Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Lassen Sie mich Ihnen zu den bevorstehenden Weihnachtsfeiertagen, und insbesondere zu Ihrem darauffolgenden Geburtstag meine besten und aufrichtigsten Wünsche aussprechen! Wenn die Zeit auch im allgemeinen nur wenig Anlaß zum Feiern und zur Freude bietet, so hoffe ich doch sehr, daß, das Gefühl den bedrückenden Verhältnissen in der russischen Zone glücklich entronnen zu sein, einen gewissen Ausgleich dafür schaffen wird. Möge es Ihnen vor allem vergönnt sein, an Ihrer neuen Wirkungsstätte noch viele Jahre in Gesundheit und geistiger Frische zu lehren: das ist mein innigster Wunsch für Sie! Wir freuten uns so sehr, aus Ihrer letzten Nachricht zu ersehen, daß Sie inzwischen bereits eine passable Wohnung in Bonn gefunden haben: unter den gegenwärtigen Umständen ein ganz besonderer Glücksfall! Hoffentlich werden Sie nun auch unter Ihren rheinischen Landsleuten recht bald wieder heimisch werden! Ich könnte mir denken, daß das gar nicht so einfach und selbstverständlich ist, wie das wohl manchem erscheinen mag, denn Leipzig war Ihnen in den vielen Jahren Ihres Wirkens doch sehr ans Herz gewachsen, und die geistige Regsamkeit der dortigen Studentenschaft sagte Ihnen doch sehr zu. Auch das allgemeine geistige Klima in Leipzig war gewiß freier und urbaner als in Bonn. Aber all das gilt ja nur für die Zeiten, ehe der Naziwahn und dann die Russenherrschaft begann, und gehört jetzt ohnehin der Vergangenheit an. Bei den augenblicklich dort herrschenden Zuständen mußte das Dasein in Leipzig für einen Gelehrten Ihrer Haltung und Geistesart zur unerträglichen seelischen Belastung werden, wenn es nicht noch sogar zu etwas Schlimmeren für Sie geführt hätte! Denn schweigend und untätig der zunehmenden physischen und geistigen Vergewaltigung zuzusehen, hätten Sie ja doch niemals über sich gebracht! Auch die jüngste Entwicklung mit dem ergebnislosen Abbruch der Londoner Konferenz bestätigt noch einmal die Richtigkeit Ihres Entschlusses. Alles deutet daraufhin, daß die gegenwärtige Trennung Deutschlands in zwei feindliche und wesensfremde Hälften noch für lange Zeit unser Schicksal bestimmen wird, wenn nicht durch eine neue Gewaltlösung eine andere Lage geschaffen wird.
Daß Ihre Sachen auf dem Transport von einem so bedauernswerten Mißgeschick betroffen wurden, tut uns beiden, besonders im Hinblick auf Ihre verehrte Frau Gemahlin, die davon gewiß am meisten belastet wird, sehr leid. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen muß man es ja noch als besonderen Glücksfall bezeichnen, daß Sie überhaupt etwas davon mit in die britische Zone hinüberretten konnten! (Wir haben die Hoffnung, unser restliches Inventar aus Leipzig, d.h. die weitaus größte Mehrzahl unserer Möbel usw., noch hierher zu bekommen, so ziemlich aufgegeben). Hoffentlich haben wenigstens Ihre Bücher keinen Brandschaden erlitten? Ich bin sehr gespannt auf Ihren ersten etwas eingehenderen Bericht aus Bonn! Lesen Sie schon, und was haben Sie für eine Hörerschaft? Ich habe doch den Eindruck, daß ein großer Teil der heute Studierenden nicht aus wirklicher innerer Berufung zur Universität gekommen ist, sondern vielfach aus rein äußeren Gründen, und ich sehe schon die Zeit kommen, da wir wieder ein akademisches Proletariat größten Ausmaßes herumlaufen haben. Mir scheint es daher auch dringend notwendig, den Zudrang zu den Universitäten durch schärfste Begabtenauslese abzubremsen, wenn daraus nicht ein neuer gefährlicher Unruheherd erwachsen soll. Auf jeden Fall bin ich entschieden gegen jede Neuerrichtung von Universitäten, die in krassem Widerspruch zu unseren tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen und unseren künftigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten steht. Augenblicklich plant man, hier in Regensburg eine vierte Landesuniversität zu errichten, und ein diesbezüglicher Antrag wurde auch bereits im bayrischen Landtag angenommen. So sehr ich das natürlich auch im interesse eines kulturellen Aufschwungs von Regensbugr begrüßen würde, kann ich diesen Plan aus den angedeuteten Erwägungen heraus nur als absurd bezeichnen. Zumal, wenn man bedenkt, daß doch zwei von den bestehenden bayrischen Universitäten, nämlich München und Würzburg fast vollständig zerstört sind und erst wieder aufgebaut werden müssen! Ist es nicht grotesk, wie wenig Blick für die Realitäten wir Deutschen auch in unserer jetzigen Lage wieder beweisen. Seit der Mitlerei scheint es unserem Volke zur Lebensnotwendigkeit geworden zu sein, fortdauernd an Wunder zu glauben. Die Alternative bei uns liegt zwischen völliger Verzwifelung und illusionärem Wunderglauben.
Von uns ist nichts wesentlich Neues zu berichten. Ich gehe nach wie vor ganz in meiner Volksbildungarbeit auf. Äußere Lorbeeren sind dabei natürlich kaum zu erringen, und je länger ich in dieser Arbeit stehe, destso klarer wird mir auch ihre grundsätzliche wie ihre gegenwartsbedingte Problematik. Aber abgesehen davon, daß ich im Augenblick auch gar keine andere Wahl habe, habe ich doch zu tief die wirkliche Aufgabe erkannt, die wir auf diesem Gebiet zu erfüllen haben, als daß ich mich ihr leichten Herzens wieder entziehen könnte. Manchmal kann ich mich jedoch kaum noch des Gefühls erwehren, hier auf verlorenem Posten zu stehen, denn die Unduldsamkeit und bajuwarische Engstirnigkeit der von dem Minister Hundhammer betriebenen Kulturpolitik droht hierzulande alles gegengewicht niederzuwalzen. Die Reaktion darauf ist zwar unvermeidlich, wird aber vermutlich dann auch keineswegs in den von uns gewünschten Formen und Geist erfolgen. Was aber speziell die politische Aufklärungsarbeit und heillose Verfahrenheit unserer gegenwärtigen Situation, die den Willen lähmt. Wie soll der, der keine Zukunft vor sich sieht, die Bereitschaft aufbringen, aus seiner Vergangenheit zu lernen!
Meine Frau gibt noch immer zweimal in der Woche Unterricht an der Dolmetscherschule in Regensburg, obwohl eine materielle Notwendigkeit bei unseren augenblicklichen Verhältnissen dazu kaum mehr besteht. Sie fürchtet jedoch, daß wir nach der Währungsreform in Schwierigkeiten kommen könnten, und möchte daher diese Tätigkeit noch nicht aufgeben, trotzdem sie sehr an ihren Kräften zehrt. Mir ist das gar nicht recht, denn ihre häufigen Erschöpfungszustände bereiten mir große Sorge. Beate bereitet uns viel Freude und hat jetzt auch an der Schule viel merh Gefallen wie früher. Beängstigend an ihr ist allerdings mitunter ihre für ein Einzelkind typische Frühreife. Die Engigkeit der heutigen Wohnraumverhältnisse muß sich ja auch in vieler Hinsicht verhängnisvoll auf die Erziehung der Kinder auswirken. Sie sehen, hören und erleben auf diese Weise viel zu viel, als ihnen für ihre Entwicklung dienlich ist.
Haben Ihnen Professor Kroner und Professor Lersch schon einmal geschrieben? Letztem habe ich auf seinen ausdrücklichen Wunsch Ihre neue Anschrift mitgeteilt. Wir haben mit ihm und seiner sehr charmanten und klugen Gattin im Herbst einige sehr anregende Stunden verbracht, als er hier in Regensburg zur Eröffnung des 2ten Lehrabschnittes unserer Volkshochschule einen sehr schönen Vortrag über das "Problem der Vermassung" hielt. Seine Stärke liegt genau wie in bescheiderem Maße bei mir weniger im originalen Denken, als im synthetischen Verbinden der innerlich zusammengehörigen Zeitmotive. Daß Ihre Berufung nach München nicht geglückt war, bedauerte er aufrichtig. Vom Philosophenkongreß in Garmisch, den Hartmann mit seiner "Kategorialanalyse" zu beherrschen versucht hatte, erzählte er manches Interessante. Fälle wie Schingnitz werden übrigens jetzt an den Universitäten so zahlreich, daß mir ein Protest dagegen bald notwendig zu sein scheint. Das Traurige ist nur, daß man nicht weiß, wo man anfangen und wo man aufhören soll, wie ja überhaupt die ganze "Entnazifizierung" mittlerweile zur reinsten Farce, von der nur noch die Unrichtigen betroffen werden, geworden ist.
Nochmals wünschen wir Ihnen, hochverehrter Herr Professor, alles Herzliche zum neuen Lebensjahr und hoffen sehr, daß Sie Ihre verehrte Frau Gemahlin und Ihr lieber Sohn ein recht schönes Fest im neuen Heim feiern können. Meine Frau will Ihrer Frau Gemahlin in den Weihnachtstagen einen Brief schreiben.
In alter Treue, Dankbarkeit und Ergebenheit!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |