Bemerkungen | Dokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens!
Als Ihre Karte vom 8.11. ankam, waren nicht nur Ihre beiden gleichlautenden Briefe an uns angekommen, sondern auch unsere Antwort bereits abgegangen. Hoffentlich ist sie unterdessen in Ihre Hände gelangt. Heute kann ich nun meinen Lagebericht fortsetzen, weil es nach verschiedenen mißglückten Expeditionen gelungen ist, von Fräulein Neunhöfer die Schlüssel zu erlangen. Daraufhin hat meine Frau den unteren Teil des Bücherschrankes revidiert und die meisten Vorräte in sehr gutem Zustande gefunden. Einiges, was in Verderbnis überzugehen drohte, (Z.B. Haferflocken und einiges Mehl) hat sie mitgenommen. Die Kommode im Keller trotze allen Versuchen, sie aufzuschließen. Meine Frau wird noch einmal mit Rudolf hinausfahren und versuchen, ihr beizukommen. Was die Wohnung angeht, so möchten die ostpreußischen Mieter noch ein Zimmer hinzumieten, bei ihrer Kopfzahl begreiflich. In das letzte Zimmer mßten dann die verbleibenden Möbel zusammengedrängt werden. Von Beschlagnahme scheinen Zimmer und Möbel nicht bedrohrt zu sein. Russen habe ich in dieser Gegend überhaupt keine gesehen.
Die allgemeine Entwicklung der Dinge ist nach wie vor äußerst unerfreulich. Die Zusammenarbeit der Besatzungsbehörde und der Kommunisten ..... Nicht zum wenigsten die Universität kämpft einen harten Kampf, der manchmal völlig aussichtslos erscheint. Es geht nicht nur um Rettung wenigstens eines Teils des Lehrkörpers - seit der letzten "Reinigung" sind wir von 250 auf 49 Dozenten herabgesunken - nicht nur um die Frage der Wiedereröffnung, sondern auch um Abwehr der Versuche, die freigewordenen Stellen durch - genehme Leute zu besetzen. Leider ist die Pädagogik - im Zusammenhang mit dem Andrängen der Volksschullehrer - eine der bevorzugten Einbruchsstellen. Es gibt da viele ermüdende Verhandlungen mit inkompetenten Fanatikern und Machtgierigen. Ich wäre glücklich, wenn ich mich wieder in den Emertiertenstand zurückziehen könnte. Aber das ist einfach eine Existenzfrage. Sie werden sich also nicht wundern, Wenn Sie mich nicht im Rundfunk hören. Ich bin als "Reaktionär" gebrandmarkt.
Ein Wort zu Ihren Zukunftsplänen. Ich habe schon mehr als einem jungen Menschen gesagt: wem etwas relativ Passables sich bietet, der möge zugreifen, denn die Möglichkeiten, unterzukommen, sind in diesem bettelarmen Deutschland sehr beschränkt geworden. Wie es mit der Zukunft des Inselverlages steht, weiß ich nicht, da Kippenberg und Michael ferne weilen. Kippenberg hat, wie ich höre, die Absicht, im Frühjahr nach Leipzig zurückzukehren, aber ich weiß nicht, ob er zu den vielen gehört, die mit einem Wechsel der Besatzung rechnen. Ich vermag keine Anzeichen dafür zu entdecken. Es ist alles in einen Nebel von Ungewißheit eingehüllt, in dem man verzweifelt vorwärtstappt.
Ich habe wieder eine trübselige Melodie singen müssen. Dabei habe ich mich noch garnicht näher nach dem Zustand Ihres Beins erkundigt. Haben Sie jetzt alle Nervenschmerzen überwunden? Wann werden Sie die Prothese erhalten? An Rudolf können wir ja sehen, wie lange sich eine solche Sache hinziehen kann. Er soll noch an den Oberarmnerven operiert werden, aber die Hoffnung auf Besserung ist sehr gering. Ich könnte melancholisch werden, wenn ich den armen Kerl vor dem Klavier sitzen sehe. Er selbst trägt sein Los mit Fassung und vermag sich mit seinen Armen vielfach erstaunlich gut zu helefen. Was schleppt er uns nicht alles aus der Umgebung an Kartoffeln heran! Ich weiß nicht, wie wir ohne ihn durchkommen sollten. Übrigens sagen wir Ihnen beiden herzlichen Dank für das, was wir an Lebensmitteln aus Ihren Schränken entnommen haben! Ein solcher Zuschuß ist bei der Hungerei sehr willkommen.
Sie fragten nach den alten Leipziger Freunden. Steger ist Gefangener in Frankreich. Es soll ihm ganz erträglich gehen. Jónasson ist vor Kriegsende mit Familie nach Dänemark gegangen, da es mit seiner Lunge nicht gut stand und reichlichere Ernährung dringend nottat. Reble ist unversehrt nach Naumburg zurückgekehrt, fand leider seine Wohnung zum Teil zerstört und bestohlen. Von Schmutzler keine Nachricht.
Wir grüßen Sie und Ihre Lieben aufs herzlichste!
Ihr
gez. Th. Litt
Kippenbergs Adresse weiß ich leider nicht. Ich habe seit langem nichts von ihm gehört.; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig |