Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0499
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 2 Blatt A4
Zeitvon1946
Zeitbis1946
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Ich habe für zwei Briefe, einen vom 13.12. und einen vom 1.1. zu denken. Sie hätten längst schon eine Antwort, wenn ich nicht in diesen Wochen unaufhörlich durch Universitätsangelegenheiten und besonders durch die leidige Lehrerbildungsfrage, die nach Ansicht der beteiligten Kreise der Angelpunkt der Weltgeschichte ist, in Anspruch genommen wäre. Es ist ein ewiges Palavern, bei dem nichts herauskommt, weil das meiste von den großen Plänen nach meiner festen Überzeugung einfach an der Bettelarmut unseres Landes scheitern wird. Aber es wird ins Blaue hinein "organisiert", als ob wir im Gelde schwämmen. Man denkt ernstlich an Gründung einer neuen, einer "Pädagogischen" Fakultät, die die führende Fakultät werden soll. Gegen diesen hellen Wahnsinn muß ich ankämpfen, mit dem Resultat, daß ich meinen Ruf als Reaktionär perfekt mache. Und wieder ist es so, daß sich in den Reihen der Professoren Leute finden, die es für zweckmäßig halten, mit in dies Horn zu blasen. Zu ihnen gehört kein Geringerer als Schadewald, der hier zu den größten Bewunderern Hitlers zählte, jetzt aber in Berlin "Demokratische Erneuerung" macht. Man könnte wirklich aus Wut zum Denunzianten werden. Infolge dieser Dinge bin ich auch noch nicht wieder zu einem Besuch im Eichwinkel gekommen. Es will mir aber doch scheinen, als ob nicht alle Briefe Sie erreicht hätten. Oder ist mein Bericht über den Angriff, den Frau Hoffmann auf die Lebensmittel im Bücherschrank gemacht hat, in Ihrer Hand? Der Bücher werde ich mich beim nächsten Besuch annehmen. Doch scheint es mir ausgeschlossen, daß Hoffmanns an dergleichen Interesse nehmen, und außerdem sind sie durch die Verhandlungen über die weggenommenen Lebensmittel kopfscheu geworden. Daß man Sie und andere in Ihrer Lage Befindliche aus Bayern abzuschieben beabsichtigt, setzt mich keineswegs in Erstaunen. Es ist jetzt die Regel, daß jedes Land, ja jede Stadt für sich auf Kosten der anderen das Beste herauszuschlagen versucht. Das ist die herrliche Volksgemeinschaft, die uns die Erziehungsarbeit der Nazis beschert hat. Wie alles Kommandierte, so fällt auch dies sofort ab, wenn der Zwang aufhört, und die nackte Selbstsucht tritt schauerlich zu Tage. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wir dies durch die Ausführung der sog. "Bodenreform" vor Augen gestellt bekommen. In Bayern kommt nun auch noch der ererbte Partikularismus hinzu. Im Dresdener Ministerium habe ich die dort amtierenden Jakobiner ernstlich darauf hingewiesen, daß sie durch ihr radikales Vorgehen nicht, wie sie sich ernstlich einbilden, das übrige Deutschland "mit sich fortreißen", sondern nur dem ohnehin kräftig zunehmenden Drang zur Zersplitterung Nahrung zuführen werden (Es geschah in der Erörterung von Fragen der Bildungsorganisation) Aber man könnte ebensogut Holzklötzern zureden, Vernunft anzunehmen. Sie können sich vorstellen, in welcher Stimmung man aus solchen Sitzungen heimkehrt. Also es will mir nicht unwahrscheinlich vorkommen, daß wir schneller, als angenommen, die Wiedersehenspulle trinken werden. Übrigens hat Kippenberg deutlich den Entschluß kundgetan, nach Leipzig zurückzukehren. Er ist offenbar fest von der Veränderung überzeugt, von der auch Sie gehört haben. Der Inselverlag hat in der Luisenstraße in Gohlis bereits ein großes Haus bezogen, in dem Kippenberg eventuell wohnen könnte. Das trostlose Bild von der Seelenverfassung der deutschen Mehrheit das Ihr Brief entwirft, ist leider in allen Zügen zutreffend. An dem Gefühl der Heimatlosigkeit, das ich innerhalb des eigenen Volkes so stark empfunden habe, hat sich nach dem Umschwung nicht das Mindeste geändert. Im Gegenteil: wie tief begründet es war, habe ich erst jetzt in vollem Umfang erkannt. Auch unser Rudolf weiß mir sehr vieles von dem inneren Zustand der heimgekehrten Soldaten zu erzählen, was vortrefflich in dieses Bild hineinpaßt. Allderdings ist auch die Behandlung, die vielen dieser Heimgekehrten widerfährt, von einer Art, daß man es begreifen kann, wenn sie in einen Zustand hoffnungsloser Verstocktheit hineingeraten. In einer der genannten Verhandlungen habe ich die Vertreter der Berliner Zentralregierung darauf hingewiesen, daß es vor einigen Monaten, als noch nicht der Kampf der Linkspresse gegen alles, was Soldat heißt, eingesetzt hatte, wesentlich leichter gewesen wäre, gegen den Militarismus anzugehen, als heute, wo jeder Feldgraue wie ein machtgieriger Welteroberer behandelt und beschimpft wird. Ich weiß nicht, ob es in Bayern annäherdn so schlimm ist. Was Ihre Pläne mit der Volkshochschule angeht, so ist es mir zweifelhaft, ob überhaupt die Absicht besteht, hauptamtliche Dozenten - und der Posten eines solchen ist es doch wohl, der Ihnen vorschwebt - anzustellen. Auch hier ist natürlich kein Mangel an Entwürfen - Volkshochschule als Weg zur Universität! - aber mit der Ausführung wird es schon aus finanziellen Gründen hapern. Und speziell hier im Sachsen wird man, so lange die gegenwärtige Lage dauert, überhaupt nur Dozenten der bewußten Couleur anstellen. Es wird ja ausdrücklich ausgesprochen, daß es die bürgerliche Bildung durch die Arbeiterbildung zu verdrängen gelte. Da haben Leute wie Sie nichts zu hoffen. Ganz anders ist es selbstverständlich, wo Leute wie Flitner und Weniger den Ton angeben. Aber auch dort wird man schwerlich hauptamtliche Dozenten anzustellen in der Lage sein. Ich habe doch immer noch die Hoffnung, daß Sie wieder beim Inselverlag ankommen werden. Wäre nur erst einmal die Verlagsarbeit wieder recht im Gange! Erstaunt bin ich, wie viele gute Dinge Sie im Radion hören. Ich sehe daraus, daß im übrigen Deutschland doch noch Stimmen laut werden, die unsereiner gerne hört. Es ist bezeichnend, daß ich zwar zunächst von der Sächsischen Landesverwaltung aufgefordert wurde, zu Pestalozzis Geburtstag zu sprechen, daß es aber dann davon ganz still geworden ist - vermutlich, weil die Widerstände zu stark waren. Völlig ausgeschaltet ist Spranger in Berlin. Ich vermute, daß er sich westwärts entfernen wird. Aber, wie die Dinge hier liegen, ist es fast als Vorzug anzusehen, wenn man wenig herangezogen wird. Schon der zu erwartende Widerhall in einem Teil der Presse kann einem jede Lust zum Mitmachen nehmen. Zum Schluß möchte ich Ihnen und Ihrer lieben Frau sagen: wir wollen im neuen Jahr zusammenhalten wie im alten und wollen nicht ganz von der Hoffnung ablassen, daß die anständigen Leute in diesem neuen Deutschland nicht völlig untergebuttert werden! In alter Verbundenheit Ihr gez. A. und Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig