Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Gestern bin ich endlich dazu gekommen, wieder einmal im Eichwinkel nachzuschauen. Ich konnte feststellen, daß das gute Zimmer mit den Polstermöbeln sich in einwandfreiem Zustand befindet und offenbar gut gehalten wird. Es macht mir fast den Eindruck, als ob es überhaupt nicht benutzt würde. Vermutlich würde das Auge Ihrer lieben Frau mit Wohlgefallen darauf ruhen. Ich habe bei der Gelegenheit auch die beiden englischen Lexika mitgenommen. Leider ist das Pronoucing Dictionary zu schwer, als daß es in die amerikanische Zone verschickt werden könnte. Es werden nur Sendungen bis 500 gr. angenommen. Das Langenscheidt-Lexikon ist leichter. Lassen Sie mich bitte wissen, ob Sie es gerne zugesandt haben möchten.
Übrigens ist da in Bezug auf Ihre Wohnung noch ein dunkler Punkt. Ich schrieb Ihnen von dem abgebrochenen Schlüssel zu dem weißen Schrank. Aber dieser Schlüssel hing doch an dem Ring, der sich in dem Besitz von Partmus befand. Also können hierfür Hoffmanns nicht verantwortlich gemacht werden. Haben Sie denn den Schlüssel in unversehrtem Zustande an Partmus übergeben? Das ist wirklich eine Sache für Dektektiv-Scharfsinn.
Für Ihren Brief vom 3.2. herzlichen Dank. Ich kann mir vorstellen, wie die Gedanken um die Gestaltung Ihrer Zukunft Sie beschäftigen. Bei mir ist es ja nicht anders - für einen 65Jährigen immerhin eine bemerkenswerte Sache. Das Mißtrauen, mit dem Sie die Entwicklung in - einer gewissen Gegend betrachten, teile ich vollkommen mit Ihnen. Begründung überflüssig. Dabei frage ich mich, ob nicht in Ihrer Zone die Dinge insofern ganz ähnlich liegen, als man vermutlich dort mit gleicher Entschiedenheit das Bekenntnis zu einer bestimmten "Weltanschauung" - eben der landesüblichen - fordern wird wie auch an anderer Stelle. Wir erleben ja im Zeichen von Demokratie und Gewissensfreiheit erstaunliche Dinge. Leute unserer Art werden sich darin finden müssen, daß es für sie im heutigen Deutschland eigentlich - geistig gesehen, nirgendwo eine Bleibe gibt. Kennen Sie die einschlägigen Stellen in Platons Staat? Sie haben heute eine schauerliche Aktualität gewonnen. Könnte man nur im Verborgenen leben, ohne zu verhungern!
Von dem Vorgang in Erlangen hatte ich schon vernommen. Er paßt zu ähnlichen "Kundgebungen", hier und an anderen Universitäten.
Ein Teil dieser Jugend hat jeden Verstand und jedes Maß verloren. Auch das gehört zu den Tatsachen, die mir die rechte Freude an meiner Tätigkeit rauben. ich habe nicht die mindeste Neigung, mich noch einmal mit diesen Rüpeleien junger Narren auseinanderzusetzen. Die Erfarung hat mich zu deutlich darüber belehrt, daß die ruhige Überlegung da einfach nicht zu Worte kommt. Die vielgehätschelte Jugend hat 1933 geholfen, Deutschland in den Abgrund zu führen, und sie wird es sich nicht nehmen lassen, dies Werk jetzt gründlich zu Ende zu führen. Wenn eines Tages die Hochschulen von den Besatzungsbehörden geschlossen werden, dann werden diese Irrsinnigen ihr Ziel erreicht haben. Es ist schwer, sich angesichts von alledem eines Gefühls tiefer Bitterkeit zu erwehren. Dabei beschränken sich diese Erscheinungen keineswegs auf die junge Generation. Auch viele von den Alten haben sich in einen Zustand hoffnungsloser Verstockung hineingeredet. "Hitler hatte den besten Willen". "Unter den Nazis hatten wir doch Ordnung und satt zu essen". Das sind oft zu vernehmende Redensarten. Wie soll einem solchem Volk geholfen werden?!
Sie fragen nach einer Dozentur an einer Lehrerbildungsanstalt. Wie es in den anderen Zonen steht, weiß ich nicht. Hier ist dies ganze Gebiet restlos von der Partei beschlagnahmt. Die geplante"Pädagogische Fakultät" wird nichts weiter sein als - aber ich will lieber nicht hinschreiben, was sie sein wird. Die Lehrtätigkeit ist heutzutage eine sehr heikle Angelegenheit. S. o. Die Universitätsphilosophie ist davon mitbetroffen. Und wie weit wird dies bettelarme und heillos verstörte Deutschland nach Philosophie fragen? Vgl - hierzu wiederum Platon und Athen!
Von Steger ist vor längerer Zeit nur die eine Nachricht gekommen, daß er in einem französischen Gefangenenlager weilt und daß es ihm gut geht. Jónasson ist, wie ich Ihnen doch wohl geschrieben habe, nach erneutem Ausbruch seiner Lungenerkrankung, mit seiner Familie nach Dänemark gegangen, seitdem haebn ich nichts mehr von ihm vernommen. Hoffentlich hat ihn die dortige Ernährung wieder hochgebracht. Ersah beim Abschied jämmerlich aus.
Seien Sie mit Ihrer lieben Frau - gestern ist gerade ihr Brief angekommen - herzlichst gegrüßt von Ihren
gez. A. und Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |