Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Leider komme ich erst heute dazu, Ihren freundlichen Brief vom 2.2., der mich wieder sehr erfreute und für den ich Ihnen herzlichst danke, zu beantworten. Nach der Rückkehr von meiner kleinen Urlaubsreise war ich so mit Arbeit eingedeckt, daß ich alles Private zunächst hintenanstellen mußte. Ich könnte es mir zwar in meiner halb beamtenmäßigen Stellung sehr bequem machen und ein zeimlich geruhsames Leben führen, aber vorläufig bin ich noch zu aktiv dazu. Meine Frau sagt immer, mein Übereifer trüge mir ja doch nichts ein, und sie hat damit, was den materiellen Erfolg betrifft, zweifellos auch recht; denn solange ich meinen Dienst nicht geradezu vernachlässige, fragt man in "der Behörde" nichts danach, ob ich viel oder wenig tue. Im Gegenteil: hier macht mich meine Aktivität nur verdächtig, und obwohl ich mich den hier gegebenen Verhältnissen so weit angepaßt habe, wie das ohne Gesinnungsverleugnung möglich war, bin ich doch überzeugt, daß man mich als Protestanten in meiner Stellung doch lieber gehen, als bleiben sähe. Wahrscheinlich wird man mir denn auch, wenn mit der Währungsreform erst der große Behördenabbau kommt, sehr bald den schlichten Abschied geben, zumal meine Stelle bis jetzt noch nicht in den Beamtenhaushalt aufgenommen worden ist. Diese Unsicherheit zusammen mit den geheimen und offenen Widerständen mit denen ich als "Ausländer" zu kämpfen habe, bedrücken mich zuweilen doch sehr. Hinzukommt der unwahrscheinlich eng begrenzte geistige Horizont der Regensburger, die sich am liebsten hinter einer chinesischen Mauer gegen alles von außerhalb Kommende abschließen würden. Kurz und gut: recht behaglich ist mir in meiner hiesigen Situation nicht, und ich fühle immer mehr, daß es sich dabei doch nur um ein Provisorium handeln kann. Aber z.Zt. wäre eine Veränderung, selbst wenn sich eine solche böte, ja doch kaum durchführbar, und so muß ich einstweilen weiter ausharren, auch mit der Gefahr, u.U. meine besten Jahre damit zu opfern.
Aber ich will Sie nicht gar zu sehr mit meinen persönlichen Sorgen und Nöten behelligen. Wenn man ringsum die politische Entwicklung, die sich immer mehr zu einer rasenden Fahrt in den Abgrund steigert, betrachtet, erscheinen sie einem ohnehin unwichtig und unbedeutend. Wer weiß, wie lange wir den kümmerlichen Rest "bürgerlichen" Daseins, den wir noch führen, aufrechterhalten können? Mir scheint, die Zwangskollektivierung naht mit Riesenschritten, und alles, was die gegenwärtigen Repräsentanten bürgerlicher Ordnung unternehmen, um diesen Prozeß noch aufzuhalten, ist nur geeignet, ihn zu beschleunigen. Das Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, ist kaum noch abzuwehren.
Ein sehr bemerkenswertes Beispiel, wie die Dinge heute in Deutschland stehen, erfuhr ich auf meiner Urlaubsreise nach Bremen, Hamburg und Kiel. Hatte ich schon auf der Bahnfahrt Proben der politischen Stimmung der Bevölkerung erhalten, die, als ich die Stimme dagegen zu erheben wagte, um ein Haar zu meinem Hinauswurf aus dem Abteil geführt hätten, so wartete das Schlimmste, was ich in dieser Beziehung erfahren sollte, doch erst in Kiel auf mich. Dort erzählte mir nämlich mein Schwager, daß die Ludendorff-Gemeinde in Schleswig-Holstein wieder "ganz groß im Kommen" sei und erst vor einigen Wochen in der überfüllten Universitätsaula mit Genehmigung der Britischen Militärregierung eine Massenkundgebung zu Ehren des Geburtstages von Mathilde Ludendorff abgehalten habe! Da mir dieser Bericht zu ungeheuerlich erschien, um ihn ohne weiteres als wahr zu nehmen, wandte ich mich nach meiner Rückkehr schriftlich an den Rektor der Universität und bat ihn um Auskunft, ob es sich tatsächlich so verhalten habe. Die Antwort, die mir der Rektor erteilte, ist so "klassisch", daß ich sie Ihnen in Abschrift beigefügt habe. Den Umstand, daß die Feier zwar nicht in der Aula, wohl aber, was der Rektor mir verschwieg und was ich erst durch neuerliche Nachforschung feststellen konnte, im Hörsaal des Zoologischen Instituts am 4. Oktober 47 stattgefunden hatte, benutzte er, um in mir den Glauben zu erzeugen, ich sei einer Irreführung zum Opfer geafllen! Daraufhin habe ich mich nun entschlossen, die Sache der Süddeutschen Zeitung in München zur Publikation zu übergeben, denn wenn ich auch glaube, daß man kaum noch etwas Wirksames gegen den mächtig wiederaufkommenden Nationalismus tun j´kann, so will ich mir doch nicht einmal den Vorwurf machen müssen, das Wiederaufleben der nichtswürdigen Ideologie des dritten Reiches stillschweigend mitgeduldet zu haben. Mein Schreiben an den Kieler Rektor, in dem ich ihm Mitteilung davon mache, daß ich die Sache einschließlich der mir von ihm erteilten Auskunft der Öffentlichkeit zur Beurteilung übergeben würde, lege ich Ihnen ebenfalls zur Kenntnisnahme bei, bitte aber sehr um Rückgabe. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich heirzu äußern werden.
Außerdem habe ich Ihnen noch eine weitere - hoffentlich erfreulichere! - Lektüre in Gestalt meines schon länger angekündigten Erfahrungsberichtes über meine Rundtischgespräche zugedacht. Ich habe diesen Beicht kürzlich auf einer von mir einberufenen Tagung der niederbayrisch-oberpfälzischen Volksbildungsleiter vorgetragen, wo er zu einer kleinen Kontroverse zwischen dem als gast anwesenden Erlanger Universitätsrektor Brenner und mir bezüglich der von mir eingeschlagenen Methode führte. Ich möchte Ihnen jedoch nichts Näheres darüber verraten, ehe ich nicht Ihr Urteil über die Arbeit gehört habe, das ich mir ganz unvoreingenommen davon wünsche. Sie würden mir den größten Gefallen tun, wenn Sie sich bald einmal Zeit zur Lektüre der Arbeit nehmen und mir alsdann ein schonungsloses Urteil darüber abgeben würden, denn Ihre Stimme ist mir, wie Sie wissen, wertvoller als alle anderen.
Meine Frau war wieder in Leipzig zur Messe, hat aber diesmal ein schreckliches Pech gehabt: als sie mit unsäglicher Mühe, viel List und kostbarenZigaretten wieder eine ansehnliche Fracht (u.a. ein wunderbarer neuer Kleiderschrank, ein Sessel, ein Stuhl, ein Büffetschrank, ein Staubsauger, Geschirr und viele wertvolle Bücher!) für uns im Zuge untergebracht hatte, wurde der Packwagen an der Grenzstation Gutenfürst kurzerhand von den Russen abgehängt und ist bis heute (also nach einer Woche) noch nicht hier angekommen! Wahrscheinlich werden wir die Sachen, obwohl meine Frau eine Genehmigung des Leipziger Wohnungs. und Siedlungsamtes zu ihrem Abtransport erhalten hatte, auf Nimmerwiedersehen verloren geben müssen! Sicher können Sie ermessen, wie unglücklich und zerschlagen meine Frau nach diesem Erlebnis heimkam. In Leipzig hatte sie übrigens eine Begegnung mit Walter Steger, von dem sie den Eindruck erhielt, daß er durch seine Gefangenschaft menschlich sehr gereift ist. Er hat ihr viel Interessantes von sich und seiner Familie erzählt, war allerdings im Blick auf das Ganze völlig ohne Hoffnung und beurteilte von da aus auch meine Bemühungen als ziemlich fruchtlos. (Was sie wahrscheinlich ja auch sind!) Mir scheint nur, daß er in Gefahr ist, die Menschen nur noch aus der Perspektive zu sehen, wie er sie in der Gefangenschaft, d.h. doch also in einer recht verzwifelten Lage, erlebt hat. Über seine Zukunftspläne ist er sich noch nicht ganz klar, jedoch lehnte er den Gedanken an die akademische Laufbahn für sich ab, weil er sich zu alt dafür fühle. Ich meine, mit seiner Begabung müßte er es totzdem schaffen.
Morgen feiern wir die Eröffnung des dritten Lehrabschnittes. Die Fetsrede hält auf meine Einladung Alfred v. Martin über das Thema: "Ernst Jünger oder Der heroische Nihilismus und seine Überwindung". Das wird auf jeden Fall sehr interessant werden, wenn ich gewiß auch in vielem nicht gleicher Ansicht mit ihm sein kann.
Und wann kommen nun Sie zu uns, sehr verehrter Herr Professor? Hoffentlich können Sie über den Termin Ihrer Münchner Reise bald verfügen, denn wir würden uns so sehr über ein Wiedersehen mit Ihnen freuen, und es gäbe so unendlich viel zu besprechen!
Professor Kippenberg hat mir inzwischen auf meinen Wunsch ein sehr gutes Zeugnis über meine Tätigkeit im Insel-Verlag ausgestellt und darin den Wunsch ausgedrückt, mich wieder zu den Mitarbeitern des Insel Verlages zählen zu können. (..."indem wir hoffen, daß es nur ein vorläufiges (Abschlußzeugnis) ist, da wir sehr den Wunsch haben, ihn sobald die Verhältnisse es gestatten, wieder zu unseren Mitarbeitern zu zählen.") Ich denke, diese Anerkennung wird auch Ihnen Freude bereiten, nachdem Sie es ja waren, der mich seinerzeit in den Insel Verlag gebracht hat!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |