Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Ihre freundlichen Zeilen vom Pfingstmontag erreichten mich erst heute, haben also anderthalb Monate gebraucht, um hierher zu gelangen. Augenblicklich funktioniert der Postverkehr zwischen unseren Zonen schlechtter denn je. Unter diesen Umständen werden Sie voraussichtlich auch meine beiden Briefe vom 18.5. und 23.6. sehr verspätet erhalten haben?
Es war mir eine große Freude, aus Ihrem Brief zu ersehen, daß Ihre Pläne, sich aus dem gegenwärtigen unerquicklichen Verhältnissen zu befreien, immer greifbarere Formen annehmen. Wie sehr ich es begrüßen würde, wenn ich das Glück hätte, auf diese Weise wieder in Ihre persönliche Nähe zu kommen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Für diesen Fall möchte ich mir schon heute das Versprechen von Ihnen ausbitten, daß Ihre erste Erholungsreise Sie mit Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin hierher zu uns nach Eichhofen führt! Selbstverständlich bin ich aber auch gern erbötig, Aufträge für Sie in M. persönlich durchzuführen, falls ich Ihnen damit irgendwie dienlich sein kann. Welche unendlichen Schwierigkeiten noch mit alledem verbunden sein werden, ist mir völlig klar; dennoch halte ich aber Ihren Entschluß für unbedingt richtig, weil ich der Ansicht bin, daß sich die augenblicklich herrschenden politischen Verhältnisse in Deutschland in ihrer jetzigen Form mehr und mehr stabilisieren werden. Daß Sie auch in M. keinen leichten Stand haben werden, darüber werden Sie sich ja vornherein keine Illusion machen. Ich hoffe aber doch zuversichtlich, daß gerade Ihr geistiges Wirken ein sehr notwendiges Gegengewicht gegen gewisse hier vorherrschende Strömungen bilden wird, und ich bin überzeugt, daß sie dabei die Anhängerschaft der besten und zukunftswilligsten Kräfte der Jugend gewinnen werden.
Daß der 76 jährige Jonas Cohn nach Deutschland zurückkehren will, hat mich sehr bewegt. Wie tief muß doch die Heimatliebe in solchen Männern verwurzelt sein, daß Sie nach allem, was ihnen von uns angetan wurde, in unser äußerlich und innerlich verwüstetes Land mit seinen völlig ungewissen Zukunftsschicksal zurückkehren wollen und sich davon selbst durch ein so hohes Alter nicht zurückschrecken lassen! un solchen Menschen wollte man das Deutschtum absprechen! Man ermißt daran noch einmal das Frevelhafte einer solchen Gesinnung in seinem ganzen Umfang! Und dabei gehört gerade Jonas Cohn zu den deutschen Juden, die schon in dem vornationalsozialistischen Deutschland keineswegs die Stellung innehatten, die Ihrer wirklichen Leistung und Bedeutung entsprach! Daß ich Prof. Gadamer mit meinen Vermutungen Unrecht getan habe, bedauere ich aufrichtig, und ich möchte ausdrücklich betonen, daß es sich eben nur um Vermutungen, nicht aber um Behauptungen handelte. Die Verleihung des Ehrendoktors an Frau Kippenberg durch die philosophischen Fakultäten von Leipzig und Marburg hatte ich bereits aus der Zeitung erfahren. Ich stimme Ihnen völlig bei: eine durchaus verdiente Ehrung. Ist Prof. Kippenberg noch immer in Leipzig, und haben Sie ihn einmal persönlich über seine Zukunftsabsichten gesprochen? Ich habe ihn, seitdem ich ihm meine grundsätzliche Bereitschaft zum Wiedereintritt in den Insel-Verlag erklärt habe, nicht wieder geschrieben, weil ich seinen Entschlüssen nicht vorgreifen will. Wahrscheinlich hat er damals, als er mich so freundlich und dringlich zur Wiederaufnahme meiner Mitarbeiterschaft einlud, die Möglichkeiten des Verlags doch etwas überschätzt. Aus naheliegenden Gründen möchte ich Sie, Herr Professor, jedoch bitten, über den Stand meiner eigenen beruflichen Pläne mit etwas Zurückhaltung gegenüber Prof. Kippenberg zu sprechen.
Bei mir hat sich der Stand der Dinge inzwischen wenig verändert, außer, daß ich vom Oberpräsidium der Provinz Hannover eine Aufforderung erhielt, meine Bewerbung um eine Dozentur an einer Pädagogischen Hochschule durch bestimmte Unterlagen zu ergänzen. Dort scheint man also Erfahrungen im Schuldienst nicht als unerläßliche Vorbedingung zu betrachten. Soviel ich weiß sind ja auch früher keineswegs alle Dozenten an den pädagogischen Akademien vorher im Lehrerberuf tätig gewesen, und m.E. ist das auch nicht unbedingt erforderlich, denn die besondere Lehramts-Unterweisung der Studenten pflegte doch immer durch eigens hierfür bestimmte Schulpraktiker wahrgenommen zu werden. Die Aufgabe einer Dozentur für Philosophie und Pädagogik sehe ich jedenfalls nicht darin, die Studenten mit der Praxis des Unterrichtsgebens vertraut zu machen, sondern sie die allgemeingültigen Grundsätze der Menschenformung zu lehren und ihrem Wissen überhaupt das tragende Fundament zu geben. Im übrigen glaube ich aber auch, mir in meiner Eigenschaft als artilleristischer Ausbilder beim Heer einige Erfahrung und etwas Geschick im Unterrichten erworben zu haben. Bitte schreiben Sie mir doch einmal ganz aufrichtig, wie Sie, Herr Professor, über diese Frage denken! Übrigens kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß meine politische Vergangenheit mir bei manchen Stellen eher schadet als nützt, so unverständlich das auf den ersten Blick erscheinen mag. So habe ich z.B. Grund zu der Annahme, daß es nicht gerade sehr klug war, den Direktor der Kieler Pädagogischen Akademie, Dr. Bohne, um Unterstützung meines Gesuchs anzugehen. Vielleicht war der ehemalige Herr Major nicht gerade sehr sympathisch davon berührt, aus meiner Bewerbung zu ersehen, daß ich seinerzei für einen jüdischen Universitätslehrer eingetreten bin und wegen "politischer Unzuverlässigkeit" als Fahnenjunker degradiert worden bin. Ganz ehrlich gesprochen: es sitzen an den maßgebenden Stellen doch auch heute noch sehr viel Leute, die in irgendeiner Weise mit dem vergangenen Regime liiert waren und an dementsprechenden Ressentiments leiden.
Sollten Sie, hochverehrter Herr Professor, sich zu meinem Plan einer im oben skizzierten Sinne geführten Dozentur der Philosophie und Pädagogik grundsätzlich bejahend einstellen können, dann möchte ich Sie auch gleich noch fragen, ob Sie mir raten würden, mich um Befürwortung meines Gesuchs an Prof. Weniger, den Direktor der Göttinger Pädagogischen Hochschule zu wenden? Sicher kennen Sie ihn doch persönlich?
Inzwischen arbeite ich weiter an meiner geplanten geschichtsphilosophischen Vorlesung für die Regensburger Volkshochschule, die ja - will's Gott - auch noch einmal eröffnet werden wird. Die erste Lektion habe ich hier im kleinen Eichhofer Kreis kürzlich probeweise vorgetragen, mußte dabei aber leider die Feststellung machen, daß ein Teil meiner Gedankengänge selbst diesen durchweg "gebildeten" Zuhörern offensichtlich zu abstrakt war. Ich habe daraus die Lehre gezogen, mir über die Wirksamkeit solcher Bemühungen keine zu weitreichenden Vorstellungen zu machen. Im übrigen aber will ich versuchen, meine Ausführungen durch stärkere philosophie-geschichtliche Unterbaaung konkreter zu gestalten. Augenblicklich arbeite ich, angeregt durch die erneute Lektüre von Hegels Philosophie der Weltgeschichte, an einem Zweigespräch über das Thema "Können wir aus der Geschichte lernen?" (Hoffentlich haben Sie nicht auch gerade über dasselbe Thema etwas geschrieben?) Wenn ich damit fertig bin, möchte ich es Ihnen gern einmal schicken, damit Sie dann die höheren Gesichtspunkte hinzufügen können.
Augenblicklich weilt der bekannte Pianist Prof. Kempf bei meinen Verwandten zu Gast. Er gab uns gestern ein Konzert, bei dem er in wahrhaft unerschöpflicher Musizierfreudigkeit nacheinander Händel, Bach, Mozart, Schumann und Chopin mit einer solchen künstlerischen Inbrunst und plastischen Ausdruckskraft spielte, daß uns dieser Abend allen zum bleibenden Erlebnis wurde. Wie sehr hätte ich Ihnen Drei das Miterleben gewünscht. Es war wie eine Katharsis von allen niederdrückenden Erlebnissen dieser Zeit!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen |