Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0498
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1946
Zeitbis1946
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! O ist also endlich die postalische Verbindung zwischen uns in gutem Gange. Ihr Brief vom 13.12. war Weihnachten in unserem Besitz. Wir haben Ihrer an der Jahreswende herzlich gedacht und geleiten Sie und Ihre Lieben mit allen guten Wünschen in die zweifellos bitterschwere Zeit, der wir entgegengehen. Vor allem hoffen wir, daß Ihr Befinden sich heben wird, wenn Sie erst im Besitz der Prothese sind. Wir sehen ja an unserem Rudolf, wie viel Nachwirkungen eine so schwere Verwundung nach sich zieht. Immer wieder überfällt einen die quälende Frage: Wozu diese Opfer an Gesundheit, Glück , Leben? Und immer wieder muß ich finden, daß nur allzuviele, die durch ihr gedankenloses oder berechnendes Mitmachen dies ganze Unheil mitverschuldet haben, sich von dieser Mitschuld mit mehr als windigen Ausflüchten freizusprechen wissen. Unheilbar! Mit herzlichem Mitgefühl haben wir von dem Hinscheiden Ihres lieben Vaters vernommen. Ja, man kann mit tiefem Schmerz daran denken, von welcher Art das Alter war, das ihm wie so manchem seiner Generation beschieden war. Es ist bitter, wenn man alt werden muß, nur um unendliches Leid im Großen wie im Kleinen durchzuerleben. Von uns leben auch noch verschiedene Angehörige im Westen die ein ähnliches Alter zu ertragen haben. Da im russisch besetzten Gebiet keinerlei Pensionen gezahlt werden, ist hier das Elend dieser alt Gewordenen besonders groß. Wenn ich nicht wieder in mein Amt eingetreten wäre, würde ich mich in der gleichen Lage befinden. Wir danken Ihnen beiden herzlich, daß Sie uns wieder zur Aufzehrung Ihrer Vorräte auffordern. Seien Sie gewiß, daß wir uns nicht genieren werden, im Bedarfsfalle zuzugreifen. Es sind ja auch wirklich höchst verlockende Dinge dabei. An Bohnen, Tomaten und "Nährmitteln" haben wir uns bereits dankerfüllten Herzens gelabt. Das Glas Fett ist bisher geschont worden, doch kann ich für seine Zukunft nicht garantieren. Gut, daß wenigstens das noch Vorhandene dem Machtbereich von Familie Hoffmann entrückt ist. Ich werde also noch einmal zum Eichwinkel fahren und mit Hoffmanns über die Verwendung der Möbel reden. Hinsichtlich der Mietzahlung scheinen sie ziemlich spröde zu sein. Aber auch in dieser Hinsicht will ich alles versuchen. Ich werde mich dann auch nach den Büchern umsehen, die Sie sichergestellt sehen möchten. Hier ist die Entwicklung, über die ich Ihnen in meinem letzten Brief schrieb, unentwegt weitergegangen. Es wird in einer unerträglich schematischen Weise verfahren. Dabei kann es dann geschehen, daß Leute die dem dritten Reich so die Stange gehalten haben wie Freyer, ungerupft davonkommen, weil sie nicht der Partei angehört haben, während ganz Unschuldige, die durch die Umstände hineingeraten sind - man denke etwa an Steger - britlos auf der Straße sitzen. Die Zustände im gesamten Bildungswesen sind einfach unerträglich geworden. Die Kinder werden hilflosen Dilettanten anvertraut oder bleiben überhaupt schulisch unversorgt. Man nennt das "Aufbau". Überhaupt ist es mit dem Aufbau verlogener Fassaden schlimmer denn je. Man windet sich manchmal vor Ekel, zumal wenn man durch die Umstände gezwungen ist, mit den Fassadenbaumeistern in höflichen Formen zu verhandeln. Auch mit den Verlagen will es hier garnicht vorwärtsgehen. Papier und Druckerlaubnis gibt es nur für eine ganz bestimmte Literatur, hier allerdings unbegrenzt. So lange von jedem zu druckenden Buch eine russische Übersetzung eingereicht werden muss, ist ja ohnehin kein ernsthafter Anfang möglich. Das Mißtrauen der Besatzungsbehörde ist zu groß, als daß es zu einem ersprießlichen Arbeiten kommen könnte. Gut, daß Sie dort etwas an zusagender Tätigkeit gefunden haben. Ich möchte glauben, daß sich für Sie, falls Sie nicht wieder mit dem Inselverlag anfangen, sicherlich etwas Geeignetes finden wird, weil Leute, die politisch so unbelastet sind wie Sie, doch wohl eine Seltenheit bilden - wenigstens in der Zone des "Geistes". Das Schlimme ist freilich, daß auch heute die direkte parteipolitische Empfehlung vielfach unentbehrlich ist. Wie oft fühlt man sich zu lehrreichen Vergleichen mit dem, was war, angereizt! Wie tief sitzen in unserem Volk gewisse innere Gebrechen! In alter Verbundenheit grüßen Ihr Trifolium aufs herzlichte Ihr gez. A. und Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig