Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunsbehrens!
Schönen Dank für Ihren Brief vom 7.6. Für Zeitmangel habe ich schon deshalb viel Verständnis, weil ich selbst auch unter ihm mehr denn je leide. Es wirkt alles zusammen, um einem jede Ruhe und Sammlung zu nehmen. Und ich fürchte, Menschen meines Alters werden einen anderen Zustand überhaupt nicht mehr erleben. - Vermutlich haben Sie Nachricht bekommen, daß Frau Kippenberg vor kurzem gestorben ist. Sie hat noch eine schwere Leidenszeit gehabt - sie, der Krankheit und Tod immer etwas unausdenkbar Schreckliches gewesen ist. Zwischen den beiden Ehegatten ist es in den letzten Lebensjahren noch zu einem relativ guten Einvernehmen gekommen, nachdem sie sich vorher das Leben gegenseitig nicht zur Wonne gemacht haben. Er fühlt sich jetzt in Marburg sehr vereinsamt und denkt an die Möglichkeit, nach Leipzig zurückkehren.
Sehr interessiert haben uns Ihre Nachrichten über Carossa. Ihre Beurteilung trifft bestimmt das Richtige. Es bleibt das nicht wegzunehmende verdienst von Wiechert, daß er mutig bekannt und die Verfolgungen der Gewalt ertragen hat.
Mit Ihren Vorträgen haben Sie ja nun eine recht interessante und offenbar auch lohnende Beschäftigung. Ich kann auch nur immer wieder feststellen - einerseits in Leipzig und Berlin, andererseits in den sächsischen Mittelstädten - daß die Teilnahme für die uns beschäftigenden Themata sehr groß ist. Einen Gipfel in dieser Hinsicht gab es jüngst in einem widerholt aufgeschobenen Vortrag über das Thema "Staatsgewalt und Sittlichkeit", bei dem die 2000 Personen fassende wiederhergestellte "Kongreßhalle" vollkommen gefüllt war. Zumal die Studentenschaft ist in dieser Richtung aufnahmewillig wie nie. Trotzdem bleibt nach allem doch das bedrückende Gefühl: was wird durch alle wohlgemeinten Reden an dem Lauf der Dinge geändert? Sie urteilen ja offenbar in dieser Hinsicht nicht einen Deut günstiger als ich.
Das Buch von Gerhard Lehmann kenne ich, auch die so wohlwollend mit mir verfahrenden Partien. Derselbe Lehmann hat Spranger im Völkischen Beobachter ebenso gehässig angegriffen. Der Fall ist, wie Sie richtig sehen, deshalb besonders interessant, weil es sich ohne Frage um einen in philosophischen Dingen urteilsfähigen Menschen handelt. Er hat sich völlig der Richtung Bäumler verschrieben, weil das damals aussichtsvoll war.
Ja, der Existentialismus! Ich gestehe, daß ich manches von dem, was Heidegger schreibt, einfach nicht verstehe. Kennen Sie sein Schrift über die "Wahrheit"? Wenn jemand in aller Form die Logik verabschiedet, dann entfällt für mich jede Möglichkeit einer Diskussion, denn wie soll ich dann mit dem, was er sagt, einen eindeutigen Sinn verbinden? Aber viele Köpfe sind offenbar völlig fasziniert davon.
Sie fragen nach meinen Manuskripten. "Staatsgewalt und Sittlichkeit" ist bei Reinhardt fertig gesetzt. "Mensch und Welt" hat derselbe Verlag zu setzen begonnen. "Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens" soll bei Piper herauskommen. "Sein und Denken" bei Hirzel in Stuttgart. Kleinere Sachen in Wiesbaden. Überall verzögert sich die Sache natürlich sehr durch den Papiermangel.
Das Buch von Joel finde ich in vielen Einzelheiten geistvoll und anregend, in der Gesamtkonzeption nicht überzeugend. Das Schema ist zu einfach.
Steger schrieb kürzlich aus der Gefangenschaft recht deprimiert, weil seine Hoffnung sich wieder einmal zerschlagen haben. Wenn er zurückkommt, hoffe ich außerhalb dieser Zone etwas für ihn tun zu können. Hier ist alles verbaut.
Meine eigenen Pläne entwickeln sich in der angedeuteten Richtung weiter. Freilich sind noch einige Berge zu überwinden. Für alles dies bin ich eigentlich zu alt. Durch die Vorbereitungen sind die Pläne mit Garmisch wieder fraglich geworden. Schade!
Meine Frau fängt jetzt wieder an, den Arm zu benutzen. Es ist das eine recht schmerzhafte Sache. Unser Junge hat sich bei einemunglücklichen Fall eine üble Knieverletzung zugezogen und muß längere Zeit liegen. Das kommt natürlich im ungelegensten Augenblick. Übrigens kam von Jónasson ein wunderbares Paket mit eßbaren Dingen. Es ist wirklich erstaunlich, was in dieser Hinsicht an Hilfeleistung zustande kommt. Sie werden es in Ihrer Zone noch stärker verspüren. Welche unsagbare Wohltat ist jetzt schon eine Tasse Bohnenkaffee!
Habe ich Ihnen eigentlich geschrieben, daß Reble jetzt ao. Professor der Pädagogik in Halle ist? Hoffentlich kann er sich in dieser Richtung weiter entwickeln.
Schreiben Sie bitte das nächste Mal ein Wort über das Ergehen von Beate! Die Mitteilungen Ihrer lieben Frau haben uns besorgt gemacht.
Wursteln wir also munter weiter! Seien Sie alle drei herzlich gegrüßt von den drei
gez. Littern; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |