Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Diesmal haben mir Ihre freundlichen Zeilen besonders wohlgetan, weil sie mir eine Bestätigung meiner Arbeit brachten, deren ich,offen gesagt, sehr bedürftig war. Wenn man sich nämlich monatelang redlich bemüht, auch sein Scherflein zur geistigen Erneuerung beizutragen, ohne dabei in der Mitwelt auf anerkennung und Verständnis zu stoßen, so muß allmählich auch der beste Wille erlahmen, und man gerät unvermeidlich in eine Krisis der Niedergeschlagenheit und des Zweifelns an sich selbst. Daß das Wort der Zustimmung und der Ermunterung aber gerade von Ihnen kam, verleiht ihm natürlich in meinen Augen einen besonderen Wert, denn abgesehen davon, daß es für mich in diesem Bereich kein kompetenderes Urteil als das Ihre gibt, weiß ich wohl, daß Sie notwendigenfalls auch mit einer Kritik nicht aus unangebrachter freundschaftlicher Schonung zurückhalten würden. Nun ist das kleine Zwiegespräch zwar nur eine für "volkstümliche" Zwecke gedachte Nebenarbeit, aber gerade darum hatte ich mir eigentlich ein einhelligeres Echo davon erhofft. Hierin wurde ich indessen sehr enttäuscht. Der eine fand es zu sehr "geschichtlich", d.h. statt eigener Gedanken zu viel von denen Kants, Goethes und Hegels enthaltend, einem anderen war es im Ausgang zu entschieden, kurz und gut, so recht befriedigt schien keiner davon zu sein. Mußte es da nicht wie eine Bestätigung aller dieser negativen Urteile wirken, daß mir auch die Schriftleitung der "Gegenwart", der ich das Manuskript bereits aus eigenem Antrieb zur Publikation angeboten hatte, die Arbeit mit dem Bemerken zurückschickte, daß sie das angeschlagene Thema in einer für Ihre Zeitschrift zu "romatischen" Form behandelte? Ja, so verschiedene Urteile kann man also über ein und diesselbe Arbeit bisweilen hören! Indeß, das alles kränkt mich nun, nachdem Sie Ihr Ja dazu gesprochen haben, nicht mehr, als es verdient. Trotz der wahren Hochflut von neuen Zeitschriften, die heute hier erscheinen, ist es überhaupt für einen "Namenlosen" sehr schwierig, irgendetwas Geschriebenes unterzubringen, denn da sich heute aus Mangel an irgendeiner anderen nützlichen Beschäftigung scheinbar alle Deutschen, unberufene mehr als berufene, aufs Schreiben verlegt haben, werden die Redaktionen offenbar mit einer solchen Fülle von Zuschriften überschwemmt, daß ihnen eine sorgfältige Prüfung der eingesandten Manuskripte sichtlich gar nicht mehr mölich ist und alles, was nicht Rang und Namen hat, von vornherein aus der Konkurrenz ausscheidet. Mir wird manchmal beim Durchblättern der vielen neuen Journale ganz schwach, und die Befürchtung drängt sich mir auf, daß der ganze Aufbauwille der Deutschen sich wieder einmal im bloßen Reden und Schreiben erschöpfen könnte. Unter diesen Umständen gehört wirklich Mut dazu, sich ebenfalls unter die Skribenten zu mischen.
Gegenwärtig weilt der derzeitige Rektor der Heidelberger Universität, der Theologe v. Camenhausen, ein Freund meines Vetters, hier zu Besuch. Er ist entschieden ein Mann von geistigem Format und einer der nicht sehr zahlreichen Theologen, mit denen man ein freies und fruchtbares Gespräch führen kann, ohne sogleich in eine Sackgasse zu geraten. Aus dem Universitätsleben weiß er manche interessante Einzelheiten zu berichten, und sein Urteil über die Studenten deckt sich so ziemlich mit dem Ihrigen. Auch er hebt den großen Lerneifer der Studierenden hervor, meint aber, daß die Denk- und Urteilsfähigkeit in einem ziemlich krassen Mißverhältnis dazu steht. Durch ihn erfuhr ich auch über einige Hochschullehrer recht bemerkenswerte Dinge. So soll Heidegger angeblich mit Sack und Pack von einem Auto nach Paris geholt worden sein, um seine Lehrtätigkeit künftig dort auszuüben. Tatsächlich ist ja auch der Existenzialismus durch die von Paul Satre geleitete Bewegung augenblicklich die große Mode in Frankreich geworden, während er sich bei uns wenigstens in der Form, die Heidegger ihn gegeben hat, doch bereits überlebt haben sollte. Immerhin ist es doch höchst bemerkenswert, wie verschieden sich solcherart das Schicksal der geistigen Exponenten des Nazismus gestaltet! Am Ende werden vielleicht gar noch Krieck und Bäumler nach Moskau oder New York berufen! Es geht doch mitunter recht ergötzlich auf unserem Erdball zu. Sehr erheiternd finde ich auch, daß ein Mann wie Glockner sich heute, wie Campenhausen berichtet, als "Antifaschist" aufspielt und eine dementsprechende Rolle im neuen Staat einzunehmen beansprucht, während so viel weniger belastete Professoren wie Theodor Haering als Nazisten abgebaut worden sind. Angesichts solcher sich häufenden Fälle wird es m.E. Zeit, daß die unbelasteten deutschen Hochschullehrer sich zu einer gemeinsamen Aktion zur Rettung der gefährdeten Universitäten zusammenschließen und endlich einmal wahre Solidarität bekunden! Wenn ich in einer der nächsten Wochen nach Tübingen zu Beratungen über die Neuerstehung des "Logos" fahren sollte, hoffe ich hierüber auch mit Prof. Spranger einmal sprechen zu können. Meine Ansicht ist jedenfalls die, daß die Frage des Verbleibens oder Ausscheidens eines Dozenten einigermaßen gerecht nur durch das Gremium der unbelasteten Professoren seiner Universität entschieden werden kann.
Für die Nominierung eines geeigneten Rechtanwalts in unserer Wohnungsangelegenheit sind wir Ihnen beide sehr dankbar. Inzwischen hat Partmuß uns geschrieben, daß er vom Wohnungsamt aufgefordert worden sei, uns den Mietvertrag zum nächstzulässigen Termin aufzukündigen. Ob wir unter diesen Umständen überhaupt Einwendungen dagegen erheben sollen, ist uns bei der Unwahrscheinlichkeit unserer Rückkehr nach Leipzig sehr fraglich. Wir wollen jetzt nur die unbenutzten Möbel aus der Wohnung heraushaben und bei Bekannten unterbringen. Sollten dabei von Partmuß oder von Hoffmann Schwierigkeiten gemacht werden, werden wir uns an den von Ihnen benannten Rechtsanwalt mit dem Auftrag zur Wahrung unserer Interessen wenden.
Zum Schluß möchte ich Ihnen diesmal eine kleine Geschichte von unserer Beate erzählen. Kürzlich hatte ich sie gerade eines Abends zu Bett gebracht (die Mutti weilte in Regensburg), da rief sie mich plötzlich mit angstvoller Stimme wieder zu sich. Als ich an ihr Bettchen traf, fand ich das Kind in Tränen aufgelöst, und dann machte sie mir ein Geständnis, das mich tief erschütterte. "Vati", sagte sie, " ich habe solche Angst, was werden wir, wenn wir tot sind, die ganze Zeit im Himmel machen? Müssen wir da immer leben, und hat das niemals ein Ende?" Sicher können Sie sich denken, wie sehr mich diese Frage überrascht und mir fast die Sprache verschlug! Angst vor der Ewigkeit bei einem gerade siebenjährigen Kind! Nun erinnere ich mich zwar genau, daß auch mich der Gedanke an die Ewigkeit im Sinne einer unbegrenzten Zeitdauer schon sehr früh beschäftigt und mir immer ein tiefes Grauen eingeflößt hat, aber daß dies bereits im Alter von knapp sieben Jahren der Fall gewesen sein sollte, dünkt mich heute doch sehr unwahrscheinlich. Mir erscheint dies jedenfalls als ein Zeichen einer außerordentlichen Sensitivität unseres Kindes. Auch andere Menschen sagen uns immer wieder, daß Beate einen sehr frühreifen Eindruck mache. Es bedurfte denn auch einer ganzen Stunde, ehe es mir gelang, das Kind wiedr einigermaßen zu beruhigen und es zum Schlafen zu bewegen. Das Grimmsche Märchen vom Hirtenbüblein, in dem von dem Vöglein die Rede ist, das alle hundert Jahr zum Demantberg geflogen kommt und sein Schnäblein daran wetzt - : "und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der Ewigkeit vorbei" - , hab ich ihr dabei lieber nicht erzählt, weil es, statt des Grauens zu beseitigen, es nur verstärkt und vertieft hätte. Soll man es glauben, daß der Gedanke an ein alter- und entwicklungsloses Leben im Paradies, wie es den Kindern von den Theologen und anderen gutmeinenden Leuten erzählt wird, bereits in einem so frühen Stadium Schrecken und Verwirrung im kindlichen Gemüte hervorrufen kann?!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |