührt, wenn ich nicht so ein gehetzter Arbeitsmensch wäre, der kaum noch ein Privatleben kennt. Unter der starken Abnutzung, der heute alle im öffentlichen Leben stehenden Menschen infolge ihrer Arbeitsüberlastung unterliegen, war leider auch meine in der Schweiz gewonnene Erholung nicht allzu langer Dauer, und in letzter Zeit hatte ich mehrfach unter starken Ermattungserscheinungen und Übelbefinden zu leiden. Glücklicherweise steht mir aber noch ein Resturlaub von dreizehn Tagen zu, den ich kurz nach Neujahr in Anspruch zu nehmen gedenke. Dann werde ich auch endlich Zeit haben, mich mit Ihren neuen Werken zu beschäftigen. Die geschichtsphilosophische Schrift habe ich unterdessen eingehend studiert und unschätzbaren Erkenntnisgewinn daraus gezogen. Für mich war sie die wesentlichste philosophische Publikation, die ich nach dem Zusammenbruch gelesen habe, und wenn mir die Zeit nicht wieder gar zu knapp werden sollte, hoffe ich, während meines Urlaubs etwas darüber schreiben zu können.
Daß Sie einen so angenehmen und erholungsreichen Aufenthalt in Schweden hatten, hat mich sehr gefreut. Wenn die Schweden auch nur wenig von unserer Problematik wissen und berührt sind, so sind sie doch in ihrer natürlichen Offenheit, ihrer guten Lebensart und ihrer Gastfreundlichkeit recht sympathische Leute, denen man gerne begegnet. Als wir seinerzeit auf dem Herzberg im Aargau waren, trafen wir dort in den letzten Tagen auch mit 21 schwedischen Volksbildnern zusammen, mit denen wir alsbald in ein sehr herzliches Verhältnis kamen. Wie mir Prof. Medicus erzählte, wollten Sie den schwedischen Aufenthalt auch dazu benutzen, Ihr lange geplantes Werk über Hegels Logik zu schreiben? Ich bin natürlich sehr interessiert daran, wie weit Sie zur Ausführung dieses sehr diffizilen und umfangreichen Unternehmens gekommen sind, das gewiß nich in wenigen Wochen zu bewältigen ist.
Bei uns hat sich seitdem wenig geändert. Gleich geblieben ist vor allen die Arbeitslast. Zwar habe ich selbst in dem soeben abgelaufenen Lehrabschnitt nur eine geschichtspolitische Arbeitsgemeinschaft über die "Deutsche Geschichte und Politik seit 1848 im Spiegel zeitgenössischer Stimmen" abgehalten, aber dafür mußte ich viel Kraft darauf verwenden, erfolgsversprechende Maßnahmen für das Weiterbestehen unserer Volksbildungseinrichtung überhaupt zu treffen, da diese allesamt durch die Währungsreform in eine schwere Existenzkrise geraten waren. Was Regensburg betrifft, wo ich selbst ständig nach dem Rechten sehen konnte, ist mir dies auch über Erwarten gut gelungen, denn soviel mir bekannt ist, sind wir die einzige Volkshochschule, die nicht nur keinen Hörerrückgang, sondern sogar einen Anstieg von rund hundert Hörern zu verzeichnen hat. Sehr viel schlechter liegen die Verhältnisse allerdings bei den übrigen Volkshochschulen unseres Regierungsbezirks, die teilweise einen solchen Tiefstand erreicht haben, daß man mit ihrem Eingehen rechnen muß. Es zeigt sich eben jetzt doch sehr deutlich, wo wirklich gediegene und ernste geistige Aufbauarbeit geleistet wurde, und wo man sich im Gegenteil nur eine bestimmte Konjunktur billig zunutze gemacht hat. Wohl kaum eine andere Einrichtung hängt so gänzlich von dem persönlichen Einsatz und richtigen Einstellung ihrer Leitung ab, wie gerade die Volkshochschule. Notwendig wäre allerdings, daß die Volksbildungsinstitute unabhängiger von der Rücksicht auf die Rentabilität ihrer Kurse würden, damit sie die ihnen vorschwebenden Ziele verwirklichen könnten. Erst dann nämlich könnten sie jenen "Mut zur kleinen Zahl" betätigen, der eine bleibende Wirkung ihrer Arbeit überhaupt erst garantiert.
Daß ich selbst nicht wie viele Evakuierte nach der Währungsreform abgebaut wurde, darf ich wohl darauf zurückführen, daß es mir in meiner nunmehr zweijährigen neuen Tätigkeit gelungen ist, mir das Vertrauen und die Anerkennung meiner Umgebung zu erwerben. Tatsächlich habe ich mich ja auch nichtaus Opportunismus, sondern aus echter Einfühlung in die hier waltenden Lebensverhältnisse stets darum bemüht, der Eigenart der hier herrschenden Denkweise gerecht zu werden und ihr alle destruktiven Elemente fernzuhalten, ohne freilich auf Versuche geistiger Auflockerung zu verzichten. Wie weit ich mit dem letzten erfolgreich gewesen bin, muß die Zukunft lehren. Hier bedarf es wohl einer längeren geistigen Einwirkung, die sich wahrscheinlich erst in Jahren mit Hilfe der starken Durchsetzung Bayerns mit Flüchtlingen aus allen Teilen des Reiches vollziehen wird. Auf den verschiedenen Kongressen und Volksbildungstagungen, an denen ich teilgenommen habe, habe ich mich dagegen, fürchte ich, etwas unbeliebt gemacht, da ich dafür bekannt geworden bin, daß ich jedem unbegründeten Geschwätz sofort entschieden entgegentrete und alles phrasenreiche Theoretisieren sofort auf den Boden nüchterner Wirklichkeit herunterhole. So hatte ich erst kürzlich in München auf einer Arbeitstagung ein heftiges Renkontre mit einem leitenden Gewerkschaftsfunktionär, der sich zu der Forderung verstieg, die Volkshochschulen müßten, um ihre "Neutralität" zu wahren, sich darauf beschränken, ihren Hörern die verschiedenen "Weltanschauungen" darzulegen, ohne sich selbst zu einer zu bekennen. Gegen diesen entscheidungslosen Liberalismus machte ich geltend, daß eine wirkliche Volksbildung ohne ein klares Bekenntnis zur christlich-humanistischen Tradition des Abendlandes nicht zu verwirklichen sei. Auch bei der Militärregierung habe ich mich neuerdings ein wenig mißliebig gemacht, da ich mich veranlaßt sah, gegen die Einmischung der Amerika-Häuser in Aufgaben der deutschen Volksbildungseinrichtungen Stellung zu nehmen und eine klare Komptenzabgrenzung beider Institutionen zu fordern. Dieses Eingreifen erwies sich insofern als notwendig, als die Amerika-Häuser, die natürlich keinerlei wirtschaftliche Schwierigkeiten kennen, sondern verschwenderisch mit allen Notwendigkeiten ausgestattet sind und zudem kostenfreien Zutritt zu allen ihren Veranstaltungen gewähren können, die Volkshochschulen an vielen Orten zu erdrücken drohen, ohne natürlich deren eigentliche Aufgaben erfüllen zu können. Da ich mich in dieser Sache frei von jeglichem nationalistischen Ressentiment fühlte, konnte ich sie umso freier und mit bestem Gewissen vertreten. Immerhin hat das aber dazu geführt, daß ich von einer Englandreise, für die ich im Januar von der Militärregierung ausersehen war, zurückgestellt worden bin und statt meiner ein konzilianterer Kollege dafür ausgewählt wurde. Es ist eine alte Erfahrung, daß es immer "unklug" ist, sich in irgendeiner Sache zu exponieren.
Die Lehrtätigkeit meiner Frau an der Dolmetsherschule ist dagegen der Währungsreform zu Opfer gefallen, da die Frequentierung dieser Anstalt so stark nachließ, daß einige Lehrkräfte entlassen werden mußten. Als "Doppelverdienerin" mußte sie trotz ihrer anerkannten Lehrerfolge als eine der ersten weichen. Nun war diese Tätigkeit zwar schon seit einigen Monaten freiwillig auf vier Stunden in der Woche beschränkt worden, aber trotzdem hat meine Frau sie doch ungern aufgegeben, weil sie Befriedigung darin fand und ein hübsches Nadelgeld dabei verdiente. Für ihre Erholung ist das Pausieren natürlich sehr wohltätig. Beate entwickelt sich immer mehr zu einem sehr selbständigen kleinen Individuum, das nicht immer leicht zu bändigen ist, trotzdem aber die ganze Freude ihrer Eltern in dieser grauen Welt ist. Als sie mir heute beim Tippen meines Briefes an Sie zuschaute und dabei Ihre neben mir liegenden Zeilen erblickte, bemerkte sie weise, daß der Onkel Litt wirklich eine sehr "hübsche Handschrift" hätte, worin ich ihr nur recht geben konnte.
Von Kroners hören wir leider nur noch sporadisch. Durch verschiedene Liebesgabensendungen ihrer Bekannten machen sie uns jedoch immer wieder bemerklich, daß sie unserer in fortdauernder Freundschaft gedenken. Ich wollte Kroner eigentlich zu Weihnachten Ihr Buch über "Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens" schenken, aber da ich nicht genau wußte, ob Sie es ihm nicht womöglich schon übersandt hätten, haben wir dann doch ein anderes Geschenk gewählt.
Über Rebles, aber noch mehr über Stegers schlimme Lage mache auch ich mir sehr ernste Sorgen. In Stegers letzten Briefen standen einige bedenklich verzweifelt klingende Stellen. Zu allem Unglück sind nun auch die Postsendungen in die Ostzone auf 50 Gramm beschränkt worden, so daß meine Frau ein schon fertig gepacktes Paket mit Stiefeln für Stefan leider nicht mehr ansenden konnte. Es ist schrecklich, daß einem auch in so kleinen Hilfen die Hände gebunden sind. Wie froh bin ich, daß Sie noch rechtzeitig der Tyrannei entronnen sind! Wie Leisegang hätten Sie bestimmt das gleiche Schicksal erlebt, von dem einen wie dem anderen totalitären System kaltgestellt und verfolgt zu werden.
Die politische Situation bietet noch immer so wenig Lichtblicke, daß wir auch dieses Weihnachtsfest nicht ohne schwere Bedrückung feiern können. Möchten Sie trotzdem mit den Ihrigen einige schöne und besinnliche Feiertage haben! Kurz nach Weihnachten naht sich nun auch wieder Ihr Geburtstag. Immer, wenn dieser Tag kommt, steigt in mir wieder die Erinnerung an die unvergeßliche Feier Ihres 60sten Geburtstages auf, die wir mit Ihnen in noch dunklerer und bedrückender Stunde begingen. Wie schön war es dennoch, mit so vielen Ihrer Getreuen um Sie versammelt zu sein, alle im Gefühl der Dankbarkeit und Verehrung für Sie geeinigt! Sollte das nicht doch noch einmal möglich sein? Ich dächte, Ihr siebzigster wäre der rechte Anlaß dafür, und dann, hoffe ich, werden wir Ihnen auch eine regelrecht gedruckte Festschrift auf den Gabentisch legen können! Sie, hochverehrter Herr Professor, werden uns, wenn nicht unberechenbare äußere Gewalten dazwischentreten, sicher keinen Strich durch diese Rechnung machen, denn Ihre ungebrochene geistige Produktivität ist mir ein Beweis dafür, daß wir Sie zu unserem Glück noch viele Jahre unter uns werden wirken sehen!
So empfangen Sie denn in diesem frohen Vorgefühl zu Ihrem diesjährigen Geburtstag die Versicherung < ab hier fehlende Textstellen >
.... und verehrenden
.... ich immer von neuem, wie-
.... verdanke, und so werde ich es immer
.... meines Lebens rechnen, Ihnen begegnet zu sein!
.... auch Ihre hochverehrte Frau Gemahlin und Ihren lieben
.... herzlichste von mir!
In Treue!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |