Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Ich habe Ihnen für Ihre Briefe vom 31.7. und vom 15.8. zu danken. Ihr philosophisches Zwiegespräch finde ich ganz ausgezeichnet. Es beweist Ihre Gabe, Fragen dieser Art in einer Form zu behandeln, die dem Gegenstand nichts schuldig bleibt und doch auch dem geistig weniger Geschulten eingeht. Aus diesem Grunde wundere ich mich, daß Sie, wie Sie meinen, mit Vorträgen verwandten Inhalts in Ihrem dortogen Kreise nicht auf volles Verständnis gestoßen sind. Ansich ist es doch jetzt die Zeit, in der man sich wieder einmal entschließen muß, wirklich "radikal" zu denken. Freilich, wie viele sind bei uns heute dazu bereit? Den Studierenden, die ich kennen gelernt habe, kann ich in dieser Hinsicht nach wie vor nur das beste Zeugnis ausstellen. Aber freilich: außerhalb der Universität begegnet man so vielen Zeugnissen einer kaum vorstellbaren Borniertheit und Verranntheit, daß man schier verzweifeln könnte. Allerdings muß ich in Bezug auch auf die Studierenden eines feststellen: sie sind sehr viel mehr bereit, dasjenige, was man zur Kritik der Zeit zu sagen hat, auf die gegenwärtigen Mißstände und Mißgriffe zu beziehen als auf die Verirrungen der hinter uns liegenden Jahre. Ich könnte Ihnen davon ergötzliche Proben erzählen. Man hört aus allem das heraus, was man heraushören möchte. Von hier aus ist es zu begreifen, daß in den anderen Zonen die vielbeklagten "reaktionären" Anwandlungen der Studentenschaft auftreten. Man ist allgemein nicht geneigt, das Schuldkonto des eigenen Volkes rückhaltlos einzugestehen. Und das ist wirklich ein bedenkliches Manko in der seelischen Gesamtbilanz.
Nun zum Kapitel Jónasson und Steger. Die Adresee des ersten lautet: Matthias (ausschreiben) Jònasson, Reykjavik, Island, Gaula Gardi. An Steger kann man nur schreiben, wenn man von ihm eine Karte mit angebogener Antwortkarte bekommt. Und es darf immer nur eine beschränkte Zahl von Worten sein. Es geht ihm äußerlich offenbar recht gut, denn er hat, amn höre und staune, 15 Pfd. zugenommen. Von Wechsler weiß ich nur, daß er - er war noch in der letzten Zeit in die SS gegangen - in der Gefangenschaft ist.
Sehr unangenehm ist ja die Angelegenheit Ihrer Wohnung. Ich hatte schon einmal die Interessen eines Abwesenden in einer gleichgelagerten Angelegenheit zu vertreten, und dabei hat es sich gezeigt, daß die Heranziehung eines Rechtsanwalts unumgänglich ist. Damals hat der Rechtsanwalt Dr.Klien, Dittrichring 12, die Sache mit Erfolg geregelt. Ich rate Ihnen, ihm sofort einen entsprechenden Auftrag zugehen zu lassen. Wenn Partmuß mit Ihren Möbeln üble Absichten hat, ist erst recht das Eingreifen eines Rechtsanwaltes notwendig.
Weitere Abhebungen von Ihrem Konto sind deshalb nicht möglich, weil von vorne herein nur 300 M freigegeben waren. Das übrige ist nach wie vor "eingefroren".
Ja, die Summe der Miseren, mit denen man sich jetzt herumschlagen muß, ist wirklich recht erheblich. Und es ist nicht zu bezweifeln, daß jedenfalls Menschen meines Alters in dieser Hinsicht bessere Tage nicht erleben werden. Im Gegenteil: ich glaube, daß wir weitere Tiefpunkte noch vor uns haben. Denn daß wir in mancherlei Beziehungen weiter abwärts rutschen, ist garnicht fraglich. Einzelnachweise erübrigen sich. Aber es hilft alles nichts, man muß sich von Tag zu Tag weiter würgen. Mich hält manchmal nur der Entschluß aufrecht, um keinen Preis dem Gelichter zu weichen, das unsereinem das Leben schwer macht.
Wir grüßen Ihr Trifolium herzlich und hoffen, daß Ihren Bemühungen um eine angemessene Tätigleit ein Erfolg beschieden sein wird.
Ihre
gez. A., R. und Th. Litt
Wollen Sie nicht Ihr Zwiegespräch der Zeitschrift "die Gegenwart" (in Freiburg erscheinend) zusenden? Dorthin scheint es mir ausgezeichnet zu passen. Leider ist der einzige mir bekannte unter den Herausgebern, Dr. Beukard, vor kurzem gestorben.; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |