Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Schönen Dank für Ihren Brief vom 12.1.! Er enthält verschiedene Fragen, die beantwortet sein wollen.
Mit der Resonanz bei den Studenten bin ich durchaus zufrieden. Auch die sonstige Vortragstätigkeit ist gut in Gang gekommen. Trotzdem ist eins nicht zu verkennen. Die Gemüter sind hier, wenn es sich um die entscheidenden Fragen handelt, nicht so leidenschaftlich angespannt, wie ich das in Leipzig so oft beobachten konnte. Der Grund ist klar. Man fühlt sich nicht entfernt so auf Vorposten, wie das dort der Fall ist. Man hat nicht das Gefühl, den deutschen Geist verteidigen zu müssen. Und das läßt gleich die innere Spannung sinken. Die kleinen Sorgen des Tages nehmen viel mehr Raum ein. Vielfach fehlt überhaupt das Bewußtsein der in jeder Hinsicht krisenhaften Lage, in der sich das ganze Deutschland, ja das ganze Europa befindet. Man bewegt sich auf der Oberfläche der Dinge. Die dem Rheinländer eigentümliche Oberflächigkeit kommt noch hinzu. Ich brauche nicht zu sagen, daß die Bewegtheit der Ostzone zu teuer erkauft ist, als daß ich mich nach ihr zurücksehnen könnte. Es gibt da elektrische Ladungen, die töten können.
Von Hoffmeister habe ich immer einen sehr guten Eindruck gehabt. Ich halte es für ausgeschlossen, daß er kompromittierende Konzessionen gemacht hat. Übrigens ist er hier als Germanist habilitiert, meines Wissens sehr geschätzt. Als Philosoph hat er sich ohne Frage ausgewiesen.
Der Termin meiner Münchener Reise steht noch nicht fest. Seine Festlegung wird nicht leicht sein, da ich hier gleich für sehr Vieles eingespannt worden bin. Es wird Mühe kosten, am Eigenen weiter zu arbeiten. Auch der Haushalt nimmt mich bisweilen in Anspruch, da meine Frau immer noch keine Hilfe hat. Niemand will hier arbeiten. Einen Vortrag werde ich, wenn die Zeit dazu langt, sehr gerne halten.
Nun zu dem Kapitel Hegel. Wie hoch ich ihn als Denker schätze, wissen Sie. Die beiden großen Bücher von mir, die im Druck sind, werden das sehr deutlich bezeugen. Aber das mindert nicht meine Überzeugung, daß er mit bestimmten Teilen seiner Philosophie eine wahrhaft verhängnisvolle Wirkung ausgeübt hat. Das Buch von Heller über Hegel und den Machtstaatgedanken hat doch wohl im Wesentlichen das Richtige gesehen. Daß Hegel die "Moralität" derartig zum "Moment" herabsetzt, wie es in seinem System geschieht, das scheint mir gerade die gefährliche Losbindung des politischen Willens mitverschuldet zu haben. Übrigens hat nach meiner Erinnerung schon Lasson dieses Gebrechen des systematischen Aufbaus nachdrücklich hervorgehoben. Das Streben, den weltgeschichtlichen Prozeß als ganzen zu logisieren, als Weg der "Vernunft" zu erweisen, führt eben im Bereich des Menschlichen zu einer höchst unbegründeten Theodizee des staatlich-geschichtlichen Geschehens. Daß es darum nicht angeht, Hegel einfach als Vorläufer Hitlers anzuprangern, darüber sind wir uns einig. Speziell die Schimpfkanonade Hillers ist ja in allen Teilen zu abstoßend, als daß sie überhaupt ernst genommen werden könnte. Hübsch, wenn solche Pamphletisten sich als Wegweiser in eine besser Zukunft ("Logokratie"!) offerieren. Wie schön wäre es, wenn wir uns über dies alles einmal gründlich aussprechen könnten, und wenn dann meine beiden Bücher mit herangezogen werden könnten! Die Schrift über das geschichtliche Denken muß in diesen Wochen zur Versendung gelangen.
Ihr Zeitungsaufsatz bringt übrigens unser gemeinsames Thema in glücklichster Form zur Darstellung. Ich empfehle Ihnen die einschlägigen Gedanken Pascals - wahrscheinlich werden Sie sie schon kennen! Ich ziehe ihn dem heute so viel genannten Kierkegaard noch vor. Großartig zum Beispiel das Fragment über das "denkende Rohr".
Hier gibt es übrigens auch eine Volkshochschule, die gut im Zuge zu sein scheint und wohl einen ähnlichen Kurs steuert wie die von Ihnen verwaltete.
Jónasson ist erst nach Leipzig gekommen, als ich schon über alle Berge war. Sehr schade! Es wäre bestimmt lehrreich gewesen, die jetzige deutsche Lage einmal mit seinen Augen zu sehen.
Seien Sie mit Ihren Lieben von uns dreien herzlich gegrüßt!
Ihr
gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Bonn |