Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0494
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms; Brief 1 Blatt A4
Zeitvon1945
Zeitbis1945
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Ihr Brief vom 4.10. erreichte uns gestern und erfreute uns sehr. Unterdessen habe ich einen weiteren Brief an Sie geschrieben, von dem ich nicht ahne, ob er Sie erreicht hat. Es ist jetzt mit dem Briefeschreiben das reine Glücksspiel geworden. Ich habe nun heute mit meiner Frau eine Expedition in das Reich der Partmusse unternommen und will Ihnen gleich über das Ergebnis berichten. Das Frau Seyffert gegenüber den Vermietungsplänen Bedenken anmelden würde, war ja wohl vorauszusehen. Sie verband sie mit dem erneut geäußerten Verlangen nach Mietzahlung. Ich wies natürlich auf die Unmöglichkeit von Geldsendungen hin. Nun aber der Inhalt ihrer Einwände; Familie Hoffmann zählt 8 Köpfe, hat die Betten belegt und hat auch den ganzen herd für ihre Kocherei nötig. Als Lager ist also nur das schöne Sopha verfügbar. Die beiden Räume können nicht geheizt werden, da für die Zentralheizung kein Koks geliefert wird und für den aufzustellenden Ofen ein Kamin fehlt. Angeblich hat deshalb auch die Wohnungskommission auf Belegung der Zimmer verzichtet. Ob sich jemand findet, der von den Möbeln Gebrauch machen möchte, ist fraglich. Es wird mit solcher Strenge jeder Zuzug ferngehalten, daß, so viel ich sehe, im Augenblick die Nachfrage nach dergleichen garnicht so rege ist. Es bleiben bei der Strenge der Vorschriften sogar die in Leipzig ansässigen Familien auseinandergerissen. Grund sind natürlich die Ernährungsschwierigkeiten. Nun der sonstige Befund. Bedenklichster Punkt: der graue Anzug war nicht vorhanden. Frau Seyfferth versicherte, es sei niemand, auch sie selbst nicht, an dem Schrank gewesen. Zu bemerken ist, daß von den zwei zu dem Schrank gehörigen Schlüsseln der eine einen abgebrochenen Bart hatte und das rechte Schloß nicht zu öffnen war. Von dem Inhalt dieses Schrankes haben wir einiges wenige mitgenommen, was zu verderben drohte, so die in Auflösung befindlichen Brühwürfel und Haferflocken. Das Glas Schmalz ist in tadellosem Zustande und harrt bei uns Ihrer Rückkehr. In dem Schrank lagen 4 Flaschen Wein, denen sich zwei weitere im Keller hinzugesellten. Im Keller fanden wir eine Reihe von Weckgläsern, von denen zwei verdorben waren; eines mit Bohnen, das meine Frau als bedroht ansah, haben wir mitgenommen, desgleichen eine ein wenig aufgetriebene Blechdose unbekannten Inhalts. Das abdere wird Ihnen bei der Rückkehr willkommen sein. Leider trafen wir Fräulein Neunhöfer nicht zu Hause, so daß Bücherschrank und Kommode noch nicht gemustert werden konnten. Meine Frau wird das baldigst nachholen. In dem Schrank sah ich das englische Lexikon von Langenscheidt stehen, sonst ist mir nichts dahin Gehöriges aufgefallen. Aber der Schrank war abgeschlossen, es kann also nichts abhanden gekommen sein. Über das Ergebnis der weiteren Besichtigung werden Sie Bericht erhalten. Die Bankguthaben aus der Zeit bis zum 8.5., ja zum Teil auch die später aufgelaufenen sind in der Tat gesperrt, mit allen katastrophalen Folgen für das Wirtschaftsleben. Was auf die Dauer aus ihnen werden wird, ist genau so dunkel wie alles andere, was unsere Zukunft speziell in diesen Landen angeht. Ich will mich über das einzelne nicht äußern, aber so viel wird jedenfalls gesagt werden üssen, daß man ständig mit dem Unberechenbaren zu rechnen gewohnt ist. Speziell die Universität kämpft einen unendlich ermüdenden Kampf um ihre Wiedereröffnung und um Abwendung der immer schärferer werdenden Entlassungsvorschriften. Ihr Vetter wird sich glücklich preisen dürfen, daß sein Gut - da liegt, wo es liegt. Was seine Standesgenossen hier erleben müssen, das ..... Sie schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten und Zukunftsplänen. Hoffentlich darf ich daraus schließen, daß Ihr Lebensmut ungebrochen ist. Wir leben hier in einer Situation, in der einem alle Zukunftsplanung vergehen und in der man auch sein Arbeit nur mit halben Herzen verrichtet. Etwas Hofnung hat der Mensch nötig, um mit einiger Zuversicht zupacken zu können. Ich weiß wirklich nicht, wie es wieder aufwärts gehen soll. Es fehlen die äußeren, es fehlen aber weithin auch die inneren Voraussetzungen. Die durchschnittliche Gemütsverfassung der Volksgenossen ist mir schwer verständlich, eigentlich nur aus einem Zustand seelischer Lähmung zu begreifen. Und es fehlt nicht an den Eifrigen, die sich die Lage gründlich zu nutze machen. Ich mache Schluß, damit dieser Brief möglichst schnell an Sie gelangt. Seien Sie mit Ihrer lieben Frau und Beatchen, von dessen Entwicklung wir gerne Näheres hören möchten, herzlichst gegrüßt von Ihren gez. A. u. Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig