Bemerkungen | Dokumentenabschrift: 7.12.1945:
Lieber Herr v. Braunbehrens!
In der Hoffnung, daß Sie meine verschiedenen Berichte über die Lage im Eichwinkel erhalten haben, füge ich den nächsten Rapport an. Es ist neuerdings eine unerquickliche Wendung eingetreten, mit der ich Sie leider nicht verschonen kann. Als gestern meine Frau und Rudolf draußen waren, um noch Einiges zu holen, mußten sie zu ihrer unangenehmen Überraschung feststellen, daß seit der letzten Besichtigung, die höchstens zwei Wochen zurückliegt, allerlei von den Lebensmitteln aus den verschlossenen beiden Schränken verschwunden war. Die Frau behauptete von nichts zu wissen. Daraufhin bin ich selbst heute Morgen herausgefahren und habe nach kurzer Unterhaltung von Frau Hoffmann das Geständnis erhalten, daß sie das Vermißte "aus Not" aus den Schränken entnommen habe. Sie habe zu diesem Zweck einen Schlüssel "zugepaßt". Von der verschwundenen Flasche Wermut wisse sie nichts. Die habe vielleicht ein "junger Mann" an sich genommen, der einige Tage bei ihnen gewesen sei. Es besteht Anlaß zu der Vermutung, daß dieser mysteriöse junge Mann der Sohn des Ehepaars ist. Vielleicht hat der überhaupt die ganze Sache gefingert. Von dem Mann hatte ich den Eindruck, daß der Eingriff hinter seinem Rücken stattgefunden hat. Ich habe ihm natürlich sogleich von dem verschwundenen Anzug gesprochen. Es wird gut sein, wenn Sie unter Hinweis auf das, was Frau Hoffmann eingestanden hat, schriftlich an ihn die Frage stellen, wie es sich mit dem verschwundenen Anzug verhalte. Die Frau wies natürlich eindringlich auf ihre eigenen Notlage, den Verlust ihrer ganzen Habe ich Ostpreußen usw. hin. Von dem Anzug behauptete sie nichts zu wissen. Das Ganze ist ein neuer Beleg dafür, wie sich heute die Eigentumsbegriffe auflösen. In großem Stil findet das hier in der Enteignung der Güter statt. Darüber könnte man endlos erzählen. Man hat den Eindruck einer fortschreitenden äußeren und inneren Auflösung.
Zur Erläuterung der Sachlage ist hinzuzufügen, daß die Familie Hoffmann - achtköpfig - jetzt Ihre ganze Wohnung gemietet hat. Daß die Kinder Hoffmann "mausten", hatte Frau Seyffarth bereits meiner Frau als ihren Eindruck mitgeteilt. Ich hoffe, daß dieser Vorfall der Sippe einen heilsamen Schrecken eingejagt hat, denn ich ließ im Hintergrunde das drohende Bild von Polizei und Gericht auftauchen. Außerdem halte ich, wie gesagt, den Mann für ehrlich. Der wird jetzt hoffentlich auch die Augen ordentlich aufmachen.
Wir werden nun auch den letzten Rest der Vorräte in unserer Wohnung bergen. Was alles noch da ist, darüber möge meine Frau Bericht erstatten. Hoffentlich ist die Enttäuschung Ihrer lieben Frau nicht zu groß. Ich weiß, was dergleichen Einbußen für gewissenhafte Hausfrauenherzen bedeuten. Ich selbst bin längst auf dem Standpunkt angelangt, daß ich allen äußeren Besitz abgeschrieben habe und mich nur noch wundere, daß wir noch etwas haben. Die Zukunft ist so absolut ungewiß - wenigstens da, wo - gewisse Leute kommandieren - daß man gut tut, sich buchstäblich auf alles gefaßt zu machen. So ist augenblicklich unser Rudolf auf die Kommandantur bestellt. Was da im Hintergrund lauert, weiß man nie. Es kann sein, daß er in Kürze zurückkehrt,
es kann aber auch sein, daß er als Offiezier, der er leider werden mußte, in weitere Schwierigkeiten gerät. Ich kann nicht sagen, daß ich dieses Schweben zwischen Himmel und Erde angenehm finde.
Hoffentlich höre ich bald, daß Sie unsere Briefe erhalten haben. Die Ungewißheit in Bezug auf die postalischen Verbindungen ist sehr drückend.
Es grüßt Sie beide uafs herzlichste
Ihr
gez. Th. Litt
Kippenbergs Anschrift: Marburg, Dörflerstr. 28
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