Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0519
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Eichhofen) an: Litt
Enthältms; Brief 2 Blätter A4 - Durchschlag vgl. B2- 1282
Zeitvon1946
Zeitbis1946
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Von meiner zehntägigen erlebnisreichen Reise nach Stuttgart und Tübingen wieder in mein stilles niederbayrisches Dorf zurückgekehrt, möchte ich Ihnen nun heute den längst fälligen Dank für Ihr gütiges Schreiben vom 1.10. abstatten und Ihnen den versprochenen Bericht über meine Reiseeindrücke geben. Mein Besuch in den beiden obengenannten Städten hat mir eine solche Fülle interessanter Begegenungen und Erlebnisse eingetragen, daß ich auf diesen beschränkten Raum leider nur der wichtigsten Erwähnung tun kann. In Stuttgart hatte ich zunächst ein Zusammentreffen mit dem Verleger Ernst Klett, dem ich den Vorschlag gemacht hatte, eine Anthologie und Bibliographie des "Gegenschrifttums" von 1933 bis 1945 herauszubringen, in der in Gestalt einer Auslese des Besten und Gültigsten sowie anschließend in systematisch-bibliographischer Form jenes schöngeistige und geisteswissenschaftliche Schrifttum zusammengfaßt werden solle, das - aus dem Widerstand gegen den Ungeist der Nazi-Zeit erwachsen - Anspruch auf Dauer und Geltung erheben könne. Ich halte dies für ein außerordentlich wichtiges, für unsere sittlich-geistige Rehabilitierung unbedingt notwendiges Unternehmen, und es gelang mir auch, den Verleger heirvon voll und ganz zu überzeugen. Die Durchführung eines solchen Werkes bietet heute nach der weitgehenden Zerstörung so vieler öffentlicher und privaten Bibliotheken natürlich immense Schwierigkeiten, aber ich hoffe doch, daß man ihrer unter tätiger Mithilfe aller hierfür in Betracht kommenden Autoren und Verlage Herr werden kann. Der Stuttgarter Verleger, ein äußerst rühriger und plänereicher junger Mann, ist an sich durchaus bereit, diesen Plan zu verwirklichen und mich mit der Herausgabe zu betreuen, aber leider konnten wir noch keine vollkommene Einigkeit über die wirtschaftliche Fundierung erzielen, so daß es noch nicht ganz entschieden ist, ob ich tatsächlich diese Aufgabe, die mich ja voraussichtlich acht bis zehn Monate in Anspruch nehmen würde, durchführen werde. Inzwischen sind nämlich, um auch dies gleich zu erwähnen, eine Reihe anderer Projekte an mich herangetragen, so daß ich mich nach monatelanger Wartezeit auf einmal vor eine sehr schwierige Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten gestellt sehe. Zunächst hat mir die Regensburger Regierung nun doch endlich die Übernahme eines neu geschaffenen Referats für Volkshochschulen angeboten mit dem Auftrag, im gesamten Regierungsbezirk Volkshochschulen neu einzurichten und zu betreuen. An sich eine sehr schöne Aufgabe -, wenn es nur nicht gar hier in Niederbayern Wäre! Der Auftrag ist ungefähr gleichbedeutend damit, in der Wüste Gobi eine Obstkultur anzulegen! Dennoch möchte ich die Sache nicht so ohne weiteres von der Hand weisen, weil sie bisher das einzige feste Angebot von den verschiedenen, sich mir bietenden Berufsmöglichkeiten ist. Sodann bin ich in Stuttgart nun auch mit dem württembergischen Kultusminister in Verbindung getreten, und dort hat mir der Ministerialdirektor Bäuerle, ein guter Bekannter meiner Eichhofener Verwandten, in Aussicht gestellt, daß ich u.U. als Leiter der Komburg, eines ehemaligen Volkshochschulheimes in Schwäbisch-Hall, in dem jetzt Ferienkurse für Lehrer aller Schulen abgehalten werden sollen, eingesetzt werden könnte. Dort hätte ich neben der Gesamtaufsicht über das Haus vor allem die geistige Vorbereitung der Tagungen zu übernehmen, die Vortragenden einzuladen und auch selbst als Referent aufzutreten. Alles in allem also eine recht befriedigende Tätigkeit, die auch noch dadurch besonders begehrenswert erscheint, daß damit eine sehr schöne Heimwohnung verbunden ist. Allerdings liegt für diesen Posten bereits die Bewerbung eines in Würtemberg lebenden Mannes vor, so daß ungewiß ist, ob man nicht diesem den Vorzug geben wird. Kurz und gut, ich stehe also jetzt vor der schweren Entscheidung, ob ich die sichere Anstellung in Regensburg zugunsten der beiden Stuttgarter Möglichkeiten ausschlagen soll oder nicht. Guter Rat ist teuer. Doch nun will ich Ihnen endlich auch von meinen anderen, nicht mit meinen Berufsnöten zusammenhängenden Reiseeindrücken berichten. Auch hier gibt es manches Interessante zu erzählen. Zunächst wohnte ich in Stuttgart einem recht anregenden pädagogischen Kolloquium im Hause des schon erwähnten Verlegers Klett bei, in dem ein sehr bemerkenswerter Aufsatz Heinrich Weinstocks - eine temperamentvolle Apologie des humanistischen Gymnasiums und seiner Bildungsidee - zur Debatte stand. Neben zwei amerikanischen Offizieren und einigen bekannten Vertretern des deutschen Geisteslebens traf ich dort zu meinem Erstaunen auch den frisch rehabilitierten Erich Rothacker aus Bonn an! Sie werden sich denken können, daß ich diesem Manne von vornherein mit einigem Mißtrauen gegenübertrat, und tatsächlich dauerte es denn auch gar nicht lange, bis wir ziemlich hart aneinander gerieten. Anlaß dazu bot eine larmoyante Jeremiade Rothackers, in der er sich heftig darüber beklagte, daß sein Kollege, der Germanist Hans Neumann, aus seinem Amte entlassen worden wäre. Ich entgegnete ihm darauf mit höflicher, aber ganz eindeutiger Entschiedenheit, daß ch persönlich der Ansicht sei, ein Forscher wie Neumann, der nach dem sog. Umbruch die Werturteile in seiner Literaturgeschichte der Gegenwart geradezu auf den Kopf gestellt habe, habe sich als akademischer Lehrer selber unmöglich gemacht, ganz abgesehen von seinen übrigen zahlreichen Anbiederungsversuchen an den Nazismus. Darauf meinte Rothacker, Neumann sei doch nur ein harmloser idealistischer Träumer gewesen, der z.B. auch heute noch die inzwischen aufgedeckten KZ-Greuel für eine Feindlegende hielte! Welche Antwort ich ihm darauf gegeben habe, brauche ich Ihnen gewiß nicht zu sagen. In dem sich daran anschließenden Gespräch über die grundsätzlichen Fragen dieses Problems vertrat ich den Standpunkt, daß man zwar Gelehrten wie Neumann keineswegs die materiellen Grundlagen ihres Daseins und meinethalben auch nicht die Möglichkeiten weiteren Publizierens entziehen solle, sie aber unmöglich in ihrem Amte als Lehrer der akademischen Jigend belassen könne. Hiergegen machte Rothacker geltend, daß es ja keine unbelasteten Professoren gäbe und die wenigen, die man allenfalls als solche ansehen könne, in der Mehrzahl so alt wären daß es entsetzlich schwierig sei, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Sie zögen die Fakultätssitzungen endlos hin usw. usw. Das war mir denn doch etwas zuviel, und darum zögerte ich auch nicht, ihm mit einigen lebendigen gegenbeispielen aufzuwarten und zu erklären, daß mir diese Art des Argumentierens von dem Kernpunkt des Problems abzuführen schiene. Mit einem Wort, eine höchst unerfreuliche Auseinandersetzung, in der ich den denkbar ungünstigsten Eindruck von der Persönlichkeit Rothackers empfing. Ein selbstgefälliger, geschwätziger und auf seinen Vorteil wohlbedachter Mann. Ich möchte nur wissen, wie er, der Pg. von 1933 und Mitarbeiter im Rust-Ministerium, es fertig gebracht hat, wieder mit allen Ehren in sein Amt eingesetzt zu werden. Bezeichnend für seinen Charakter ist auch, daß er kaum angekommen, dem Verleger erklärte, er wolle zwar gerne für ihn tätig sein, erbäte sich aber als Honorar Mehl und Eier von ihm, wie er dies auch mit seinen Schweizer Verleger vereinbart habe!!! Und da sage noch einer, die Philosophie sei eine brotlose Kunst! Leider war dies keineswegs das einzige betrübliche Erlebnis dieser Art, das ich auf meiner Reise hatte. Wie sehr man überall in dieser Frage zu weitgehenden Konzessionen geneigt ist, erfuhr ich in Tübingen, wo ich einen Abend mit den beiden Theologen Thielicke und Köberle sowie dem Neuhistoriker Stadelmann verbrachte. Dabei wurde mir erzählt, daß statt Spranger um ein Haar Heidegger nach Tübingen berufen worden wäre! Bezeichnenderweise hatten sich die beiden katholischen Theologen Steinbüchel und Guardini aufs wärmste dafür eingesetzt, und nur dem energischen Gegenauftreten Thielickes war es geglückt, dies zu verhindern. Auch von den verschiedenen Verlegern wird Heidegger heute heftig umworben. Er sitzt gegenwärtig übrigens nicht, wie mir fälschlicherweise berichtet wurde, in Paris, sondern auf seiner Hütte im Schwarzwald, wo er neben anderem ein Werk über Parmenides und Heraklit schreibt. Ich bin nur gespannt, wann endlich er im Schoße der alleinseeligmachenden landen und welche Universität dann den Ruhm für sich in Anspruch nehmen wird, ihn zu ihren Lehrern zu zählen! Augenblicklich bemüht sich ja Mainz, ein willkommenes Asyl für belastete Hochschullehrer zu werden. Stimmt es übrigens, daß Freyer nach Göttingen übersiedelt ist, wie Rothacker zu wissen glaubte? Selbstverständlich besuchte ich in Tübingen auch Spranger, aber ich bedauer, sagen zu müssen, daß die Eindrücke, die ich bei ihm empfing, keineswegs sehr ermunternd waren. Obwohl er jetzt eine sehr nette Wohnung in der Nähe der Universität hat und großen Anklang mit seinen Vorlesungen bei den Studenten findet, machte er einen so lethargischen, ja beinah erloschenen Eindruck, daß es geradezu erschreckend war. Neben rein persönlichen Gründen (mangelhafte Ernährung und Heizung, die ihm das Arbeiten fast zur Unmöglichkeit machten; Vorwürfe, die ihm wegen seiner angeblich zweideutigen Haltung zum Dritten Reich gemacht worden seien usw.) war die Hauptursache seiner tiefgehenden Depression die trostlose allgemeine Lage, in der wir uns heute befinden. Hierin konnte ich ihm natürlich nur rechtgeben, aber im Stillen konnte ich den Gedanken denn doch nicht unterdrücken, daß man daran durch eine so unverhohlene Unlust zu jeder aufbauenden Tätigkeit ja schließlich auch nichts ändere. und unwillkürlich kam mir die Erinnerung daran, wie er gemeinsam mit Kippenberg noch kurz vor dem Zusammenbruch bemüht gewesen war, Ihnen eine optimistischere Sicht der Dinge einzuflößen ... Als er selbst darauf zu sprechen kam, daß Sie die Situation womöglich noch pessimistischer ansähen, erwiderte ich ihm sogleich, daß dies vielleicht zuträfe, daß Sie aber dessenungeachtet erklärt hätten, unter keinen Umständen kapitulieren zu wollen! Von einer Erneuerung des "Logos" wollte Spranger zuerst überhaupt nichts wissen. Er wies mich daraufhin, daß es auf philosophischem Gebiet nicht weniger als vier neue Zeitschriften gäbe (eine von Kaspers und Alfred Weber, eine von einem gewissen Schischkoff, einen bulgarischen Huber-Schüler, eine von Kempnski und eine von Jantzen in München herausgegebene) und zwei weitere im Erscheinen begriffen seien (die Kantstudien mit Liebert und die Blätter für deutsche Philosophie mit Heimsoeth als Herausgeber). Eine solche Zeitschriftenhausse, die in gar keinem Verhältnis zu unserer furchtbaren Verarmung steht, kann einem in der Tat allen Mut zu weiteren Unternehmungen auf diesem Gebiet nehmen, aber ich suchte Spranger davon zu überzeugen, daß der "Logos" mit seiner ruhmreichen Tradition dennoch eine sinnvolle Mission zu erfüllen habe. Er sei nämlich vor allem als lebendige Brücke zu den im Ausland lebenden deutschen Gelehrten gedacht und wolle diese zu seinen aktiven Mitarbeitern gewinnen. Ferner sollten im Gegensatz zu den anderen Blättern nur absolut einwandfreie und unbelastete deutsche Philosophen daran mitarbeiten dürfen. Auch hiergegen machte Spranger allerlei skeptische Einwände - wobei ich übrigens von ihm erfuhr, daß Weniger in Göttingen NS-Führungsoffizier war und deswegen heute Schwierigkeiten hat! -, ließ sich aber dann doch schließlich herbei, keine endgültige Absage seiner Mitwirkung zu geben. Auch mit dem jungen, sehr sympathischen Verleger Siebeck bin ich nun in der Weise übereingekommen, daß sich eine Neuherausgabe des "Logos" angesichts der Flut von neuen Fachzeitschriften nur dann rechtfertigen ließe, wenn es tatsächlich gelänge, ihn zum gemeinsamen Forum der deutschen und emigrierten Gelehrten zu machen. In diesem Sinne will auch Kroner dafür in Amerika werben, und so kann man hoffen, daß die Sache ungeachtet aller Hindernisse doch zustandekommt. Mit Spranger kam ich natürlich auch auf Ihre persönliche Lage zu sprechen, und hierin waren wir uns nun beide völlig einig, daß alles getan werden müsse, um darin so rasch wie möglich eine durchgreifende Änderung zu erwirken. Spranger hat in dieser Richtung bereits gewisse Schritte unternommen, und ich kann nur aufrichtig hoffen, daß sie zu dem gewünschten Erfolg führen möchten. Auch hierbei ist es aber sehr schwierig, Gleichgültigkeit und Trägheit bei den in Betracht kommenden Professoren zu überwinden. Als ich in Tübingen vor den erwähnten Professoren äußerte, es sei doch eigentlich eine Schmach, daß sich keine deutsche Universität im Westen oder Süden finde, die den Historiker Meinecke ehrenhalber auf einen Lehrstuhl berufe und ihm auf diese Weise die Rückkehr nach Berlin zur Erlangung seines Gehaltes erspare, erntete ich nur ein mitleidiges Lächeln ... Darf ich Sie nun zum Schluß noch um einige Gefälligkeiten bitten, hochverehrter Herr Professor? Falls Ihre Zeit das erlaubt, wäre ich Ihnen nämlich zu größtem Dank verbunden, wenn Sie mir zur Unterstützung meiner verschiedenen Bewerbungen - vor allem der beim Württembergischen Kultusministerium - sowohl ein politisches Zeugnis, wie auch getrennt davon ein Gutachten über meine wissenschaftliche Befähigung ausstellen könnten. Das erste hat sich insofern als notwndig erwiesen, als man hierzulande den diesbezüglichen Angaben der Evakuierten mit dem größten Mißtrauen begegnet; um das zweite hat mich Minsterialdirektor Bäuerle ersucht. Es fällt mir nicht leicht, Sie um diese Mühe zu bitten, da ich mir wohl vorstellen kann, wie sehr Sie durch eigene Arbeiten und Universitätsangelegenheiten in Anspruch genommen sind; aber da ich Ihre immer gegenwärtige Hilfsbereitschaft kenne, habe ich mich trotzdem zu dieser Bitte entschlossen. Endlich wäre ich Ihnen noch sehr verbunden, wenn Sie von unserem bei Ihnen deponierten Geld Fräulein Gertrud Crome, Leipzig S 3, Prinz Eugenstr. 56 RM 27,80- überweisen würden. Diese Dame war so freundlich einen großen Teil unserer Möbel aus unserer gekündigten Wohnung im Eichwinkel in Ihr eigenes Heim zu übernehmen. Kurz vor Abschluß dieses Briefes erreichte uns ein sehr liebenswürdiges Schreiben Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin, aus dem wir zu unserer Freude und Genugtuung ersehen, daß Ihre Frau Gemahlin einige Erholubgstage in Bad Lausick verbringen konnte. Meine Frau wird den Brief baldmöglichst beantworten und läßt einstweilen ausrichten, daß sie gerne Erbsen in Einpfundpäckchen schicken wird, falls Ihre Frau Gemahlin dies wünscht. Ferner möchten Sie doch ja unsere eingemachten Vorräte verzehren, damit sie nicht schlecht werden. Wie geht es nun Ihnen, hochverehrter Herr Professor? Sind Sie bei guter Gesundheit, und rücken Ihre Pläne vorwärts? Wissen Sie, daß Berlin von manchen Professoren als Durchgangsstation benutzt wird? Bestimmte Beispiele möchte ich aus naheliegenden Gründen nicht erwähnen. Professor Delekat, der gegenwärtig noch als Dozent im Stuttgarter Lehrerbildungswesen wirkt, wird einen Ruf nach Mainz annehmen. Von Glockner, der sich damit brüstet, Nichtparteigenosse gewesen zu sein, las ich eine lange, aber wenig überzeugende Verteidigungsrede, in der er seine Handlungsweise bei der Übernahme des "Logos" und einen schamlosen Brief, den er in diesem Zusammenhang an Kroner geschrieben hatte, zu entschuldigen versucht. Zu seiner Entlastung beruft er sich nicht nur auf Rickert, von dem die Initiative dazu ausgegangen sei, sondern auch auf seinen begreiflichen persönlichen Ehrgeiz als jüngerer Kollege Kroners! Und im übrigen behauptet er, die wissenschaftliche Linie des "Logos" in der Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie durchaus eingehalten zu haben. Es war nicht viel gutes, was ich Ihnen von den allgemeinen Eindrücken meiner Reise berichtete, aber ich weiß, daß Ihnen die Wahrheit lieber als alle Schönfärberei ist.; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen