Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Hochverehrter Herr Professor!
Sehr herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen! Von Ihren persönlichen Verhältnissen hätten wir freilich gern etwas mehr erfahren, aber vielleicht wird ja der angekündigte Brief Ihrer verehrten Frau Gemahlin Ergänzendes hierrüber enthalten. Übrigens ist es auch nicht ausgeschlossen, daß es in allernächster Zeit endlich wieder einmal zu einer persönlichen Begegnung kommt: meine Frau beabsichtigt nämlich als Einkäuferin für eine Regensburger Firma die Leipziger Messe zu besuchen und hat bereits alle notwendigen Schritte zur Erlangung der Reisegenehmigung unternommen. Da aber nur ganz wenige Firmen in Regensburg dafür zugelassen werden können, steht es leider noch nicht fest, ob sie tatsächlich den Messeausweis bekommen wird. Wenn ich nicht noch so unsicher und schwerfällig auf meiner Prothese wäre, hätte ich natürlich lieber selbst die Reise unternommen, aber so muß ich leider zurücktreten und wohl oder übel meiner Frau die Strapaze überlassen. Meine Frau aber ist ganz Feuer und Flamme für diesen Plan und freut sich ganz besonders auf das Wiedersehen mit Ihnen und Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin, und an dieser Freude nehme ich natürlich lebhaftesten Anteil. Es wäre doch wirklich sehr schön, wenn diese Begegnung zustandekäme und auf diese Weise an die Stelle des in so vieler Hinsicht beschränkten Briefwechsels der mündliche Austausch von Erlebnissen und Erfahrungen treten könnte!
Meine beruflichen Zukunftspläne sind leider der konkreten Verwirklichung durchaus noch nicht so nahe, wie Sie es offenbar nach meinem letzten Brief angenommen haben. Kürzlich war ich wieder einmal in München, um mit einigen Stellen, mit denen ich breiflich in Verbindung getreten war, persönlich Fühlung zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit machte ich mich diesmal auuch Prof. Wenzl bekannt, um mich einmal nach den Aussichten einer möglichen Habilitation im philosophischen Fach zu erkundigen. Dabei mußte ich zu meinem Erstaunen erfahren, daß sich bereits nicht weniger als sechs bis sieben Anwärter hierauf bei ihm angemeldet hatten, von denen sogar einer schon seine Habilitationsschrift eingereicht hätte und ein anderer ihm bald nachfolgen wolle. Von dem von mir angenommenen Vakuum bezüglich des akademischen Nachwuchses könne also in München in diesem Fach jedenfalls keine Rede sein. Prof. Wenzl wollt mich damit aber keineswegs entmutigen und erklärte sich sogar bereit, mich zu seinen bereits angenommenen Assistenten noch als dritten hinzuzunehmen, aber das Entgelt könnte unter diesen Umständen natürlich nicht sehr hoch sein und nicht ausreichen, um damit allein meinen Lebensunterhalt in München sicherzustellen. Das alles war natürlich nicht dazu angetan, meine Begeisterung für diese Laufbahn zu bestärken, aber ich erreichte doch wenigstens so viel, daß Prof Wenzl mir zusagte, mir bei der Beschaffung der notwendigen Literatur für meine Arbeit so gut wie möglich behilflich zu sein. Wenn Sie , hochverehrter Herr Professor, Ihre mir so gütig angebotene Hilfe mir in der Weise zuteil werden lassen würden, daß Sie Prof. Wenzl in dieser Richtung noch einen kleinen Anstoß geben könnten, wäre ich Ihnen schon zu großem Dank verbunden! Mein Thema würde, wie mir inzwischen klar geworden ist, auf geschichtsphilosophischem Gebiet liegen und eine breitere Ausführung meiner für die Regensburger Volkshochschule in Ausarbeitung begriffenen Vorlesung: "Philosophie der Geschichte als Lehre vom politischen Gewissen" werden. Diese Vorlesung soll nicht mehr und nicht weniger sein, als der Versuch, auf dem Grunde einer philosophischen Einsicht in die besondere Struktur der Geschichte die Grundzüge einer politischen Ethik zu entwickeln. Dies scheint mir eine für unsere heutige Zeit besonders wertvolle und dringliche Aufgabe zu sein. und als Ziel schwebt mir dabei die Verwirklichung einer von Hugo v. Hoffmansthal 1927 in einer Rede an die Münchener Studenten erhobenen Forderung nach "geistiger Erfassung des Politischen und politischer Erfassung des Geistigen" vor. Wieviel ich aber in der Ausführung ihrer persönlichen Unterweisung und der Belehrung durch Ihre Schriften verdanke, brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben, und ich glaube auch versichern zu können, daß ich darüber an keiner Stelle so weit hinausgehe, daß dadurch der wissenschaftliche Rahmen der Philosophie gesprengt wird. Für mich selbst soll diese Vorlesung zugleich den Erweis erbringen, ob das mir selbst gesteckte Ziel der vielleicht einmal möglichen akademischen Laufbahn nicht zu hoch gegriffen ist.
Um nun aber inzwischen nicht auf den Verdienst meiner Frau angewiesen zu sein, habe ich mich heute schweren Herzens entschlossen, eine mir angebotene Stellung als politischer "Investigator" beim amerikanischen Nachrichtenkontrollamt in Regensburg anzunehmen. Es handelt sich dabei um die politische Überprüfung aller Leute, die sich in irgendeiner Weise kulturell betätigen wollen und hierzu einer Genehmigung des erwähnten Amtes bedürfen. Ich sage "schweren Herzens", weil diese Stellung, wie ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären brauche, nicht gerade in der Richtung meiner eigentlichen Neigungen liegt und mir zweitens auch natürlich viel Zeit für meine wissenschaftlichen Arbeiten raubt. Aber das Dozentenamt an der Volkshochschule ist selbstverständlich keine ertragsreiche, sondern benah ehrenamtliche Tätigkeit, und wenn ich darauf warten wollte, ob die Regensburger Regierung mich tatsächlich, wie von einem hiesigen Regierungsschulrat beantragt, als Sachbearbeiter für das Volksbildungswesen in ihrem Regierungsbezirk anstellen wird, na dann könnte ich wahrscheinlich alt und grau dabei werden. So habe ich mich also zunächst erst einmal für zwei Monate für das erwähnte politische Richteramt verpflichtet, gedenke aber so bald wie möglich wieder auszusteigen. Auch möchte ich mir nach wie vor die Rückkehr in den Insel-Verlag für den Fall vorbehalten, daß Prof. Kippenberg mir tatsächlich, wie er mir schrieb eine wesentlich erweiterte und verantwortungsvollere Tätigkeit dort einräumen kann. Dr. Michael teilte mir übrigens jetzt mit, daß er auch seinen zweiten und letzten Sohn im Alter von 17 Jahren zum Schluß des Krieges verloren hat.
Da Sie darnach fragten: Prof. v. Rintelen ist bisher nicht nach München zurückgekehrt. Übrigens ist auch Prof. Wenzl, wie er mir erzählte, 1937 als unliebsamer Dozent ausgebootet wordn. Dr. Siebeck, der Inhaber von J.B.C. Mohr, Tübingen, schrieb mir, daß er mit Prof. Glockner in Verhandlungen zwecks neuen Erscheinens des "Logos" stünde. Ich zweifle zwar nicht daran, daß Glockner genau so wie damals, als er den "Logos" aus einer "Internationalen Zeitschrift für Philosophie und Kultur" in ein nationales Organ für arteigene deutsche Philosophie im Sinne des Nationalsozialismus umwandelte, auch heute die Rückverwandlung in eine der Völkerverständigung und der Demokratie dienende Zeitschrift vorzunehmen bereit sein wird, aber ich weiß doch nicht, ob er wirklich der geeignete Mann dazu ist, und der Verleger bei seiner Wahl gut beraten war. Daß die Universität Gießen aufgeöst wurde, ist Ihnen wohl bekannt? Der Verlag Reinhardt in München, bei dem Ihr neues Werk erscheinen soll, hat übrigens noch keine Lizenz, da der Schweizer Inhaber, ein Herr Jungk bisher noch keine Genehmigung zur Rückreise nach Deutschland erhalten konnte. Aber es gibt ja genügend andere lizenzierte wissenschaftliche Verlage, die Ihr Werk brennend gern veröffentlichen würden.
Ihre Nachrichten über die Leipziger Universität habe ich mit großem Interesse gelesen. Hat der Vorlesungsbetrieb eigentlich schon begonnen, und wenn ja, über welches Thema lesen Sie? Darüber würde ich sehr gern Näheres hören. Daß Nikolai Hartmann, der die Zeit des nationalsozialistischen Aufruhrs in vornehmer philosophischer Ataraxie verbrachte, an die Universität der Prominenten in Göttingen geflüchtet ist, wissen Sie sicherlich? Interessieren würde mich nur, ob auch Heidegger "in alter Frische" wieder am Werk ist! Eine grobe Enttäuschung erlebte ich kürzlich, als Erich Kästner, der sich übrigens zu seinem Vorteil verwandelt hat und in der hiesigen Zone eine große Rolle als Feuilletonredakteur der amerikanischen "Neuen Zeitung" spielt, mir in München ein mir bislang unbekannt gebliebenes Huldigungsgedicht an den "Führer" anläßlich seines Geburtstages 1941 von - Hans Carossa zeigte!; von: Braunbehrens, Hermann von an: Litt; Ort: Eichhofen, Krs. Regensburg |