Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0529
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Eichhofen) an: Litt
Enthältms; Brief 2 Blatt A4 - Durchschlag
Zeitvon1947
Zeitbis1947
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Es ist lange her, seit ich Ihnen zum letzten Mal schrieb, un noch immer bin ich Ihnen den Dank schuldig für den freundlichen Brief, den Sie mir nach Abschluß Ihrer Düsseldorfer Reise zukommen ließen. Aber ich brauche Ihnen gewiß nicht mit wortreichen Entschuldigungen zu kommen, denn Sie werden den Grund meines Schweigens sicherlich schon richtig in meiner Arbeitsüberlastung vermutet haben. Tatsächlich bin ich in den letzten Wochen durch die vielen, z.T. recht fremdartigen Aufgaben, die ich täglich zu bewältigen hatte, kaum zu mir selbst gekommen. Außer den üblichen Verwaltungsgeschäften in meinem Amt hatte ich nicht nur beinah jede Woche einen oder zwei Vorträge zu halten, sondern vor allem auch die ganze Last der Geschäftsführung unserer Volkshochschule zu tragen, d.h. einen steten, oft zermürbenden Kleinkampf um die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes zu führen. Bei einer Schule, die keinerlei amtlichen Charakter hat, sondern einzig und allein auf dem guten Willen und der freiwilligen Mitarbeit ihrer Dozenten und Hörer aufgebaut ist, war das wahrlich keine Kleinigkeit, und ich bin recht froh, daß jetzt eine kleine Sommerpause eingeschoben worden ist. Wenn Sie mich nun fragen, ob ich volle Befriedigung in meiner Arbeit fände, so läßt sich diese Frage nicht mit einem uneingeschränkten Ja beantworten. Die Gefahr der Verbreitung einer bloßen Halbbildung liegt bei jeder Volkshochschularbeit doch immer sehr nahe, und das betrifft natürlich ganz besonders die Philosophie, die sich nicht "populär" machen läßt, ohne damit ihren wissenschaftlichen Gehalt einzubüßen. Auf der anderen Seite bin ich aber doch fest von der Notwendigkeit einer richtigen Volksbildungsarbeit überzeugt, daß ich mich dieser Aufgabe, auch dann, wenn sie mich nicht voll befriedigt und ich dabei zuweilen das Gefühl einer wahren Sisyphusarbeit habe, nicht entziehen kann. Denn die Schicksalsfrage, von der Aufstieg oder Niedergang unseres Volkes abhängt, ist doch die, ob es gelingt, unser Volk aus einer amorphen allen demagogischen Verführungskünsten wehrlos preisgegebenen Masse individualitätsloser Herdenmenschen in eine Gemeinschaft selbständig denkender und urteilender Individuen zu verwandeln, denen nichts teurer ist, als die Freiheit ihres Denkens und ihres Gewissens. Eine solche Umwandlung aber kann, wenn überhaupt, nur durch einen langsamen und geduldigen Aufbau von unten geleistet werden. Der von Monat zu Monat immer unaufhaltsamer bergab führende Gang der Dinge macht es einem freilich täglich schwerer, noch irgendeinen positiven Sinn mit seinem Tun zu verbinden. Sicherlich gibt es im einzelnen mancherlei hoffnungsvolle Ansätze eines wirklich ehrlichen Wiederaufbauwillens festzustellen, aber wie lange wird es noch dauern, bis auch diese durch die Trägheit und den Unverstand der Mitwelt, wie durch die mangelnde Einsicht der über uns bestimmenden Siegermächte erstickt sind? Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse wagt man kaum noch, Worte wie "Demokratie", "Humanität" u.ä. in den Mund zu nehmen. Gegen die illusionslose Sprache der handgreiflichen Wirklichkeit kommt man mit solchen Begriffen und Vorstellungen einfach nicht mehr an. Aber solche und ähnliche Reflexionen werden Ihnen selbst vermutlich schon genug zu schaffen machen, und so will ich lieber von erfreulicheren Dingen zu erzählen versuchen. Da ist zunächst von meinem kürzlichen Zusammentreffen mit Hans Carossa zu berichten. Nach mehrfachen Briefwechsel war es Mitte vergangenen Monats gelungen, ihn für zwei Leseabende nach Regensburg zu bekommen. Bei dieser Gelegenheit war ich zweimal des längeren mit dem Dichter beisammen, einmal bei der Mittagstafel im Ratskeller und dann nach seiner Lesung im Hause eines amerikanischen Offiziers, mit dem wir, d.h. meine Frau und ich, freundschaftlichen Verkehr pflegen. Das erste Zusammensein war offengestanden eine ziemliche Enttäuschung für mich, denn lange wollte das Gespräch nicht die rechte Tiefenlotung bekommen, und als dann die Rede auf Ernst Wiechert kam, konnte die Art, mit der Carossa sich über den Mitstrebenden aussprach, mir absolut nicht gefallen. Zwar kennzeichnete er ihn als übersensiblen Stimmungsmenschen im allgemeinen sicherlich richtig, aber die herabsetzende Weise, mit der er sich über Wiecherts Haltung in der Nazizeit ausließ, erweckte geradezu den peinlichen Eindruck eines Selbstrechtfertigungsversuches und war seiner entschieden nicht würdig. Als er sich in diesem Zusammenhang sogar noch zu der Behauptung verstieg, Männer wie Wiechert und Niemöller hätten durch ihre Haltung an dem Gang der Dinge ja doch nichts geändert und nichts ändern können, konnte ich mich nicht enthalten, hiergegen höflich, aber bestimmt einzuwenden, daß es auch Menschen geben müsse, die zur rechten Zeit ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen ein entschlossenes "Nein" zu sprechen wagten. Damit war unserem Gespräch begreiflicherweise die natürliche Ungezwungenheit genommen, und ich sah dem Abend, an dem ich Carossa zudem noch öffentlich begrüßen sollte, mit ziemlich gemischten Gefühlen entgegen. Glücklicherweise tilgte der schlichte und schöne Vortrag seiner Dichtungen dann aber den peinlichen Eindruck des Mittagsgesprächs wieder, und vollends söhnte mich das daran anschließende Beisammensein zu Fünfen bei unserem amerikanischen Bekannten wieder ganz mit dem Dichter aus. Hier gab es nun wirklich keinen störenden Mißklang mehr, das Gespräch bewegte sich, gewürzt von Kaffee, guten Speisen und Zigaretten, im wesentlichen in rein literarischen Bahnen, und wir hatten dabei Gelegenheit uns nicht nur an der reifen Menschlichkeit des Dichters, sondern auch an dem Takt, der natürlichen Sicherheit und gediegenen Bildung unseres Gastgebers zu erfreuen. Zum Abschluß des harmonischen Abends überreichte dieser Carossa zum Andenken noch ein Fläschchen Wein, das der Dichter mit dem humorvollen Bemerken, es werde sich gut mit seinen Gedichten vertragen, beglückt zu seinen Manuskripten in seine Aktentasche steckte. Als wir uns verabschiedeten, versprach mir Carossa, im Herbst wieder nach Regensburg zu kommen und dann Quartier in Eichhofen bei uns zu nehmen. Von meiner eigenen Arbeit will ich nur noch eine interessante Einzelheit erwähnen. Jüngst hielt ich im Regensburger Internierungs- und Arbeitslager vor 800 Nazi-Aktivisten einen geschichtsphilosophischen Vortrag, in dem ich eine Darstellung und Kritik der hauptsächlichsten Geschichtstheorien der Neuzeit gab und die beiden Grundtypen der naturalistischen und idealistischen Geschichtsbetrachtung einander scharf gegenüberstellte. Obwohl ich in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch die Rassenlehre einer vernichtenden Kritik unterzog, habe ich doch nie ein aufmerksameres und beifallfreudigeres Publikum als hier im Lager gehabt. Man sieht daraus, daß man hier durch eine richtige, systematische Erziehungsarbeit wahrscheinlich ganz hübsche Erfolge erzielen könnte. Am 20. Juni halte ich in der hiesigen Literarischen Gesellschaft einen Vortrag über den Existentialismus, wobei ich versuchen werde, die berechtigten Motive und Anliegen dieser geistigen Bewegung von ihren nihilistischen Tendenzen und Gefahren möglichst klar abzugrenzen. Der Existentialismus ist ja mittlerweile, wie vorauszusehen war, zu einer ausgesprochenen Modeströmung geworden, und man hat nicht unwitzig gesagt, daß er die zweite unblutige Invasion Frankreichs darstelle. Kürzlich fiel mir ein 1943 bei Kröner erschienenes Buch von Gerhard Lehmann "Die deutsche Philosophie der Gegenwart" in die Hände,in dem der Autor auch auf Ihre Schriften ziemlich ausführlich eingeht. Man kann an diesem Buch beobachten, wie ein an sich begabter junger Denker durch die Anpassung an die damals herrschenden politischen Tendenzen flach und unwahr wird. Die sachliche Wiedergabe der Hauptgedanken der von ihm behandelten Gegenwartsphilosophen beweist, daß er an sich schon das Zeug gehabt hätte, ein solches Buch zu schreiben; die Kritik dagegen, die er an den damals nicht genehmen Denkern übt, bewegt sich auf einem so niedrigen und unsachlichen Niveau, daß sie gegen den rein darstellenden Tenorm abfällt. Vorgestern erhielt ich auf Ihre Veranlassung von der Dietrichschen Verlagsbuchhandlung in Wiesbaden Ihre Broschüre über die Sendung der Philosophie in der Gegenwart zugesandt. Ich habe den gedankentiefen und formvollendeten Vortrag sogleich gelesen und mich am Inhalt wie an der Diktion gleich herzlich erfreut. Haben Sie herzlichsten Dank für die schöne Gabe! Sind Ihre beiden größeren Buchmanuskripte bereits im Druck, und wenn ja, wann werden sie erscheinen? Siebeck hat sich auf Grund meines ausführlichen Gutachtens nicht zur Annahme des Manuskripts von Muhs entschließen können, obwohl ich auch die Vorzüge der Arbeit hervorgehoben und betont habe, daß es immerhin ein brauchbares Kompendium für Studenten darstellen würde. An die Universalität und den darstellerischen Schwung des ähnlich angelegten Werkes von Karl Joel "Wandlungen der Weltanschauung" reicht es ja freilich auch bei weitem nicht heran. (Kennen Sie es, und würden Sie eine unveränderte Neuauflage davon für berechtigt halten?) Kroner hat mir inzwischen in Bezug auf die Neuherausgabe des "Logos" völlig freie Hand gelassen. Siebeck und ich sind aber übereingekommen, daß wir angesichts der Hochflut bereits bestehender Zeitschriften und der angespannten Lage auf dem Papiermarkt mit der Herausgabe bis zum Frühjahr nächsten Jahres warten wollen. Trotzdem sollen aber die Einladungsschreiben an die vorgesehenen Mitarbeiter bereits in nächster Zeit herausgehen. Ich selbst würde übrigens in Anbetracht meiner vielseitigen Beanspruchung nicht ungern noch einen zweiten deutschen Mitherausgeber heranziehen und denke hierbei vor allem an Steger oder Reble. Von Steger bekam ich neulich einen Gruß aus der Gefangenschaft, den ich selbstverständlich sofort beantwortet habe. Er hält seine baldige Entlassung für möglich, fragt sich aber mit berechtigter Sorge, was dann aus ihm werden soll. Daß Ihre Düsseldorfer Reise in gewisser Weise so wohl getan hat, habe ich mit Freuden vernommen. Hoffentlich bleibt auch der angedeutete praktische Erfolg der Reise nicht aus! Ich neige immer mehr zu der Ansicht, daß Sie nur in einer der westlichen Zonen zur vollen Entfaltung Ihrer Wirksamkeit kommen können. Mit größter Freude lasen wir von Ihrer geplanten Reise im August nach Garmisch, die Sie vielleicht mit einem Besuch in Eichhofen kombinieren wollen. Seien Sie versichert, daß wir Sie mit herzlichem Vergnügen hier empfangen und aufs eifrigste auf Ihre erholungsreiche Ausspannung bedacht sein werden! Von dem bedauerlichen Unfall Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin hörten wir mit herzlichem Mitgefühl, und wir hoffen innig, daß der Oberarmbruch inzwischen verheilt ist. Der Unfall erinnerte mich lebhaft an unsere erste Begegnung im Sommersemester 34, da Sie mir infolge des gleichen Mißgeschicks ebenfalls mit einem großen Stützverband am Arm entgegentraten. Meine Frau wird die lieben Zeilen Ihrer Frau Gemahlin in den nächsten Tagen beantwortet. Sie war duch die Bestellung unseres Gärtchens und die Pflege ihres Geflügels leider so in Anspruch genommen, daß sie bisher noch keine Zeit dazu fand. Kürzlich las ich in den Nordwestdeutschen Heften einen sog. SS-Bericht über den 20sten Juli - die erste größere zusammenhängende Darstellung des mißglückten Putsches. Ein erschütterndes Dokument, an dem man so recht die unaufhebbare Tragik jeder politischen Verschwörung studieren kann. Das Ergreifendste daran ist das tragische Mißverhältnis zwischen dem unzweifelhaft edlen und reinen Wollen der leitenden Verschwörer und ihrer Unfähigkeit in der Beherrschung der gleichen Waffen, wie sie das von ihnen bekämpfte verbrecherische Regime mit solcher Virtuosität handhabte. Ich dankte Gott, daß Sie nicht aktiv in die Sache verwickelt waren und womöglich in den Strudel ihres Scheiterns mithineingerissen worden wären! Damit lassen Sie mich für heute unser Gespräch beenden! Mit den besten Wünschen und herzlichsten Grüßen, auch an Ihre Frau Gemahlin und Ihren Sohn Ihre dankbar ergebenen; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen