Bestand:Privatarchiv Litt, Theodor
SignaturNA Litt, Theodor B 1-0483
TitelBrief von: Litt (Leipzig) an: Braunbehrens, Hermann von
Enthältms/hs; Brief 1 Blatt A5
Zeitvon1944
Zeitbis1944
BemerkungenDokumentenabschrift: Lieber Herr v. Braunbehrens! Haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief vom 14.3. Was Sie über den Wert unseres Zusammenseins schreiben, das kann ich aus vollem Herzen erwidern. Ich habe es immer als eine besonders glückliche Fügung angesehen, daß ich in dem Augenblick, da ich mich von meinem Amte trennte, einen engen Schülerkreis um mich hatte, mit dem ich nicht nur durch das Verhältnis des Lehrens und Lernens, sondern durch Beziehungen von freundschaftlicher Art verknüpft war und mit dem ich daher auch in der Folgezeit immer mehr zusammengewachsen bin. Ich weiß nicht, wie ich es ertragen hätte, wenn die Enttäuschung, die ich an und mit meiner Kollegenschaft erlebt habe, sich bei meinen Schülern wiederholt hätten. Es handelt sich also um ein Verhältnis des Gebens und Nehmens. Eine merkwürdige Fügung ist es, daß mir gerade aus der ersten und der letzten Schülergeneration in Leipzig solche dauernde Verbindungen erwachsen sind. Mit meinem ersten Famulus, Herrn Wetzel - Sie haben ihn gelegentlich meines 60. Geburtstages kennen gelernt - habe ich auch in all den seitdem verflossenen Jahren wirklich Freud und Leid geteilt. Das bedeutet inmitten von so viel Treulosigkeit eine unendlich wohltuende Tröstung. Möchte doch einmal eine Zeit kommen, da man sich dieses Zusammenhangs unter weniger bedrückenden Umständen erfreuen kann! In diesem Zusammenhang will ich Ihnen gleich berichten, was die armen Stegers durchzumachen hatten. Zuerst Stef an: Lungenentzündung, darauf Diphteritis - sodann erst Frau Steger und später Herr Steger gleichfalls Diphteritis. Die drei haben nach unendlichen Schwierigkeiten in einem Krankenhaus bei Döbeln Unterkunft gefunden. Kürzlich war auch Herr Schmutzler bei mir zu Besuch. Ich sprach ihm Ihrem Wunsche gemäß von dem Buch von Tillich. Aber er erwiderte, er habe dieses Buch nie von Ihnen entliehen, ja er kenne nicht einmal seinen Titel. Es muß da eine Verwechslung vorliegen. Mich hat diese Begebenheit getröstet: denn wie oft passiert es mir in diesen drangvollen Zeiten, daß ich Dinge dieser Art vergesse oder durcheinanderwerfe. Ich würde an meiner geistigen Intaktheit zweifeln, wenn ich nicht feststellen könnte, daß auch bei wesentlich jüngeren Menschen dergleichen an der Tagesordnung ist. Offenbar ist die Seele so von Gedanken und Sorgen aller Art überlastet, daß vieles Kleinere heillos durcheinandergerät oder ganz unter den Tisch fällt. Vieles erleidet einen solchen Gewichtsverlust, daß es vollkommen entschwindet. Es freut uns sehr, daß Sie so viel von Ihrer Habe haben in Sicherheit bringen können - so weit es heute überhaupt noch Sicherheit gibt. Wir stopfen unseren Keller immer mehr mit Gütern voll. Wenn ich mich in diesem Warenlager umsehe, dann stelle ich mir die wonnigen Gefühle des Einbrechers vor, dessen Blick zum ersten Mal auf dieser so sorgfältig und liebevoll zusammengestellten Bescherung ruht. Er braucht nur zuzugreifen und hat alle Hände mit erwünschtester Beute voll. Und der Zugang ist in Gestalt der mehrfachen "Ausstiege" auch schon bereitet. Wir hoffen von Herzen, daß der Übergang nach Znaim - das übrigens in der Geschichte wiederholt eine gewisse Rolle gespielt hat - Ihnen die erhofften Verbesserungen bringen wird. Von den weiteren Wünschen will ich lieber schweigen.Bei uns knüpfen sich immer wieder sorgenvolle Gedanken an die momentane Position unseres Jüngsten in Finnland. Es sind da unendliche Komplikationen möglich oder vielmehr wahrscheinlich. Auch davon sei lieber geschwiegen. Was Wiechert angeht, so hatte man mir erzählt, er habe Selbstmord verübt, aber das wurde dann wieder dementiert. Was wissen Sie darüber. Viele herzliche Grüsse, denen meine Frau sich anschliesst, von Ihrem Th. Litt; von: Litt an: Braunbehrens, Hermann von; Ort: Leipzig