Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Diesmal habe ich Ihnen für zwei sehr liebenswürdige Briefe zu danken, und ich muß Sie herzlich um Nachsicht bitten, daß dies erst heute geschieht. In den letzten Wochen hatte ich nämlich in meinem neuen Amt eine derartige Fülle von Aufgaben zu bewältigen, daß ich tagelang kaum zur Besinnung kam und alle privaten Bedürfnisse völlig zurückstellen mußte. In den wenigen freien Abendstunden aber kam ich infolge von Kohlenmangel oder Stromsperre (drei Tage in der Woche haben wir von 18-21 kein Licht!) auch nicht zum Briefeschreiben.
Zu größtem Dank bin ich Ihnen vor allem für die beiden hervorragenden Gutachten über mich verpflichtet! Es war wirklich sehr gütig von Ihnen, sich trotz Ihrer sicher nicht geringen Arbeitsüberlastung dieser Mühe zu unterziehen, und Sie haben mir damit eine Hilfe erwiesen, die mir sicherlich noch oft von großem Wert und Nutzen sein wird.
Besonders erfreut hat mich an Ihren beiden Briefen, was Sie über die spürbare Besserung Ihrer Position in Leipzig schrieben. Sie werden mir glauben, daß ich an diesem Erfolg freudigsten Anteil nehme und innigste Genugtuung darüber empfinde. Die Kunde davon war auch schon auf anderen Wegen zu mir gedrungen, und zwar durch Nachrichten von Fräulein Nadler und einen Brief von Frau Tiemann an Frau v.d. Borch.Ich kann nur von Herzen hoffen, daß dieser wohlverdiente Erfolg von recht lange anhaltender Wirkung sein möchte! Indessen halte auch ich es für gut und richtig, wenn Sie unbeirrt davon Ihre anderen Pläne, namentlich in Bezug auf Hamburg weiterverfolgen!
Sehr bedauert habe ich, daß Sie das Weihnachtsfest unter so mißlichen äußeren Umständen begehen mußten. Wie schön, daß Ihnen wenigsten unser bißchen Wein etwas Wärme spenden konnte! Daß Sie von Ihrem ältesten Sohn noch immer ohne Nachricht sind, tut uns herzlich leid. Sollte sein Schweigen nicht etwa auch von falschen Scham beeinflußt sein? Die meisten Internierten finden doch sonst immer eine Gelegenheit, ihren Angehörigen Lebenszeichen zukommen zu lassen, und soviel ich weiß, ist es ihnen doch auch gestattet, ihren Familien in gewissen Abständen zu schreiben. Falls ich also in dieser Sache eine Vermittlerrolle übernehmen könnte, bin ich dazu selbstverständlich jederzeit gerne bereit.
Von mir ist zu melden, daß ich mich inzwischen schon sehr gut in meine neue Tätigkeit eingearbeitet habe und mich über einen Mangel an Beschäftigung wahrlich nicht zu beklagen habe. In der letzten Zeit war ich ganz und gar von den Vorarbeiten für die Neueröffnung der Regensburger Volkshochschule in Anspruch genommen, die ich in der Hauptsache allein zu leisten hatte, da der offizielle Leiter, Hochschuldirektor Prof. Engert, von seinen eigenen Amtsgeschäften derart in Beschlag gelegt ist, daß er sich daneben kaum noch der Volkshochschule widmen kann. Nach harten Kämpfen ist es mir tatsächlich gelungen, in der Regensburger Volkshochschule die verschiedenen einander widerstreitenden Richtungen zur Zusammenarbeit zu vereinen und auf diese Weise ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, das möglichst vielen Bedürfnissen Rechnung trägt. Um Ihnen einen Einblick darin zu ermöglichen, erlaube ich mir, Ihnen unser Arbeitsprogramm beizulegen. Ob das Unternehmen nun in dieser Form auch bei der hiesigen Bevölkerung den gewünschten Anklang findet, kann natürlich erst die Erfahrung lehren. Eine womöglich noch härtere Arbeit steht mir jetzt in der Provinz bevor, wo (wie z.B. in Passau) das katholische Bildungswerk bereits derart an Boden gewonnen hat, daß es wenig Bereitschaft zeigt, seine Sonderbelange zu Gunsten der gemeinsamen Volkshochschularbeit zurückzustellen. Als einen weiteren sehr wesentlichen Übelstand bei meiner Arbeit empfinde ich das weitverzweigte Intrigenwesen, auf das ich dabei fast überall stoße und das sich mit dem Mangel an Toleranz und wahrer "Liberalität" durchaus die Waage hält. Auf der anderen Seite bringt mich mein neues Amt aber wiederum überall mit den wirklich aufgeschlossenen und lebendigen geistigen Kräften in Berührung, daß dies den geschilderten Verdruß wohl aufwiegt und ein schönes Äquivalent dafür darstellt. So bin ich also im ganzen vorläufig recht zufrieden mit meiner neuen Tätigkeit und bin froh, daß ich diese Möglichkeit trotz aller schwerwiegenden Bedenken aufgegriffen habe.
Nebenamtlich bin ich außerdem noch für den Verlag Mohr in Tübingen tätig, und zwar hauptsächlich als Manuskriptbeurteiler. Gegenwärtig habe ich gerade ein dickbändiges neues Werk des Hallenser Nationalökonomen Muhs zu prüfen, das sich "Phänomenologie der Geistesgeschichte" betitelt, vorwiegend jedoch eine soziologische Geschichtsphilosophie darstellt. Sehr aktiv bin ich ferner an der Regensburger literarischen Gesellschaft mitbeteiligt, vor der ich demnächst u. anderem einen Vortrag über Kleist unter besonderer Berücksichtigung seines "Homburg" halte. (Ein sehr heikles Thema, mit dem ich wahrscheinlich mancherlei Anstoß erregen werde.)
Nach langer Zeit ist nun endlich auch wieder einmal eine Nachricht von Kroner bei dem Verleger Siebeck eingetroffen, die nicht weniger als 2 1/2 Monate unterwegs war! Kroner äußert sich in diesem Brief sehr positiv zu dem Plan der Neugründung des "Logos" und erklärt sich bereit, mit mir gemeinsam als Herausgeber zu zeichnen. Für mich ist dieser großer Vertrauensbeweis natürlich äußerst schmeichelhaft, und ich werde mir alle Mühe geben, um ihn in jeder mir möglichen Weise zu rechtfertigen. Im einzelnen erscheinen mir Kroners Pläne bezüglich der Neugestaltung der Zeitschrift jedoch ein wenig fantastisch, so daß ich ernstlich zweifle, ob sie in dieser Form durchführbar sein werden. Kroner schlägt vor, den Kreis der Mitwirkenden auf dem Titelblatt auf 12 Namen zu beschränken und hierfür je 3 englische(amerikanische), 3 schweizerische, 3 französische und 3 deutsche Gelehrte zu wählen. Das erste Triumvirat soll aus Tillich, Niebuhr und Lewis, das zweite aus Häberlein, Medikus und Stein, das dritte aus Maritain, Wahl und einem noch auszuwählenden dritten Gelehrten, und das vierte endlich aus Ihnen, Spranger und Stepun bestehen. Auf dem Papier nimmt sich das zwar schon wegen seiner Symmetrie sehr schön aus, aber wer bringt nun dieses internationale Gremium zusammen und sorgt dafür, daß es mehr als ein schönes Aushängeschild wird? Fraglich erscheint mir daran vor allem, ob sich die französischen Gelehrten bereit finden werden, sich in dieser Weise an einer in Deutschland in deutscher Sprache erscheinenden Zeitschrift aktiv zu beteiligen und uns damit gewissermaßen die Rolle eines Kulturvermittlers zuzugestehen. Außerdem müßten die ausländischen Gelehrten bei der gegenwärtigen Finanzlage allesamt auf eine Honorierung ihrer Beiträge Verzicht leisten, von den übrigen technischen Schwierigkeiten der Manuskriptherstellung gar nicht zu reden! Aus allen diesen Gründen halte ich diesen Plan, so bestechend er im ersten Augenblick auch wirkt, kaum für durchführbar und halte demgegenüber mein wesentlich bescheideneres erstes Projekt für besser. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren und wäre Ihnen darum sehr dankbar, wenn Sie mir Ihre Ansichten darüber einmal mitteilen würden! Inzwischen wird ja Kroner auch meine verschiedenen Briefe, in denen ich ihm meine Vorschläge unterbreitete, bekommen haben und sich hoffentlich bald dazu äußern.; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |