Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0510
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1946
Zeitbis1946
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Wie mir Ihre beiden letzten Briefe zeigen, machen auch Sie jetzt die Erfahrung, die mir jeder Tag von neuem bestätigt: diejenigen, die während der verflossenen Jahre fest gestanden haben, sollen nur ja nicht darauf rechnen, daß ihnen das von Seiten der Allgemeinheit in irgend einer Weise angerechnet wird. Sie haben genau so für sich und ihre Sache zu kämpfen wie die über und über Belasteten. Die Luft ist voll von Verleumdungsbazillen. Der Drang nach übler Nachrede steht in vollster Blüte. Sie werden es kaum glauben, daß ich jetzt im Zusammenhang mit einer Druckangelegenheit nachweisen muß, daß ich mich nicht durch Liebdienerei gegenüber den Nazis kompromitiert habe. Es wird schlankweg behauptet, daß ich mich durch Vorträge und Aufsätze nach dieser Richtung hin befleckt habe. Und zwar sind es jetzt die in Wiesbaden arbeitenden Amerikaner, die solche Beschuldigungen erheben. Und das in dem Augenblick, da ich hier daheim in anderer Hinsicht genug an Schwierigkeiten auszubaden habe. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie mir angesichts dieser gehäuften Verdrießlichkeiten zu Mute ist. Es liegt in derselben Richtung, daß die Angelegenheiten mit F. und M. auch nicht vorwärtsrücken. Und zwar liegt es in beiden Fällen daran, daß die Landesregierungen sich an meinem Alter stoßen. Sie fürchten sich vor der möglicher Weise bald zu zahlenden Pension. In normalen Zeitläuften wäre das ein nicht unbegreiflicher Gesichtspunkt. Im Augenblick kann ich nicht finden, daß das die Art von kulturpolitik ist, die unserem Volk nottäte. Alle diese Eindrücke bestärken mich mehr und mehr in der Überzeugung, daß es bei uns an allem fehlt, was im Interesse einer wirklichen Wiederaufrichtung nottäte. Ich habe mich ja nie Illusionen hinsichtlich dessen hingegeben, was nach dem Sturz des Naziregimes zu erwarten wäre. Aber daß es so zugehen würde, das habe ich allerdings nicht vorausgesehen. Könnte ich mich nur wieder in die Einsamkeit zurückziehen, die mich unter Hitler aufgenommen hat! Im Verborgenen zu leben wäre jetzt der vollkommenste Zustand. Unsereiner wird mit seinem Volk nie wieder ins Reine kommen. Denn es handelt sich ja nicht nur um bürokratische Mißgriffe Einzelner. Alles dies ist Ausfluß einer durch und durch verkehrten Gemütsverfassung des Ganzen. Vielleicht war es nach einer Katastrophe von solchen Dimensionen auch nicht anders möglich. Das Sie unter den gleichen Miseren leiden, tut mir herzlich leid. Selbstverständlich schreiben Sie sofort an Professor Weniger, stellen Sie sich als mein Schüler vor und schreiben Sie dazu, daß ich jederzeit bereit sei, mich gutachtlich über Sie zu äußern. Ich bin überzeugt, daß Sie eine Dozentur der von Ihnen gewünschten Art vortrefflich ausfüllen werden. Natürlich müßten Sie sich mit den Bedingungen der schulischen Arbeit auch dann etwas vertraut machen, wenn Sie nicht selbst über Didaktik zu unterrichten hätten. Aber dieses Vervollständigung wäre mit Leichtigkeit zu erreichen. Das Werk über Pädagogik von Nohl, an dessen Existenz Sie glauben, gibt es nicht. Vielleicht meinen Sie sein Buch "Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie" Frankfurt 1935, das nur die jüngste Zeit behandelt. Es ist das Beste, was es über diesen Gegenstand gibt. Ich schicke Ihnen eine ältere Skizze von mir zu, die Ihnen vermutlich nicht bekannt ist. Manches würde ich heute anders sagen. Sehr gefreut habe ich mich üeber die gute Nachricht von Kroner. Die Rückkehr nach Deutschland würde ich mir an seiner Stelle gründlich überlegen. Immer wieder muß ich feststellen, daß der Antisemitismus selbst in seiner krassen Form keineswegs ausgestorben ist. Die Deutschen haben ein unvergleichliches Talent, ihre Tollheiten gründlich durchzuexerzieren. Und auch jetzt ist es so, das sich der schlimmste Pöbel vielfach unter den "Gebildeten" findet. Ich habe schon manchen Disput über diesen gegenstand gehabt. Kippenberg ist im Augenblick wieder hier. Er ist in seiner Beurteilung der Lage und speziell der Zukunft des Verlages sehr heruntergestimmt. Das Mißverhältnis zwischen der äußeren Organisation und dem, was dabei herauskomme, sei erschütternd. Darin liegt ja die Antwort auf Ihre Frage. Es ist auch in der Tat so, daß auf diesem Gebiet alles unsäglich langsam vorwärtskommt. Ihr neue Ausarbeitung über das geschichtsphilosophische Thema zu lesen wird mich sehr freuen. Im Übrigen will ich Ihnen zum Troste sagen: im Anfang ist man für seine Zuhörer immer zu schwer. Allmählich lernt man sich dem zu erwartenden Niveau anpassen. Ich bin als Schullehrer immer elementarer geworden. Daß Sie sich durch die Musik einmal aller Qual dieser verworrenen und heillosen Zeit erlösen lassen, hat mich sehr gerfreut. Ein Glas Wein mit einem guten Kumpan kann gelegentlich ein Gleiches bewirken. Ihr Wein wartet darauf, von uns im Verein geleert zu werden! Vielleicht bei der nächsten Messe! Nun etwas Erfreuliches! Jónasson schrieb sehr zufrieden aus Reykjavik. Er doziert in reichlichen Vorträgen und seine Frau ist Lektorin des Deutschen an der Universität. Die Gesundheit scheint wieder in Ordnung zu sein. Steger ist noch immer im Gefangenenlager in Bayonne. Er ist als ehemaliger Pg. aus seinem Amt entlassen! Das Geld habe ich an Partmuß überwiesen. Übrigens ist uns von weiteren möglichen Abhebungen nichts bekannt. Meine kleine Schrift "F. o. W." Nicht die beiliegende schicken Sie mir doch lieber zurück. Denn ob aus M. jemals etwas wird? ... Seien Sie mit Ihrer lieben Frau und Beate herzlich gegrüßt von Ihrem gez. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig