Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0536
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Eichhofen) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4 + 1 Blatt A5
Zeitvon1948
Zeitbis1948
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Schönsten Dank für Ihren eingehenden Brief, den wir als erste nähere Darstellung Ihrer neuen Lebensverhältnisse mit ebensolcher Spannung erwartet wie mit teilnehmenden Interesse gelesen haben! Die Schilderung Ihrer neuen Situation entsprach ganz dem Bilde, das ich mir aus meiner hiesigen sehr ähnlichen Lage davon gemacht hatte. Ja, Sie haben zweifellos Recht: je deutlicher und entschiedener Sie in Bonn mit Ihrer eigenen Auffassung der Dinge herausrücken werden - und wie ich Sie kenne, wird das nicht lange auf sich warten lassen! -, werden Sie sich auch dort in neue Schwierigkeiten verwickelt sehen. Aber das Trostvolle daranist doch, daß Sie bei der Jugend, wie ich zuversichtlich hoffe, noch am ehesten Verständnis für Ihre Sicht finden werden, denn diese ist in ihren geistig lebendigen Teilen der älteren Generation in der Erkenntnis der Notwendigkeiten weitaus überlegen, und ihre politische Zurückhaltung beruht m.E. vor allen darauf, daß sie das Spiel der Älteren, als ob sich seit 1933 nichts verändert hätte, nicht mitmachen will. So bin ich auch fest überzeugt davon, daß Sie sich auch in Bonn sehr bald wieder eine feste "Gemeinde" unter Ihren Hörern erwerben werden. Allerdings ist ja gerade Ihr Fach in Bonn, wenn ich recht unterrichtet bin, sehr gut besetzt, wirken doch neben Ihnen noch vier andere Gelehrte in der Philosophie: Behn, Rothacker, Aloys Müller und Hoffmeister. An den letzten hatte ich ja, wie Sie wohl wissen, als Mitherausgeber des neuen "Logos" gedacht, aber seitdem ich durch einen anderen Kroner-Schüler, den protestantischen Schriftsteller Heinz Flügel, gehört habe, daß Hoffmeister zur Zeit der Frankreich-Besetzung an der Sorbonne als Austauschprofessor "eingesetzt" war, sind mir doch Zweifel gekommen, ob er der richtige Mann dafür sein, denn sicherlich wird er von daher den Franzosen wohl kaum in angenehmer Erinnerung sein, selbst wenn er seine Aufgabe damals nicht im Sinne seiner Auftraggeber, sondern sachlich wahrgenommen hätte. Ich wäre Ihnen daher auch sehr dankbar, hochverehrter Herr Professor, wenn Sie mir gelegentlich einmal mitteilten, was für einen Eindruck Sie von ihm und seiner Tätigkeit haben. Der Logosplan ist nämlich noch keineswegs aufgegeben, sondern nur auf mein Anraten auf eine Zeit größerer politischer Klärung verschoben worden. Doch verzeihen Sie, ich bin von Ihrem Brief abgekommen. Eines daran hat uns, wie Sie sich denken können, besonders erfreut: die Ankündigung Ihres Besuches im Frühjahr! Wie sehr besonders ich mich auf dieses Wiedersehen und die damit verbundene, längst ersehnte Gelegenheit zu ausgiebigerer Aussprache freue, brauche ich wohl nicht zu betonen. In den Briefen kann man ja leider die vielen einen auf der Seele liegenden Themen bestenfalls nur anschlagen, niemals aber in ausreichender Weise austragen. Und wieviel Persönliches gibt es doch daneben noch zu erfragen und zu berichten! Kurz und gut, ich sehe Ihrem Kommen mit Ungeduld entgegen und verspreche mir großen Gewinn davon! Bitte schreiben Sie uns doch auch den voraussichtlichen Termin so bald wie möglich, damit wir uns in Eichhofen darauf einrichten und Ihnen alles so behaglich wie möglich machen können! Auch aus einem anderen Grunde wäre ich sehr interessiert daran - und dies bitte ich Sie meiner Eigenschaft als Kulturreferent zugute zu halten -: ich dächte es mir nämlich besonders schön, wenn wir mit Ihrem Besuch gleichzeitg einen Vortrag von Ihnen in Regensburg vor der Volkshochschule oder der Literarischen Gesellschaft verbinden könnten! Was meinen Sie dazu? Für Sie wäre das freilich eine zusätzliche Anstrengung, aber Sie werden sicher verstehen, daß ich die Gelegenheit, Sie wieder einmal dozieren zu hören, nicht ungenutzt vorübergehen lassen möchte, und gerade hier in Regensburg wäre uns ein "frischer Wind" so sehr vonnöten" Wie groß der Hörerkreis sein würde, kann ich natürlich nicht genau im voraus einschätzen, weil das von mehreren nicht voraussehbaren Umständen mitabhängt, aber das Honorar würde der Abend auf jeden Fall tragen. Nun muß ich Ihnen aber vor allem noch für etwas meinen herzlichsten Dank abstatten, was wenige Tage nach Ihrem Brief bei mir eintraf: Ihre Broschüre "Staatsgewalt und Sittlichkeit"! Wie intensiv mich gerade dieses Thema seit langem beschäftigt, ist Ihnen ja bekannt, und so werden Sie es auch verstehen, wie dankbar ich für die Anregungen durch Ihre Schrift war. Ich habe das Büchlein denn auch gleich in einem Zuge gelesen und mich an der Klarheit seiner Diktion und Gedankenführung sehr erquickt. Als sein besonderer Vorzug erscheint mir Ihre gegen frühere Schriften noch gesteigerte Fähigkeit, auch verhältnismäßig abstrakte, erkenntnistheoretische Gedankengänge auf eine Art darzustellen, die sie auch dem philosophisch nicht geschulten Denken eingängig machen muß. Die "Methodische Vorbetrachtung" ist ein Musterbeispiel dafür. Da man sich als Philosoph mit solchen Thesen ja auch keineswegs nur an bestimmte Fachkreise, sondern bewußt an eine breitere Öffentlichkeit wendet, dünkt mich dies auch der einzig richtige Weg, ja, ich glaube sogar, wenn Sie mir dies zu bemerken gestatten, daß Sie darin noch einen Schritt weiter hätten gehen und Ihre Ausführungen in den folgenden Kapiteln hie und da durch weitere Beispiele noch anschaulicher und faßlicher für das "naive Denken" hätten gestalten können. Aber das ist natürlich nur eine didaktische Frage. Inhaltlich stimme ich mit dem von Ihnen Dargelegten vollkommen überein. Besonders interessant war mir in diesem Zusammenhang Ihre Interpretation, die einer heute von vielen Seiten an dem Philosophen geübten Kritik ja sehr entgegenkommt. Tatsächlich kann man ja nun auch seine Geschichtsmetaphysik kaum anders als die philosophische Bestätigung der naiven Überzeugung "Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" auslegen, und zwar in dem Sinne, daß im Politischen allein der Erfolg maßgebend für die Beurteilung sei. Indessen werden Sie mir doch gewiß darin zustimmen, daß eine auf Nuancierungen bedachte Darstellung Hegels - die Sie natürlich in dem Zusammenhang dieser Schrift weder geben konnten, noch wollten - hervorheben müßte, daß die Moralität in seinen Systems eine bestimmte Stelle einnimmt, d.h. im Gegesatz zu der sog. Sittlichkeit, die sich in Übereinstimmung mit den Forderungen der objektiven Notwendigkeit befindet, in der Sphäre der bloßen Subjektivität, des bloßen Meinens befangen bleibt. Diejenigen Kritiker Hegels, die ihn wie Alfred v. Martin als "Wegbereiter Hitlers" oder wie der abstrakte Moralist Kurt Miller gar als reinen "Immoralisten", kompletten "Nihilisten" und "den Kriminellen" unter den Philosophen darstellen, machen sich die Sache denn doch entschieden zu leicht. Sie übersehen nämlich, daß Hegel im Gegensatz zu seinen Vorgängern, und speziell zu Kant, einen sehr klaren Blick für die besondere - auch von Ihnen im Verlaufe Ihrer Schrift aufs eindringlichste analysierte - Problematik des Politischen und des Staates gehabt hat, indem er die Übertragung von Maßstäben auf das Politische die seiner Wirklichkeit nicht entsprechen, als unzulässig nachgewiesen hat. Und wie wenig es in der Politik allein auf den "guten Willen" gegenüber dem tatsächlichen Erfolg ankommt, das hat ja die jüngste Vergangenheit an einer Gestalt wie der Chamberlains beispielsweise zu Genüge bewiesen. Kurz und schlicht gesagt: ich wehre mich einfach dagegen, daß man die Ursprünge des geistverlassenen und verantwortungslosen Gewaltpolitik eines Hitler in den "Idealismus" verlegt, von dessen wahrer Gesinnung man sich ja nicht erst seit heute längst entfernt hatte. Worauf ich mit diesen ganz aus dem Stehgreif stammenden und recht summarischen Andeutungen abziele, wird Ihnen sicherlich ganz deutlich sein. Ganz in Ihrem Sinne schwebt mir dabei weder eine von moralischen Wertungen gänzlich absehende politische Erfolgsethik, noch eine bloß abstrakte, moralistische Gesinnungsethik vor. In der dialektischen Vereinigung beider Motive liegt allein das Heil, und das hat uns trotz seiner abzulehnenden Geschichtsmetaphysik eben doch gerade niemand so wie Hegel zu erkennen gelehrt. Ihre Kritik an der Hegelschen Geschichtsmetaphysik war richtig und notwendig, ich hätte sie mir nur - mit Respekt gesagt - durch ein erläuterndes Wort in der angedeuteten Richtung ergänzt gewünscht. Jedenfalls freue ich mich außerordentlich darauf, gerade dieses Thema noch eingehender mit Ihnen besprechen zu können. Um übrigens nochmals auf Ihre Schrift zurückzukommen, so finde ich es besonders geglückt an ihr, wie sie durchgängig auf dem Motiv der "Amnivalenz" der Freiheit aufgebaut ist. Wie ich selbst den gleichen Gedanken einmal in populärer, dem Niveau des Zeitungslesers angepaßter Form Ausdruck zu geben versuchte, möge Ihnen der beiliegende kleine Aufsatz vom November 46 zeigen. In den nächsten Tagen will ich versuchen, meine bei den politischen Rundtischgesprächen gemachten Erfahrungen in Form eines Artikels zu fixieren. Vorher mache ich allerdings noch eine kleine Reise in die britische Zone (Bremen, Hamburg und Kile), wo ich Verwandte und Freunde besuchen möchte. Seit gestern habe ich nämlich einen mir zustehenden Resturlaub von 14 Tagen angetreten. Auf meiner Reise hoffe ich, interessante Eindrücke vom gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Zustand Deutschlands sammeln zu können. An der letzten politischen Entwicklung erscheint mir soviel erfreulich, daß die deutschen Politiker auch des Südens trotz ihrer foederalistischen Einstellung doch ziemlich einmütig es abgelehnt haben, die Verantwortung für die Uneinigkeit der Alliierten zu übernehmen und einer Teilung Deutschlands zuzustimmen. Da scheint sich doch endlich einmal so etwas wie eine gesamtdeutsche Verantwortung geregt zu haben! Von Stegers Entlassung werden Sie gewiß mit ebensolcher Freude wie wir vernommen haben. Ich erhielt die Nachricht kurz vor Weihnachten noch aus Frankreich von ihm und habe ihm daraufhin sofort nach Grimma geschrieben, aber noch keine Antwort von dort von ihm erhalten. Übrigens schrieb Steger mir, daß Jónasson vor einigen Wochen seine Frau in Grimma besucht habe. Da ist er doch zweifellos auch bei Ihnen gewesen, oder hat er Sie etwa nicht mehr in Leipzig angetroffen? Damit ist im wesentlichen alles gesagt, was mir heute auf der Seele lag. Abschließend möchte ich Sie aber nochmals herzlichst nitten, doch ja Ihren in Aussicht gestellten Besuch zu verwirklichen und uns den voraussichtlichen termin baldmöglichst mitzuteilen! Mit den herzlichsten Wünschen und Grüßen, auch an Ihre sehr verehrte Frau Gemahlin! Ihre dankbar ergebenen; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen