Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0506
TitelBrief von: Braunbehrens, Hermann von (Eichhofn) an: Litt
Enthältms; Brief 1 Blatt A4 + 1 Blatt A5 - Durchschlag
Zeitvon1946
Zeitbis1946
BemerkungenDokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor! Wie schön war es für mich, gleichzeitig durch einen eingehenden Brief von Ihnen selbst und durch den mündlichen Bericht meiner aus Leipzig glücklich zurückgekehrten Frau wieder einmal Näheres über ihr persönliches Ergehen zu erfahren! Seien Sie herzlichst bedankt, sowohl für Ihre freundlichen Zeilen, wie auch für die liebenswürdige Aufnahme, die Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin meiner Frau bereitet haben! Zu schade nur, daß ich nicht auch selbst mit dabei sein konnte! Aber unter den gegenwärtigen Umständen, da ein Besuch aus unserer Zone in der Ihrigen beinah mit denselben Schwierigkeiten wie eine Auslandsreise verknüpft ist, muß man ja froh sein, daß überhaupt wieder einmal eine persönliche Begegnung zwischen unseren beiden Familien möglich war. Was meine Frau mir nun im einzelnen von Ihnen und ihrer Familie berichten konnte - von ihrem abgemagerten Aussehen, dem angestrengten und abgehetzten Dasein Ihrer Frau Gemahlin und der sehr schmerzlichen Behinderung Ihres Sohnes durch seine Verwundung - das alles war ja leider durchweg sehr unerfreulich und bedrückend. Gemildert, wenn auch nicht aufgebhoben, wurde es wenigstens durch zwei andere Tatsachen: die Anhänglichkeit und Treue Ihrer alten und neuen Schüler und vor allem ihren eigenen festen Entschluß, trotz aller erneuten deprimierenden Erfahrungen unter keinen Umständen zu kapitulieren und die Segel zu streichen! Besonders zu diesem letzten kann ich Sie nur von herzen beglückwünschen und ihnen meine Bewunderung hierzu aussprechen, denn ich weiß nicht, ob ich selbst in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen die seelische Stärke dazu hätte! Sehr viel lag mir natürlich daran, Näheres über die Umstände zu hören, die zur Einstellung Ihrer Vorlesungstätigkeit geführt haben. Nach dem, was Sie meiner Frau hierüber erzählt haben, kann ich mir schon ein ungefähres Bild davon machen. Was mir daran nicht nur lehrreich, sondern ausgesprochen tragisch erscheint, ist, daß Ihr Schicksal in der heutigen Zeit geradezu symtomatisch für das Los eines Denkers ist, der nur der Wahrheit dient und nicht zu irgendwelchen Konzessionen an die herrschenden Parteimeinungen bereit ist! Darüber hinaus ist es mir aber gerade jetzt wieder bei der Lektüre Ihres Buches "Führen und Wachsenlassen" ganz klar geworden, was Ihre Gegner an Ihnen nicht nur auszusetzen haben, sondern geradezu hassen: es ist die strenge Zucht des Denkens, die Ihnen nicht nur unbequem, sondern wahrscheinlich auchunerreichbar ist! Sie sind einfach nicht imstande, eine Denkbewegung mitzuvollziehen, die unter Ablehnung aller eindeutigen Lösungen dem widerspruchsvollen Geflecht menschlich-geistigen Lebens gerecht zu werden versucht. Dies und nichts anderes ist es auch, was sie Ihnen mit dem bequemen Schlagwort des "Intellektualismus" vorwerfen. Freilich viel Trost liegt darin für Sie nicht, und ich fürchte doch, daß Sie sich allmählich mit dem Gedanken einer möglichen Übersiedelung in eine etwas tolerantere Gegend vertraut machen müssen, wobei ich mir über die damit verbundenen Schwierigkeiten in jeder Richtung klar bin. Vielleicht würde Ihnen aber doch eine regelrechte Berufung an eine andere Universität ermöglichen, wenigstens einen Teil Ihrer Sachen mitzunehmen? Auf jeden Fall hoffe ich doch sehr stark, daß die beiliegende, sachlich zwar nicht ganz zutreffende Notiz der in der gesamten amerikanischen Zone vielverbreiteten "Neuen Zeitung" einige Folgen haben wird! Wie innig ich aber wünsche, daß Ihnen nun endlich bald die Ehre und Stellung zuteil werden möge, die Ihrem Range und vor allem auch Ihrem Verhalten während der Nazizeit entspricht, brauche ich gewiß nicht besonders zu betonen! Überraschend und beglückend zugleich war es für mich, aus Ihrem Brief zu ersehen, daß unser Denken ganz um dieselben Probleme kreist und darüber hinaus auch in allen praktisch-politischen Fragen so weitgehend übereinstimmt! Dies betrifft vor allem auch die Frage der sog. politischen "Säuberung", in der auch ich ganz Ihrer Meinung bin, daß hier alles auf die richtige Vereinigung von Entschiedenheit und Mäßigung ankommt. Entschiedenheit, wo wirklicher Verrat an dem Ethos des Geistes vorliegt, Mäßigung dagegen, wo man es mit bloßem "Mitläufertum" oder gar erzwungenem Parteieintritt zu tun hat. Von Ihrem Manuskript "Staatsgewalt und Sittlichkeit" hörte ich zum ersten Mal, und wenn ich auch gewiß nicht zu Unrecht befürchten muß, daß darin einsehr großer Teil der Dinge, die ich jetzt selbst bearbeite, in ungleich überlegener Weise behandelt ist, so kann das doch meine Freude über die Erkenntnisbereicherung, die ich mir davon erwarte, in keiner Weise mindern. Wahrscheinlich werde ich mir ja auch aus dem Komplex der geschichtlich-poltischen Probleme ein ganz bestimmtes, enger begrenztes Thema für meine geplante Arbeit auswählen müssen, und im übrigen gedenke ich ja auch an keiner Stelle zu verleugnen, daß ich meine Erkenntnis zum größten Teil Ihren Anregungen verdanke. Übrigens ist auch mir aus der Ausarbeitung meiner Vorlesung für die Volkshochschule sozusagen als Nebenfrucht ein Aufsatz "Aufgabe und Beruf der Philosophie in unserer Zeit" erwachsen, den ich irgendwo veröffentlichen zu können hoffe. Ich habe darin vor allem versucht, das, was man zu recht von der Philosophie hinsichtlich der Klärung politischer Probleme erwarten kann, in aller Schärfe von dem abzuheben, was man in der glorreichen Epoche der Nazis von der Philosophie in dieser Hinsicht forderte und dann auch tatsächlich aus ihr machte. Mit großer Anteilnahme habe ich, wie Sie sich gewiß denken können, Ihre Pestalozzi-Gedenkschrift gelesen! Es ist ja wahrhaftig erstaunlich, um nicht zu sagen erschütternd, wie tief und richtig dieser seltsame Mann die ganze Problematik des geschichtlich-politischen Lebens, insbesondere aber die Dämonie des menschlichen Machtstrebens erkannt hat! Manche seiner Sätze muten uns ja heute geradezu visionär an! Erstaunlich bleibt es jedenfalls, wie dieser Schweizer "Schulmeister" bereits in seiner Zeit solche Einsichten gewinnen konnte, und mit den meisten steht er wohl auch allein auf weiter Flur in seiner so menschengläubigen Mitwelt. Das kleine Schriftchen, das meine historischen Kenntnisse in einer mir jetzt besonders willkommenen Weise bereicherte, wird mir jedenfalls immer teuer bleiben, und so danke ich Ihnen von herzen für das schöne Geschenk! Sehr merkwürdig erscheint mir übrigens die Rolle, die Herr Gadamer jetzt an der Leipziger Universität und im öffentlichen Leben spielt! Mir ist jedenfalls nicht bekannt, daß er dazu durch seine Haltung während der vergangenen Jahre besonders prädestiniert wäre, und die Tatsache, daß er den Nazis zuverlässig genug erschien, um die Übertragung des philosophischen Lehrstuhls an ihn zu billigen, spricht ja eigentlich auch nicht gerade dafür. Auch in seiner Philosophie, die doch, soviel ich weis, ganz auf Referierung der antiken Geistesgeschichte abgestellt war, dürfte dafür wohl kaum der Grund liegen. Sollten also auch hier wieder einmal die bekannten unsachlichen Motive maßgebend dafür sein? Es ist doch wirklich tief zu beklagen, daß der Kreis von Menschen, denen man ein anständiges Verhalten zutrauen kann, immer kleiner und kleiner wird! Im "Fall Glockner" habe ich übrigens auf meine Vorstellungen beim Verleger soviel erreicht, daß dieser mir schrieb, er sehe ein, daß die Herausgabe des neuen "Logos" durch Glockner keine "ideale Lösung" bedeuten würde. Es versuche daher auch, die Adresse von Professor Kroner zu erfahren, um sich vor dem endgültigen Entscheid mit diesem in Verbindung zu setzen, zumal dieser an dem Namen "Logos" Rechte habe. Tatsächlich entsinne ich mich auch, daß Professor Kroner bereits 1933, als man ihm die Herausgeberschaft entriß und Glockner übertrug, den Vorschlag machte, man solle die Zeitschrift doch in "Jenseits von Gut und Böse" umtaufen. Ich kann nur hoffen, daß Kroner noch tatsächlich in USA lebt, denn auch ich würde natürlich sehr gerne die Verbindung mit ihm aufnehemen. In Frankfurt hatt übrigens zuletzt ein ganz übler Vertreter den Lehrstuhl für Philosophie inne: Prof. Weinhandl, seinerzeit einer der schlimmsten Hetzer gegen Prof. Kroner in Kiel! Sollte er etwa noch im Amt sein, würde ich mich nicht scheuen, seine Rolle in Kiel beim Umsturz 1933 in aller Öffentlichkeit zu schildern, denn von solchen Vertretren muß die Philosophie in Deutschland tatsächlich ein für allemal befreit werden! Ist Prof. Spranger eigentlich noch in Berlin und liest er wieder? Sehr herzlich danke ich Ihnen auch für Ihre Bereitwilligkeit, an Prof. Wenzl zu schreiben und ihn zu bitten, mir bei der Beschaffung der notwendigen Literatur für meine Arbeit ein wenig behilflich zu sein. Sicherlich wird Ihr Schreiben seine Wirkung nicht Verfehlen. Überhaupt bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre Freundlichkeit, mir bei meinen Bemühungen um eine neue Existenz behilflich sein zu wollen, und ich werde davon, wenn Sie gestatten, zunächst in der Weise Gebrauch machen, daß ich bei Bewerbungen Sie als Referenz angebe. In der kurzen Unterredung, die ich mit Prof. Wenzl hatte, konnte ich mir natürlich noch kein vollständiges Bild von ihm machen, zumal er wohl auch bewußt etwas zurückhaltend war, ich glaube aber doch, daß er ein durchaus umgänglicher Mann ist, und daß man wissenschaftlich gut mit ihm zusammenarbeiten kann. Aus welchen Gründen Sie ein Dozentenamt an einer Pädagogischen Akademie nicht als ideal ansehen, kann ich mir schon ungefähr denken, trotzdem würde ich mich aber doch sehr freuen, wenn ich mit meiner Bewerbung in der britischen Zone Erfolg hätte, denn eine solche Stellung würde mir doch vor allem die Möglichkeit der späteren Habilitation geben, und außerdem scheinen die Pädagogischen Akademien in der britischen Zone sich auch am ehesten ihr altes wissenschaftliches Niveau aus der Zeit vor 1933 zurückzuerobern. Sehr gespannt bin ich darauf, welche Entschlüsse Kippenberg treffen wird, nachdem er sich nun durch den Augenschein von den Verhältnissen in der russischen Zone überzeugen konnte. Leider war der Aufenthalt meiner Frau in Leipzig zeitlich so begrenzt, daß sie unmöglich noch persönlich zum Verlag gehen konnte. Hat übrigens Ihr Sohn inzwischen das Geld für uns anstandslos auf der Bank ausbezahlt bekommen? Ich möchte meinen Brief nicht abschließen, ohne nochmals meinem sehnlichen Wunsch nach einer möglichst raschen Besserung Ihrer persönlichen Lage Ausdruck zu geben! Empfangen Sie, hochverehrter Herr Professor, zusammen mit Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin und Ihrem lieben Sohn meine und meiner Frau herzlichste Grüße und seien Sie unserer dankbarsten und treuesten Gesinnung gewiß!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofn