Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Ihr letzter Brief hat mich recht erschüttert und mir das heillos Verfahrene unserer äußeren und inneren Lager wieder einmal mit voller Deutlichkeit vor Augen geführt! Was soll man nur zu den Leuten sagen, die Sie ausgerechnet Sie verdächtigen, nationalsozialistische Tendenzen unterstützt zu haben! Man weiß wirklich nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die Böswilligkeit oder die Ignoranz solcher Verdächtigung! Diese Leute müssen doch wahrhaftig nicht eine einzige Ihrer in der Nazi-Zeit erschienenen Schriften gelesen haben, sonst könnten sie eine solche ungeheuerliche Behauptung nicht aufzustellen wagen! Diese Verleumdung ist so gemein, daß es eigentlich unter Ihrer Würde ist, sich dagegen zu verteidigen. Wollen Sie den Herren zur Erwiderung nicht einfach den Brief schicken, in dem Sie seinerzeit Rudolf Heß um Ihre Emeritierung ersuchten? Ich glaube kaum, daß auch nur ein einziger von all den Leuten, die heute die Bestimmenden sind und sich als Helden im Kampf gegen den Nazismus aufspielen, ein Dokument aufzuweisen hat, in dem er den damaligen Machthabern in ähnlicher Weise die Wahheit gesagt hat, wie Sie es damals taten! Es wird einem wirklich physisch übel bei so viel Gemeinheit! Ähnliche Empfindungen erregt auch Ihr Bericht über die Gründe, warum die Angelegenheit mit F. und M. nicht vorwärtsrücken. Was für eine schmähliche und engstirnige Geistesverfassung offenbart sich auch hier! So kalkulieren also die Leute, die in der Öffentlichkeit nicht laut und oft genug die vordringliche Wichtigkeit der geistigen Umerziehung des deutschen Volkes proklamieren können! Ich kann es nur zu gut verstehen, wenn Sie von all dem aufs tiefste angewidert sind. Mich selbst bestärkt dies alles nur in meiner Auffassung, daß der größte Teil der Männer, die heute an der Spitze der Landesregierung stehen, dazu weder die notwendige Befähigung, noch die innere Beglaubigung besitzt. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich dabei ja auch um jene Politiker, die sich unfähig erwiesen, die Weimarer Republik vor dem Absturz in den Nationalsozialismus zu retten. Ich fürchte, diese Männer werden unter den gegenwärtigen noch tausendmal schwierigeren Umständen noch viel weniger im Stande sein, unserem Schicksal eine Wendung zum Besseren zu geben. Auch als jüngerer Mensch fühlt man sich bei dieser Lage versucht, wie sie zusagen: Bene vixit, qui bene latuit.
Auch in meiner Position hat sich inzwischen nichts geändert oder irgendeine konkrete neue Aussicht gezeigt. Aber was kann ich mir auch erwarten, wenn Sie schon auf solche Schwierigkeiten stoßen! Immerhin haben Sie mich durch Ihre Zustimmung zu meinem Plan einer Dozentur an einer Pädagogischen Akademie doch sehr ermutigt, und ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre Bereitwilligkeit mich dabei gegebenenfalls zu unterstützen. Ich werde also Ihren Rat befolgen, umgehend an Professor Weniger zu schreiben. Sehr herzlich danke ich Ihnen auch für die Übersendung Ihrer Abhandlung über Pädagogik, die ich unverzüglich lesen werde.
Was Sie mir über Jónasson und Steger schrieben, hat mich lebhaft interessiert. Sehr gern würde ich mit beiden auch die direkte Verbindung wieder aufnehmen, und ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie mir zu diesem Zweck die Anschriften beider einmal mitteilen würden. Ich finde es einfach notwendig, den Zusammenhalt zwischen uns weiter zu pflegen, und verspreche mir auch gerade von dem Gedankenaustausch mit beiden sehr viel. Dem Briefwechsel mit Steger sind aber wohl leider starke Einschränkungen auferlegt? Daß man ihn noch vor seiner Rückkehr in die Heimat aus dem Amt entlassen hat, ist ja wirklich grotesk und tut mir natürlich sehr leid. Aber ich hoffe doch, daß diese Entscheidung noch einer Korrektur fähig ist, und daß ein Mann mit seiner Begabung sich gegebenenfalls auch so durchsetzen wird. Wissen Sie eigentlich etwas darüber, wie es Wechsler ergangen ist?
Heute bekam ich übrigens von unserem Hauswirt Partmuß ein Schreiben folgenden Inhalts: "Veranlaßt durch eine Rückfrage seitens der zuständigen Wohnungsbehörde, sehe ich mich hierdurch verpflichtet, Ihnen die in meinem Grundstück vermietete Wohnung zum nächstzulässigen Termine (d.i. der 30.9.46) hiermit aufzukündigen. An dem bisherigen Zustande der Benutzung durch die Familie Hoffmann tritt damit keine Änderung ein". Was für eine dunkle Absicht steckt nun da wieder dahinter? Glaubt der Mann etwa, auf diese Weise einmal unserer Möbel habhaft werden zu können? Auf jeden Fall habe ich die Kündigung zunächst erst einmal rechtsungültig wegen Nichtübereinstimmung mit dem Mieterschutzgesetz und wegen Nichteinhaltung der vertraglich festgelegten vierteljährigen Kündigungsfrist zurückgewiesen. Anderseits habe ich aber auch natürlich kein Interesse daran die Wohnung zu behalten, wenn an eine Rückkehr meinerseits doch nicht mehr zu denken ist. Uns liegt also vor allem daran, unsere Sachen herauszubekommen. Ich weiß nicht, hochverehrter Herr Professor, ob ich Sie noch einmal mit dieser lästigen Angelegenheit beschweren darf, da doch Ihre Zeit mit viel wichtigeren Dingen ausgefüllt ist. Ich habe mir daher auch schon überlegt, ob es nicht das Beste wäre, einen Rechtsanwalt mit der Wahrung meiner Interessen zu betreuen? Könnten Sie mir vielleicht einen geeigneten namhaft machen? Vorläufig habe ich Partmuß erst einmal um Aufklärung darüber ersucht, inwiefern er sich durch die Wohnungsbehörde "verpflichtet" sähe, mir zu kündigen. Als nächste Maßnahme möchte ich dann unsere in seiner Wohnung untergestellten Möbel sowie die von der Familie Hoffmann nicht benutzten an Bekannte von uns in Leipzig überführen lassen, die sich zu ihrer Verwahrung bereiterklärt haben.
Leider ist ja die Leipziger Herbstmesse abgeblasen worden, so daß ein Wiedersehen damit vorläufig unmöglich geworden ist. Sollte das ein weiterer Schritt zur endgültigen Abtrennung der Zonen sein? Zu der Möglichkeit weiterer Abhebung meint meine Frau übrigens, daß die Ihrem Sohn gegebene Vollmacht es ihm ermöglicht, das Guthaben durch monatliche Abhebungen von je 100- zu löschen?
Bitte verübeln Sie mir es nicht, daß ich mein Schreiben diesmal mit so vielen prosaischen Dingen beschließen mußte.
Wie sehr ich hoffe und wünsche, daß das Maß von trüben Erfahrungen, das Ihnen das Leben jetzt so schwer macht, nun endlich einmal erschöpft sein und freundlicheren Erlebnissen weichen möge, brauche ich Ihnen, hochverehrter Herr Professor, nicht ausdrücklich zu versichern. Es müssen einfach Mittel und Wege gefunden werden, um das unerträgliche Mißverhältnis zwischen Ihrem Verdienst und Ihrer jetzigen Lage wenigstens einigermaßen auszugleichen!
Mit verehrungsvollsten Grüßen an Sie und Ihre Frau Gemahlin!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |