Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Der Besuch Ihrer lieben Frau war uns eine große Freude, zumal da uns der Augenschein über ihr gutes Befinden belehrte. Daß die Gute sich so im Interesse unseres leiblichen Ergehens abgeschleppt hat, war ja auch ein Beleg ungebrochener Kraft. Über die hiesige Lage haben Sie ja jetzt allerlei Lehrreiches vernommen. Bei mir ist das Neueste, daß ich angeblich im nächsten Semester doch lesen soll. Abwarten, was daraus wird! Mit Teilnahme werden Sie auch hören, daß eine Anfrage von Lersch an mich gelangt ist. Ntürlich sind die Schwierigkeiten dieselben wie in dem anderen Falle. Alle Wege sind verbarrikadiert, und ich kann nicht finden, daß die allgemeine Lage Erleichterungen wahrscheinlich macht. Auch innerlich ist Verklemmung der vorherrrschende Zustand. Immer wieder erhalte ich Proben von einer wahrhaft heillosen Verstockung. Wie sollen wir da den Ausweg finden?!
Sie fragen nach pädagogischer Literatur. Eine wirklich befriedigende Gesamtdarstellung der Geschichte der P. gibt es nicht. Man muß sich mit Darstellungen der Teile helfen, die natürlich von höchst ungleicher Qualität sind. Werke wie Jägers "Paideia", Sprangers W. v. Humboldt, Heubaums Pestalozzi, Sakmanns Rousseau bilden Ausnahmen. An Gesamtdarstellungen sind zu nennen diejenigen von Ziegler, Willmann, Moog, Paulsen, Leser, unter denen die Gechichte des gelehrten Unterrichts von Paulsen natürlich voransteht. Erst recht gibt es in der Systematik kein Standardwerk. Die vielgerühmte "Theorie der Bildung" von Kerschensteiner halte ich gerade in ihren Grundlagen für unzulänglich. Wer auf diesem Gebiet doziert, muß sich alles Wesentliche selbst erarbeiten. Das Vorhandene dient nur zur ersten Orientierung. Wenn Sie eine solche suchen, halten Sie sich zunächst an die Geschichte der Pädagogik von Theobald Ziegler, die sich wenigstens glatt liest. Sie werden bald selbst merken, woran es fehlt.
Wir grüßen Sie beide herzlichst und in Dankbarkeit für alles Gute, das wir von Ihnen empfangen haben. Es ist schade, daß Sie nicht bisweilen den verehrungsvollen Aufblick konstatieren können, mit dem wir alles Nahrungsspendende genießen!
Ihre
gez. A. und Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |