Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0497
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms/hs; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1945
Zeitbis1945
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Als die Briefe durch die Vermittlung von Frau v.d. Borch an mich gelangten - sie selbst habe ich nur telephonisch gesprochen - war sie bereits abgereist. Es war also leider nicht möglich, ihr die gewünschten Lexika mitzugeben. Schade! Ich hätte Ihrer lieben Frau gerne zu dieser Form der Weiterbildung verholfen. Wahrscheinlich ist die Nachfrage nach dergleichen in Ihrem Gebiet jetzt ebenso groß, wie sie es hier vor der Zeit der russischen Besatzung war. Sie haben uns nun wieder so freundlich aufgefordert, uns über Ihre Lebensmittel herzumachen. Wir wollen es damit so halten; was ohne Gefahr des Verderbens aufbewahrt werden kann, das wollen wir so lange schonen, wie unsere eigene Ernährungslage uns nicht zwingt, uns über alles Eßbare in unserer Nähe herzustürzen. Was von der Gefahr des Verderbens bedroht ist, wird dankbarlichst genossen werden. Hoffentlich haben Sie die Briefe von mir erhalten, die über die Verwicklung, die mit Hoffmanns eingetreten sind, Bericht erstatten. Da wir von Zeit zu Zeit nachsehen kommen, wissen sie, daß sie nicht unbeobachtet sind, und von dem Manne glaube ich, daß er den Seinen auch auf die Finger sehen wird. Es ist ein besonders ungünstiger Umstand, daß unsere Wohnungen so weit auseinanderliegen und jede Reise dorthin 1 1/2 bis 2 Stunden kostet. Zu dem Geretteten zählen 5 Flaschen Wein (kein Wermut!). Ich halte an der Hoffnung fest, daß wir bei einer dieser Pullen Wiedersehen feiern werden. Alle Menschen reden hier von Veränderungen, die hier bevorstehen. Ich weiß nicht, ob dabei nicht die bekannte deutsche Neigung, Erwünschtes als Tatsache anzusehen, ihr Wort mitspricht. Man muß geduldig abwarten. Mit den Verlagsangelegenheiten rückt hier nichts vorwärts. In Berlin, Halle und Jena ist es viel besser. Wir sitzen hier wirklich an der schlimmsten Ecke. Über Eintelheiten will ich lieber nicht reden, um das Schicksal dieses Briefes nicht nachteilig zu beeinflussen. Was Sie über Goerdeler schrieben, hat uns sehr bewegt, aber nicht überrascht. Über die infernalische Niedertracht derer, die das deutsche Schicksal gemacht haben, ist man doch immer wieder außer sich. Und nicht weniger empört ist man über die Vielen, die auch heute, auch heute noch nicht bereit sind, sich die Tiefe dieses Sturzes einzugestehen. "Die anderen sind auch nicht besser" - wenn ich dergleichen Ausflüchte höre, möchte ich schier verzeifeln. Denn wie ist einem Volk zu helfen, das auch angesichts der unbezweifelbarsten Zeugnisse des Geschehenen nicht bereit ist, Abrechnung zu halten, sondern sich mit den windigsten Ausreden an Rechenschaftsablage verbeidrückt. Freilich: diejenigen, die es zu diesem Geständnis auffordern, machen auch genug Feheler und treiben es vielfach erst recht in die Verstockung hinein. Ich freue mich sehr, zu hören, daß Sie wiedr in eine Sie befriedigende schriftstellerische Tätigkeit hineingekommen sind. Ich hoffe dringend, daß daraus etwas Dauerhaftes herauskommt. Leute wie Sie, deren politische Vergangenheit fleckenlos ist, sind ja selten geworden. Freilich - hier muß man auch noch in anderem Sinne parteipolitisch abgestempelt sein, um ankommen zu können ... Daß übrigens Kippenberg PG gewesen ist, halte ich für ausgeschlossen. Er müßte ja gegenüber dem ihm befreundeten Kreise ein höchst bedenkliches Gaukelspiel getrieben haben! Familie Goerdeler lebt, obwohl sie sehr Schlimmes hinter sich hat. Hingerichtet ist nur der Bruder von Goerdeler, der frühere Städtkämmerer von Königsberg. Über Krieck und Bäumler weiß ich nichts. Gehlen ist noch in der letzten Zeit des Krieges ziemlich schwer verwundet worden, soll mit seiner Frau in Bayern leben. Haben Sie eigentlich etwas Sicheres über Wiechert vernommen? Die Nachricht, die Sie mir seiner Zeit schrieben, soll nicht stimmen, über deren Schicksal man etwas wissen möchte, aber die Nachrichtenübermittlung ist ja so sporadisch und unzuverlässig. Wie viele Briefe wandern ins Leere! Sie fragen nach meiner jetzigen Lage. Manches werden Sie schon aus meinen verschiedenen Briefen ersehen haben. Jedenfalls ist von einem Aufatmen keine Rede. Die Beargwöhnung dauert in veränderter Form an. Gedruckt bekommt man auch jetzt so gut wie nichts. Es herrscht offenbar an den maßgebenden Stellen ein sehr tiefes Mißtrauen. Auch bei den Amerikanern! Die Verlagsfilialen in Wiesbaden kommen auch nur ganz langsam vorwärts. Verbindung mit dem Verlag Reinhardt, der zwei Bücher von mir drucken wollte, habe ich noch nicht aufnehmen können. Papier ist hier vorhanden, aber nur für ganz bestimmte Literatur, da allerdings offenbar in Massen. Gleich Ihnen bin ich manchmal sprachlos, wenn ich sehe, wie viele der Partei angehört haben. Und hier sind sie alle, alle aus ihren Stellungen gejagt worden. Augenblicklich versuche ich mit allen Kräften zu verhüten, daß Straube dem Verhungern ausgeliefert wird. Ganz besonders erfreut hat uns der Anblick von Beatchen. Was ist sie für ein großes und ernsthaft blickendes Mädchen geworden!